Von Jens Volle – Stuttgart. Über 400 Menschen trafen sich am Samstag, 9. Mai, um mit Kundgebungen und einem Demonstrationszug durch die Innenstadt an den 8. Mai 1945, den Tag der Befreiung vom Faschismus, zu erinnern, der sich zum 70. Mal jährte. Die Polizei begleitete die Demonstration mit einem unverhältnismäßig großen Aufgebot.
Dieter Lachenmayer, Landesgeschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), begrüßte die etwa 300 Menschen, die sich unter dem Motto „70. Jahrestag der Befreiung: Unser Auftrag für Demokratie, Solidarität, Frieden“ in der Lautenschlager Straße am Stuttgarter Hauptbahnhof versammelt hatten. In den Redebeiträgen der Auftaktkundgebung erinnerten Ilse Kestin, Landessprecherin der VVN-BdA, und das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart & Region (AABS) an die über 60 Millionen Menschen, die in dem von Nazideutschland provozierten Krieg ihr Leben ließen.
Doch mit Feiern und Erinnern sei es nicht getan. Auch 70 Jahre nach dem Ende des Naziregimes sei es noch notwendig, sich gegen Rassismus zu engagieren, der in den Köpfen vieler Menschen steckt. Gerade jetzt, da sich viele bei Pegida und seinen Ablegern zusammenrotten. Auf offener Straße werde gegen Ausländer, Menschen mit nicht heterosexueller Orientierung und Andersgläubige gehetzt. Die Feindbilder der Pegida-Anhänger ähnelten denen der Nazis. Sowohl Ilse Kestin als auch das AABS riefen dazu auf, sich an den Protesten gegen den Pegidaaufmarsch am Sonntg, 17. Mai, in Stuttgart zu beteiligen.
Demozug im Polizeispalier
Die mittlerweile über 400 DemonstrantInnen zogen nach dem Auftakt lautstark durch die Stuttgarter Innenstadt. Der Demozug wurde von einem unverhältnismäßig großen Polizeiaufgebot begleitet. Als besondere Provokation betrachteten die DemonstrantInnen einen Trupp von hochgerüsteten Beamten, die den aus 150 Menschen bestehenden Block des AABS mit einem eng mitlaufenden Spalier begleiteten.
Auf dem Rotebühlplatz kam es zu einem ungeplanten Stopp des Demozuges und der Ankündigung erst weiterzugehen, wenn das Spalier aufgelöst würde. Zumindest ein Teil der PolizistInnen zogen sich daraufhin zurück. Die Demo zog ungehindert und ohne weitere Zwischenfälle weiter zur Abschlusskundgebung am Mahnmal der Opfer des Faschismus.
Den Opfern ein Gesicht geben
Die DemonstrantInnen wurden dort von der Ton, Steine, Scherben-Coverband Einheizfront begrüßt. Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, erinnerte daran, dass unter anderem auch das Nicht-Zustandekommen einer Einheitsfront aus SozialdemokratInnen, GewerkschafterInnen und KommunistInnen die Machtergreifung Hitlers ermöglichte. Daraus müsse man lernen, im heutigen „Kampf gegen Rassismus, Sozialdarwinismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus“ nicht das Trennende zu suchen.
Es gehe „nicht um die reine Lehre. Nicht um Rechthaberei. Nicht um Interpretationshoheit und das Bedürfnis nach Abgrenzung. Sondern ums Ganze.“ Es müsse eine breite Allianz gegen reaktionäre Kräfte geben. Die letzte Rede hielt Jasmin Meergans vom AK Asyl Stuttgart. Die Menschen, die den Nazifaschismus miterlebt haben, würden bald nicht mehr unter den Lebenden sein. Es liege an den Nachkommen, die Erinnerung aufrechtzuerhalten, um „den Opfern ein Gesicht zu geben“. Deshalb brauche man insbesondere das Hotel Silber in Stuttgart „als Gedenk- und Forschungsort, aber vor allem auch als Lernort!“.
Rote Nelken für Lilo Hermann
Als die Abschlusskundgebung noch im Gange war, zogen 50 AktivistInnen in einer Spontandemonstration zum Gedenkstein für die kommunistische Widerstandskämpferin Liselotte Herrmann. Dieser Stein wurde 1988 von AktivistInnen zum 50. Todestag Lilo Herrmanns im Unipark Stadtmitte aufgestellt. Die Universitätsleitung verweigerte damals die offizielle Errichtung mit Verweis auf die Extremismustheorie, die rechts und links gleichsetzt. Die AktivistInnnen hielten eine Schweigeminute ab und legten rote Nelken neben den sonst so unscheinbaren Gedenkstein.
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