Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Protest gegen die Beteiligung der Bundeswehr am so genannten Anti-Terror-Krieg, Solidarität mit der autonomen Kurdenregion: Diese Themen prägten am Samstagnachmittag, 5. Dezember, in Stuttgart die Demonstration „Stoppt den Kriegseinsatz der Bundeswehr, unterstützt die linken Kräfte in Rojava!“. Knapp 400 Menschen beteiligten sich. Die Polizei zeigte sich von vornherein höchst nervös. Sie hielt den Demozug mehrfach an und begleitete ihn zum Teil in einem Wanderkessel. Dennoch gab es keine nennenswerten Zwischenfälle. Mindestens eine Person wurde in Gewahrsam genommen. In der darauffolgenden Nacht warfen Unbekannte Farbbeutel auf das Türkische Generalkonsulat (wir berichteten).
Schon vor der Demonstration hatte es einen kuriosen Streit um die Demo-Auflagen gegeben. Das Stuttgarter Ordnungsamt verbot wie üblich, Transparente zu verknoten. Die seitlich getragenen Stoffbahnen dürften überdies nicht länger als zweieinhalb Meter sein. Das solle vereiteln, „dass illegale Handlungen verdeckt, Gegenstände dahinter versteckt werden, ein Eindringen von Polizeibeamten in den Aufzug unmöglich gemacht wird und so ein polizeilicher Zugriff auf Straftäter verhindert wird“, hieß es im Bescheid.
Das Ordnungsamt begründete diese Auflage damit, dass bei früheren Demonstrationen „mit vergleichbarer Klientel“ – so zuletzt bei einer Silvesterdemonstration (siehe „Feuer und Farbe fürs neue Jahr„) am 31. Dezember 2014 – Teilnehmer „aus dem Sichtschutz der seitlichen Transparente Farbbeutel– und Böllerwürfe“ begangen hätten, die zu Sachbeschädigungen führten.
Gericht: Versammlungsbehörde zu unkooperativ
Gegen diesen Bescheid klagte der Versammlungsleiter vor dem Verwaltungsgericht. Im Eilverfahren erzielte er – bei einer solchen Begründung nicht ganz unerwartet – einen Teilerfolg: Die Behörde musste ihren Bescheid ändern und seitlich getragene Transparente bis zu vier Metern zulassen. Das begründete das Gericht unter anderem damit, dass das Amt seiner „Kooperationspflicht“ nicht nachgekommen war.
So hatte sie etwa den Anmelder zu keinem Kooperationsgespräch eingeladen. Auch sei unzureichend begründet gewesen, weshalb mit einer Verletzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung „fast mit Gewissheit gerechnet werden“ müsse. Der Hinweis auf die Silvesterdemo 2014 mit angeblich „vergleichbarer Klientel“ reichte offenbar nicht aus. Die Kosten des Einspruchsverfahrens gingen komplett zu Lasten des Amts.
Syrien-Einsatz wird wohl sehr lange dauern
Nach diesem Vorgeplänkel trafen sich die Demo-TeilnehmerInnen zur Auftaktkundgebung in der Lautenschlager Straße gegenüber vom Stuttgarter Hauptbahnhof. Dort sprach die Bundestagsabgeordnete der Linken Heike Hänsel. Die Bundesregierung schicke zunächst 1200 Soldaten in den Syrien-Einsatz. Doch selbst der Bundeswehrverband gehe davon aus, dass es deutlich mehr werden und der sogenannte Krieg gegen den Terror zehn Jahre und länger dauern könne. Der Einsatz zeige, dass auch die Bundesregierung „Teil dieser imperialistischen Kriege im Nahen Osten, in Afrika“ sei, gegen die man mobilisieren müsse.
Hänsel, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, kam direkt aus ihrem Wahlkreis nach Stuttgart. In Tübingen hatten zuvor ebenfalls etwa 300 Menschen gegen den Kriegseinsatz der Bundeswehr demonstriert, überdies am Vortag bis zu 3000 in Berlin am Brandenburger Tor.
