Von Jens Volle – Stuttgart. Emmanuel N. kann nicht mehr ruhig schlafen. Alpträume verfolgen ihn jede Nacht. Erinnerungen an Todesangst, Folter und Misshandlung. Seit fast zwei Jahren ist Emmanuel in Deutschland. Aber er weiß: Die Sicherheit trügt. Er hat Angst, dass sein Leiden noch nicht zu Ende ist. Das liegt an Gesetzen wie der Dublin-III-Verordnung: Das Land, in dem ein Flüchtling die EU betritt, ist für sein Asylverfahren verantwortlich. Emmanuel soll zurück nach Italien. Doch dort sieht er sein Leben bedroht. Die Geschichte einer gefährlichen Flucht (Teil 1).
Dublin III hat den jungen Mann aus Kamerun in Deutschland geradezu in die Illegalität getrieben. Dabei konnte man gerade erst in Süd-Ost-Europa und speziell in Ungarn beobachten, dass Flüchtlinge auch in EU-Ländern menschenunwürdig behandelt werden, dass ihre Unversehrtheit und ihr Schutz vor Kriminellen nicht gewährleistet ist. Emmanuel hat panische Angst, nach Italien zurück zu müssen. Er fürchtet die Rache der Mafia, die ihn zum Arbeitssklaven gemacht hat und der er nur mit Mühe entkam.
Emmanuel erzählt eine lange Geschichte, wie er nach Deutschland gelangte. 1976 wurde er in Kamerun geboren. Er arbeitet als Schweißer und Kraftfahrer. Im Jahr 2007 ist er Chauffeur eines Parlamentsabgeordneten. Die beiden haben ein Verhältnis. Eines Tages werden sie auf dem Anwesen des Parlamentariers von einer seiner Frauen beim Sex erwischt. Sie ruft sofort die Gendarmerie. Emmanuels Leben ändert sich schlagartig.
Auf der Wache schwer misshandelt
Der Abgeordnete hat dank seiner Machtposition nichts zu befürchten, Emmanuel dafür umso mehr. Die Gendarmerie nimmt ihn fest. Auf der Wache wird er schwer misshandelt. In Kamerun ist es strafbar, Homosexualität auszuleben. Es droht Gefängnis bis zu fünf Jahren oder eine hohe Geldstrafe. Dazu kommt die gesellschaftliche Ächtung. Homophobie ist weit verbreitet, was auf den großen Einfluss der strengen katholischen Kirche zurückzuführen ist.
Emmanuel droht der Prozess. Ins Gefängnis will er nicht. Laut Amnesty International herrschen dort erniedrigende und sogar lebensbedrohliche Zustände. Zudem besteht für ihn als Homosexuellen die Gefahr weiterer Misshandlung. Geld, das ihn vor einer Haft bewahren könnte, hat er nicht. Als Ausweg sieht er nur noch, Kamerun zu verlassen.
Durch die Wüste nach Libyen
Seine Flucht führt ihn nach Norden in den Tschad. Sechs Monate schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch ein im Bürgerkrieg versunkenes Land. Er erhofft sich Sicherheit in Libyen. Die letzte Teilstrecke ist die gefährlichste: Er muss die Sahara durchqueren. Er kann sich die Mitfahrt auf einem völlig überladenen Landcruiser leisten. Zusammen mit über hundert anderen Flüchtlingen, zusammengequetscht und übereinandergestapelt auf der Ladefläche.
Wer von Durst oder von der heißen Sonne geschwächt ist und sich nicht mehr festhalten kann, fällt vom Auto und wird sich selbst und der Wüste überlassen – der sichere Tod. Immer wieder gibt es Pannen oder kleine Unfälle, bei denen Menschen in wörtlichem Sinn unter die Räder geraten. Der Höllentrip fordert 70 Todesopfer. Emmanuel ahnt noch nicht, dass ihm bald eine weitere Reise blüht, die genauso gefährlich ist. Doch diese Reise wird nicht durch die Wüste führen, sondern über das Mittelmeer.
Nach der Haft eine eigene kleine Firma
Emmanuel und 50 weitere Flüchtlinge erreichen Libyen. Sie werden sofort von Grenzsoldaten aufgegriffen und in Abschiebelager gesperrt. Gaddafi hat der EU versprochen, Menschen auf ihrer Flucht nach Europa aufzuhalten. Dafür bekommt er im Gegenzug von der EU viele Milliarden Euro. Fünf Monate sitzt Emmanuel in Haft, bis er auf das Angebot eines Colonels eingeht, sein neues Haus zu streichen und dafür auf freien Fuß gesetzt zu werden.
Er schlägt sich, wieder als Tagelöhner, bis nach Tripolis durch. Dort bekommt er einen Job als Maler und gründet wenig später sogar seine eigene Malerfirma. Er führt nach seiner Flucht aus Kamerun erstmals wieder ein sicheres und ruhiges Leben.
Der Bürgerkrieg zerschlägt Emmanuels Traum
Doch nach vier Jahren beginnt 2011 der Bürgerkrieg in Libyen. Gaddafis Truppen wollen ihn zwingen, für sie zu kämpfen. Doch er weigert sich. Eine Bombe eines NATO-Kampfflugzeugs zerstört sein Haus. Trümmer durchschlagen seine rechte Hand und verletzen ihn am linken Oberschenkel. In ein Krankenhaus kann er nicht, sie würden ihn dort als Deserteur verhaften. Zudem gerät er ins Visier der Rebellen. Sie glauben, er sei einer der Söldner, die Gaddafi zu Tausenden aus Ländern südlich der Sahara angeworben hat. Emmanuel muss erneut eine für sicher gehaltene Heimat verlassen.
Schwer verletzt nimmt er wieder unter Lebensgefahr eine Reise auf sich. Diesmal über das Mittelmeer nach Europa. Für 2000 Dollar bekommt er einen von über 200 Plätzen in einem maroden Fischerboot. Von den NATO-Kriegsschiffen, die wegen des Bürgerkriegs vor den Küsten Libyens patrouillieren, ist keine Hilfe zu erwarten. Der Auftrag ihrer Besatzung lautet nicht, Menschen aus dem Mittelmeer zu retten. Nach 24 Stunden bricht das alte, überladene Boot unter der Last auseinander. Bevor das Wrack versinkt, kann gerade noch ein Notruf abgesetzt werden.
Teil 2 und Teil 3 folgen
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