Von Meide Wolt – Stuttgart. Es ist ihr Lebensthema. Janka Kluge engagiert sich seit über drei Jahrzehnten gegen Rechts. Sie ist Geschäftsführerin der VVN-BdA Baden-Württemberg, Redakteurin des Freien Radios Stuttgart und zweier Zeitungen, sie hält Vorträge über rechtsextremistische Strukturen, spricht auf Kundgebungen und Demonstrationen, bietet antifaschistische Stadtrundfahrten an. Sie hat sich die Geschichte des Antifaschismus in Deutschland angeeignet, sie verinnerlicht und erlebt und dabei eine Imbissbude in schlechter Erinnerung behalten. Mit den Beobachter News sprach sie über ihre eigene Geschichte.
Wir treffen uns mit Clara bei Clara in Sillenbuch. Ihre Hündin nach Clara-Zetkin zu nennen, würde gut passen. Denn die Sozialistin, Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin hatte selbst drei Doggen, und in den fünf Jahren, in denen Janka Kluge im Vorstand des Stuttgarter Waldheims Clara Zetkin mitarbeitete, hat auch ihre Hündin sehr viel Zeit dort verbracht.
Sie zog sich aus dem Vorstand und damit der Programmgestaltung zurück, als sie ihre Arbeit als Landessprecherin für die VVN-BdA aufnahm, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten. Seit August 2017 ist sie deren Geschäftsführerin. Sie traf die Entscheidung zum Rückzug aus dem Waldheim-Vorstand, weil ein Tag schließlich irgendwann endet. Wer wie Janka Kluge zusätzlich noch Redakteurin zweier Zeitungen ist, Inforedakteurin des Freien Radios Stuttgart, auf ungezählten Veranstaltungen spricht, täglich recherchiert, der muss Schwerpunkte setzen, findet sie.
Mit Stoppt-Strauß-Plaketten gegen den CSU-Mann
Für so viel und so kontinuierliches Engagement braucht man eine überzeugte innere Motivation. Wer Janka Kluge für einige Stunden im Zweiergespräch trifft, stößt auch auf die Überzeugung, die sich in ihrer Haltung manifestiert hat. Von Beginn an sortieren sich unsere Fragen an sie neu, auf der Suche nach einer Art Quelle.
Janka Kluge ist in Stuttgart-Rot zwischen Zuffenhausen und dem Max-Eyth-See aufgewachsen. Ihre ersten Aktionen gegen Rechts sind 1979 in Stuttgart und zielen auf Wahlkampfstände. Mit Stoppt-Strauß-Plaketten richtet sich der Protest gegen den damaligen Kanzlerkandidaten der CDU/CSU und bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, der eine blühende Karriere in der Wehrmacht durchlaufen hatte. Wegen seiner Hetze gegen Linke und AntifaschistInnen formierte sich Widerstand gegen Strauß. Ihm wurde zugetraut, dass er im Kampf gegen Links sogar einer Machtübernahme der Faschisten den Weg ebnen würde.
Eine Imbissbude versorgte den randalierenden Mob
„Von 1979 bis 1992 war ich der Meinung, es genügt, wenn ich auf Demos gehe“, berichtet Kluge. Ihre Sätze beginnen nach einer kurzen Pause, in der ihr Blick auf ihr Gegenüber gerichtet bleibt. Dann erzählt sie von 1992. Von Brandanschlägen Rechter in Mölln, Ostfildern-Kemnat, in der Stuttgarter Innenstadt Gaisstraße, in Solingen. Und dann ausführlich von den Angriffen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992. Tagelang, unbehelligt und bei Tageslicht, unter Beifall und Mithilfe der Bevölkerung, von AnwohnerInnen und später von Neonazis aus der ganzen Republik und von Polizeikräften vor der Intervention durch herbeieilende AntifaschistInnen geschützt.
20 Jahre später wird Janka Kluge in „Es war die Imbissbude“ darüber schreiben: „Das Bild, das sich mir aber in mein Gedächtnis eingebrannt hat, war die Imbissbude, die den randalierenden und brandschatzenden Mob mit deutschen Würstchen und deutschem Bier versorgt hat.“ Als sie davon erzählt ist spürbar, dass die Ereignisse noch heute ihre Aufmerksamkeit wach halten. Diese Wachsamkeit betrifft auch uns als Interviewer. Unser Gespräch beginnt mit einem Spannungsbogen. Nicht der zwischen zwei Erzählungen, sondern der zwischen uns.