„Anti-Terror-Krieg“ fordert neue Opfer und neues Leid
Der „Krieg gegen den Terror“ werde so verlogen begründet wie alle Kriege, sagte Hänsel. Besonders perfide sei, dass die Opfer der Terroraktionen in Europa und im Nahen Osten instrumentalisiert würden, um neue Opfer und neues Leid „durch anderen Terror“ zu begründen. „Auf diese Pseudomoral können wir verzichten“, stellte Hänsel klar. Es sei heuchlerisch, wenn Europa gleichzeitig die Grenzen schließe für Menschen, die vor dem Terror aus Syrien oder dem Irak flüchten. „Grenzen auf für Flüchtlinge, Grenzen zu für Waffenexporte“, forderte sich unter starkem Beifall.
Viele an der Allianz gegen den IS beteiligten Staaten schürten selbst den Terror. Sie seien ebenso wie die Bundesregierung mitverantwortlich für das Leid und die Toten. Besonders wandte sich die Abgeordnete gegen den „schmutzigen Deal mit Erdogan und der AKP-Regierung“. Die Bundesregierung schaue seit Jahren weg. Erdogan verfolge systematisch Oppositionelle, KurdInnen, AlevitInnen, ArmenierInnen – „alle, die der AKP und ihrer islamistischen Ausrichtung im Wege stehen“. Deutschland liefere der Türkei sogar weiter Waffen wie Panzer oder Gewehre: „Viele Scharfschützen töten und morden mit deutschen Waffen.“
Hänsel: „Keine Kumpanei mehr mit dem Terrorpaten“
Erdogan habe den Südosten der Türkei in einen Bürgerkrieg gestürzt. Er verfolge systematisch HDP-Abgeordnete, sperre sie ein und lasse sie auch hinrichten. Während der Rechtsanwalt Tahir Elci ermordet wurde, tagte der EU-Türkei-Gipfel und beschloss, dass die EU der Türkei drei Milliarden Euro dafür bezahlt, Flüchtlinge von ihr fern zu halten. Gleichzeitig lasse die EU zu, dass Erdogan völkerrechtswidrig den Nordosten Syriens, die Region Rojava, bombardiert.
Sie sei mitverantwortlich für den Tod von Kurdinnen und Kurden, die „tapfer gegen den IS“ kämpfen. „Was ist das für eine Politik? Die Kräfte, die am effektivsten den IS bekämpfen, werden von Erdogan getötet, und die Anti-IS-Koalition unterstützt ihn noch dabei“, empörte sich Hänsel: „Es darf keine weitere Kumpanei geben mit dem Terrorpaten Erdogan.“
Pyrotechnik und Krepp-Papier
Unter starker Polizeibegleitung zog die Demonstration nach ungefähr einer Stunde los. Am Ferdinand-Leitner-Steg, der über die Schillerstraße führt, gab es eine Aktion mit Transparenten und Pyrotechnik. Die Beamten reagierten beunruhigt und setzten Helme auf. Sie verfolgten die mutmaßlichen Verursacher und nahmen eine Person fest, räumten aber ein, dass keine Pyrotechnik aus der Demonstration heraus zum Einsatz gekommen war.
Die nächste Station war das Türkische Generalkonsulat. Die Polizei hatte es weiträumig mit Hamburger Gittern und dichten Ketten von Einsatzkräften abgeriegelt. In der Nacht zum Sonntag wurde das Gebäude dennoch Ziel eines Farbanschlags. Unbekannte bewarfen es mit etwa zehn Beuteln, die eine dunkle Flüssigkeit enthielten. Bei einer Zwischenkundgebung wurde das Grußwort eines Rojava-Kämpfers verlesen.
Weiter ging es in Richtung Urbanstraße, wo sich die Polizei erschreckt zeigte, als es Konfetti und Krepp-Papier regnete.
