Von Matthias Jakoby und Pejo Berber – Berlin. Beeindruckender Protest gegen türkischen Staatsterror und dessen Rückendeckung durch die EU und Bundesregierung zeigte sich am Samstag, 12. März, in Berlin. Gut 3500 Menschen – Kurden, türkische Oppositionelle, Antifaschisten, Gewerkschafter, Demokraten, Wissenschaftler, andere aus dem gesamten linken Spektrum – versammelten sich auf dem Alexanderplatz.
Sie setzten ein deutliches Zeichen gegen einen Pakt mit dem „Kriegshasardeur , Terrorpaten und Flüchtlingsverursacher“ Recep Tayyip Erdogan: gegen Rassismus, Faschismus und Krieg, für Demokratie und Toleranz.
Vertreter kurdisch-türkischer sowie mehrerer linker und demokratischer Organisationen geißelten die systematische politische Unterdrückung, die Massaker und Menchenrechtsverletzungen der türkischen Regierung ebenso wie deren militärische Politik. Sie riefen dazu auf, das Schweigen endlich zu brechen. Neben HDP-Vertretern sprachen unter anderem auch Prof. Alex Demirovic für die Akademiker für den Frieden, der stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken Tobias Pflüger und die Bundestagsabgeordnete der Linken Ulla Jelpke.
Jagd auf Oppositionelle und Bomben auf Städte
Die Redner kritisierten eine „unerträgliche Hexenjagd auf Demokraten, Oppositionelle und Gewerkschafter“ in der gesamten Türkei. Die zuletzt bekannt gewordenen Übergriffe auf demonstrierende Frauen, Journalisten und Intellektuelle seien ein direkter Affront gegen internationale Frauenbewegung, freie Presse und Wissenschaft.
Insbesondere im Osten der Türkei bestimmten Ausgangssperren und Bombardements der Städte das Bild. Die Zivilbevölkerung werde systematisch eingeschüchtert, geschändet und ermordet. Immer mehr Opfer von Massakern der türkischen Staatsgewalt würden bekannt.
Krieg gegen Demokratie, Toleranz und Selbstbestimmung
Die kurdische Freiheitsbewegung wolle keinen Krieg, hieß es, sondern Seite an Seite mit den Demokraten, Gewerkschaftern und Oppositionellen des ganzen Landes eine Demokratisierung der Türkei. Die Kurden und ihre Verbündeten unter Führung der PKK/PYD und ihrer Schwesterorganisationen führten im Nahen Osten den effektivsten Kampf gegen den IS, gegen fundamentalistischen Rassismus und Terror.
Vor allem ihr Kampf um Rojava mit der Stadt Kobane und der Aufbau eines basisdemokratischen, sozialen und toleranten Gemeinwesens, in das gleichberechtigt alle Volksgruppen, Religionen und Frauen wie Männer einbezogen werden, seien ein positives Gegenmodell zur sonst vorherrschenden Spirale von Krieg, Terror und Intoleranz und zu einer von Kapitalinteressen und nationalistischen Egoismen getriebenen Hegemonie-Politik.
Doppelbödige Politik von EU und Bundesregierung
Freiheitsrechte, basisdemokratische Selbstverwaltung und Selbstbestimmung begeisterten immer mehr Menschen und störten das patriarchalische Unterdrückungssystem nach innen und die hegemoniale Politik der Türkei nach außen. Daher müssten sie aus Sicht der türkischen Staatsgewalt ausgemerzt werden.
In den Reden wurde betont: Die Rückendeckung der EU und vor allem Deutschlands für diese Politik, das Wegschauen bei Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtswidrigen Militäraktionen seien nicht nur eine moralische Bankrotterklärung. Die Bundesregierung ermuntere das türkische Regime geradezu, den Bürgerkrieg im Innern anzuheizen und seine friedensgefährdenden Militäraktionen in die Nachbarländer fortzusetzen.
Diese Politik mindere nicht die Flüchtlingskrise, sondern rufe neues Elend und neue Flüchtlingswellen hervor. Sie riskiere einen für uns alle bedrohlichen unmittelbaren Zusammenstoß zwischen Nato und Russland.
In dichten Reihen zum Potsdamer Platz
Geradezu ein Hohn sei es, Menschenrechtsverletzer und Förderer der Terrorgruppen um den islamischen Staat wie Recep Tayyip Erdogan zu umgarnen und mit Milliarden Euro zu fördern. Die Vertreter einer echten Demokratie und der effektivsten Kämpfer gegen den Terror im Nahen Osten, vorrangig die PKK und ihre Schwesterorganisationen, würden dagegen nach wie vor in Deutschland behindert und verfolgt.
Nach der Auftaktkundgebung zogen die Versammelten – dicht gedrängt in Zehner- bis Zwanziger-Reihen – in einem bis zu einem Kilometer langen Demonstrationszug vom Alexanderplatz zum Potsdamer Platz. „Erdogan bombardiert, Merkel finanziert“, wurde gerufen. „Brecht das Schweigen, stoppt den Krieg in Kurdistan.“
Die Kumpanei mit dem türkischen Staatsterror beenden
An die EU und die Bundesregierung wurde appelliert, keinen Schmusekurs mit der Türkei zu fahren, sondern diplomatischen Druck aufzubauen: zur Einstellung aller staatlichen Terrorhandlungen gegen Oppositionelle, Kurden und Zivilisten, zur Aufnahme von Friedensverhandlungen, zur Einstellung aller völkerrechtswidrigen Militäraktionen in den Irak und nach Syrien.
Gefordert wurde auch, Zahlungen an die Türkei zu stoppen. Die vorgesehenen Hilfsgelder von 6 Milliarden Euro sollten direkt an die UN Flüchtlingshilfe fließen. Ebenso wurde gefordert, alle Waffenlieferungen und logistischen Hilfeleistungen für die Türkei zu stoppen. Das PKK-Verbot in Deutschland müsse aufgehoben und kurdische Vertreter mit an den Verhandlungstisch zu Syrien gerufen werden. Man brauche außerdem einen humanitären Korridor auch nach Rojava.
Viele schlossen sich auch dem antifaschistischen Protest an
Nach einer kurzen Abschlusskundgebung schlossen sich viele noch antifaschistischen Aktionen gegen einen rechten Aufmarsch am Brandenburger Tor an. Wohin Rassismus und Nationalismus letztlich führen, zeigten die Verhältnisse im Nahen Osten deutlich.
Die TeilnehmerInnen werteten den Protest gegen den türkischen Staatsterror und die Kumpanei von EU und Bundesregierung als eine gelungene Aktion. Sie zeige, dass eine breite Aktionseinheit in dieser Frage zustande kommen kann. Der Protest müsse mit Nachhaltigkeit fortgesetzt werden, bis EU und Bundesregierung die Finger von ihrer abenteuerlichen Politik lassen.
Folge uns!