Polizei rüstet zum Wanderkessel
Vor dem Landgericht gab es eine weitere Zwischenkundgebung. Ein Vertreter der Roten Hilfe erinnerte an den Prozess wegen angeblicher Mitgliedschaft in der verbotenen PKK, der dort gerade stattfindet (siehe unten die Rede im Wortlaut). Aus nicht erkennbaren Gründen riegelte die Polizei die Straße anschließend ab und ließ die Demonstration nicht weiterziehen. Eine Lautsprecherdurchsage blieb unverständlich. Auch einige Beamte machten einen eher irritierten Eindruck.
Als die Einsatzkräfte etwa fünf bis sechs Meter von den DemonstrantInnen entfernt standen, gab es eine Aktion mit PKK-Symbolen unter Sichtschutz, die von der Polizei per Video festgehalten wurde. Sie ließ den Zug schließlich weiterziehen, begleitete ihn aber von da an in einer Art Wanderkessel. Das beeinflusste die Außenwirkung der Demonstration naturgemäß negativ. Unbeteiligte Passanten mussten annehmen, es seien Schwerkriminelle unterwegs.
Atmosphäre bis zuletzt angespannt
Es gab auch immer wieder Sticheleien zwischen Demonstrierenden und Beamten. So forderte die Polizei etwa, sie sollten nicht zu dicht auf die Einsatzkräfte an der Spitze des Zugs auflaufen. Die Atmosphäre war sehr angespannt, entlud sich jedoch nicht. Kurz vor dem französischen Konsulat am Rotebühlplatz wurde die Demonstration erneut gestoppt.
Es gab noch eine Rede zu Rojava, dann erklärte der Versammlungsleiter die Demonstration für beendet. Aus der Mitte der Versammelten heraus drang Rauch. Kurden und Kurdinnen tanzten um ein Feuer. Auch diese Szene filmte die Polizei, ohne jedoch einzuschreiten. Zuletzt trat sie die letzten Reste der Glut aus.
Die Rede der Roten Hilfe Stuttgart im Wortlaut:
Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
die Rote Hilfe ist eine Solidaritätsorganisation der Linken, die sich gegen staatliche Repression und die Kriminalisierung linker Aktivitäten und Strukturen in Deutschland einsetzt. Damit ist das Thema der heutigen Demonstration mehr als relevant für uns, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so offensichtlich scheint.
In Rojava kämpfen Genossinnen und Genossen für Ziele und Werte, die die Herrschenden hierzulande zu verteidigen vorgeben: Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Sie kämpfen einen aufopferungsvollen Krieg gegen die Truppen des IS, der mit modernsten Mitteln eine vormittelalterliche Barbarei durchzusetzen versucht. Sie kämpfen gegen diejenigen, die angeblich von den Herrschenden Europas mit allen Mitteln bekämpft werden sollen. Kein Beispiel eignet sich wohl derzeit mehr als Rojava, die heuchlerischen Strategie des deutschen Staats zu demaskieren.
Von einer Unterstützung der Befreiungsbewegungen in Rojava kann keine Rede sein. Vielmehr befinden sich die Genossinnen und Genossen eingekeilt zwischen dem IS und den Truppen des türkischen Staats, deren einziges Ziel die Vernichtung der demokratischen Strukturen ist. Dieses Vorgehen der Türkei wird nicht nur toleriert, es wird auch aktiv gefördert. Deutschland ist aktive Kriegspartei durch seine militärische, politische und wirtschaftliche Unterstützung des türkischen Regimes – und das nicht erst seit gestern, sondern seit Langem. Die Türkei ist seit jeher der Brückenkopf der NATO-Staaten in den Nahen und Fernen Osten.
Die kriegsfördernde und destabilisierende Politik der NATO-Staaten, die praktisch im gesamten arabischen Raum dauerhafte kriegerische Konflikte erzeugte, wird von Deutschland entscheidend mitgetragen. Und dann zeigt man sich angeblich von der Zahl der Menschen überrascht, die vor diesen Kriegen fliehen. Die Merkelsche Staatspolitik nutzt die exemplarisch inszenierte Aufnahmebereitschaft gegenüber Flüchtlingen, ihr internationales Image aufzupolieren, nebenher günstige Arbeitskräfte zu importieren und dann schließt sich das Tor der Festung Europa wieder. Die Randstaaten der europäischen Union erledigen das Drecksgeschäft, damit die Flüchtlinge künftig bitte wieder weitab der europäischen Öffentlichkeit mit allen Mitteln gestoppt werden. Dass man für diese Rolle nun verstärkt das türkische Regime bezahlt, schließt den Kreis gegenseitiger Waffenbruderschaft.
Derweil nimmt der deutsche Staat jede Vorlage des türkischen Staates willfährig auf, gegen türkische und kurdische Exilstrukturen in Deutschland vorzugehen. Organisationen wie die kurdische Arbeiterpartei PKK und die türkische DHKP-C sind verboten. Aktuell soll diese Strategie auf den türkischen Exilverband ATIK ausgeweitet werden. Es gab unzählige Verfahren in den letzten Jahren in diesem Bereich, bis hin zu zahlreichen Großverfahren, in denen angebliche Mitglieder der Organisationen als Unterstützer einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurden. Die Kriminalisierung mit Hilfe des Ausländerrechts spielt hier ebenfalls eine Rolle.
So werden immer wieder politisch aktive MigrantInnen mit der Abschiebung bedroht. Während selbst in deutschen Regierungskreisen erstmals die Option einer Re-Legalisierung der PKK benannt wird, fing am ersten Dezember in Stuttgart wieder ein Verfahren gegen einen vermeintlichen PKK-Gebietsverantwortlichen an. Grundlage für diese Großverfahren ist der §129b, der die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ahnden soll.
Bezeichnenderweise wurde der Paragraf bislang weitestgehend gegen linke Organisationen angewandt, nicht etwa gegen türkische Faschisten oder islamistische Rekrutierungszentralen. Auch der Kampf um Befreiung in Rojava wird zu einem Problem der inneren Sicherheit Deutschlands gemacht und Ängste geschürt. Der politische Konflikt wird ethnisiert und vor Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken gewarnt, was von vielen Medien bereitwillig ins Land getragen wird.
Das alles zeigt auch schon auf, in welche Richtung wir einen verstärkten Anti-Terror-Kampf zu erwarten haben. Die Angst nach den islamistischen Attentaten von Paris dienen den Herrschenden dazu, die Überwachung weiter auszubauen. Der Inlandsgeheimdienst, auch bekannt als Verfassungsschutz, hat sich im Zuge der Ermittlungen zum faschistischen Terror des NSU noch vor Kurzem als Terrorunterstützer und -Verdecker selbst öffentlich diskreditiert.
Heute werden schon wieder offensiv neue Mittel zum Ausbau seiner Schnüffelstrukturen gefordert. Ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren wird schleichend ausgeweitet und so weiter…
Wer solche Beschützer hat, braucht keine Feinde.
Der Kampf gegen den Ausbau des staatlichen Repressionsapparats hierzulande und der Kampf in Rojava sind untrennbar miteinander verbunden. Wenn wir die Kämpfenden in Rojava hier unterstützen wollen, so gehört hierzu der Kampf gegen die Kriminalisierung türkischer und kurdischer linker Organisationen.
Die kriegerische deutsche Außenpolitik schafft Fluchtursachen, sie bekämpft sie nicht.
Gegen die Kriminalisierung linker Politik! Für die Aufhebung des PKK-Verbots!
Gegen die Militarisierung im Inneren und Äußeren, hoch die internationale Solidarität!
Rote Hilfe Stuttgart
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