Die Uneinigkeit führte in die Niederlage
Herausfordernd abschätzend tastet sie zunächst uns und unsere Fragen ab. Rostock-Lichtenhagen habe sie wie nichts anderes geprägt, sie sei „mehr als entsetzt“ gewesen. Wir fragen sie, wo der Unterschied zum Jahr 2018 ist. Die rechten Positionen seien salonfähiger geworden. Solche Positionen träten nicht mehr nur regional auf, die AfD habe tatsächlich eine Basis. Nicht nur schockiert sei sie 1992 gewesen, dass solch eine Stimmung in der Bevölkerung habe entstehen können. Sie habe auch daraus Konsequenzen gezogen.
Eine dieser Konsequenzen war, sich aktiv in antifaschistischen Strukturen zu organisieren. Sie betont, wie wichtig es ihr ist, dass AntifaschistInnen aller Pole zusammenstehen. Das sei auch eine Konsequenz aus den Erfahrungen vor 1933. Die Uneinigkeit der antifaschistischen Kräfte habe zu einer Niederlage geführt. Eine Einsicht, die sie aus den Erfahrungen des kommunistischen Stuttgarter Widerstandskämpfers Alfred Hausser, in zahlreichen Gesprächen mit ihm und ihrem damaligen Religionslehrer Hellmut Traub gewonnen hat.
Spagat zwischen Gewerkschaften und Antifa-Gruppen
Traub hatte sich in der evangelischen Kirche gegen Nationalsozialisten gestellt und dafür im Schulungszentrum der „bekennenden Kirche“ mitgearbeitet. Zum ersten Mal begegnete Kluge jemandem, dem es gelungen war, auch in „dunklen Zeiten“ gegen die Nazis zu arbeiten. „Es ist egal, aus welcher Richtung wir kommen. Wenn uns die Feindschaft gegen die Nazis eint, dann müssen wir zusammen arbeiten“, ist ihre Überzeugung. Den Taten Haussers und Traubs fühlt sie sich noch heute verbunden.
Bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes wird dieses Projekt für sie greifbar. Für sie hat die VVN-BdA eine Spagatfunktion zwischen Gewerkschaften und Antifa-Gruppen. Es gehe um ein „Zusammenspiel all dieser Kräfte“. Auch innerhalb des VVN seien alle Spektren vertreten: „Wir versuchen, wo es irgendwie geht, dass diese beiden Pole sich gegenseitig in ihrer Ernsthaftigkeit akzeptieren.“
Geprägt vor allem von Alfred Hausser
Janka Kluge repräsentiert eine Kontinuität antifaschistischer Arbeit, wie sie in der politischen Praxis unverzichtbar, aber selten zu finden ist. Ihre Gedanken und Argumentationen reichen weit über die neunziger Jahre hinaus. Sie erzählt von den Anfängen der VVN, „gegründet von denen, die in den Konzentrationslagern waren“, und die den Widerstand der Weimarer Republik fortsetzten. Sie ist froh und ein bisschen stolz, Menschen wie Alfred Hausser, Gertrud Müller und Hans Gasparitsch noch gekannt und erlebt zu haben.
Geprägt habe sie vor allem Alfred Hausser. Er war zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Erst danach sollte er in ein Konzentrationslager kommen. Die VVN schreibt über ihn: „Er war ein Stuttgarter Widerstandskämpfer der ersten Stunde, der schon vor der Errichtung der faschistischen Diktatur vor den verbrecherischen Plänen der Nazis gewarnt und Widerstand geleistet hatte.“ Von ihm habe sie gelernt, dass es auch im Faschismus noch möglich sei, „für seine Ideen einzutreten“, sagt Kluge. Nach seiner Befreiung aus der Haft hat Hausser über den VVN Entschädigungen für Betroffene erstritten und konsequent weiter Aufklärung betrieben.
Früher in der Buchhandlung am Stuttgarter Bahnhof
Aufklärung, eine nie endende Aufgabe, wird heute von Kluge weitergeführt. Dazu gehören Themenabende, Diskussionsrunden, Vorträge auf Veranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen, und dazu gehört endlose Recherche. Im Laufe unseres Gesprächs bestimmt weiterhin sie Abstand und Nähe zwischen uns. Doch der Abstand ist nun kürzer, und wir bekommen auch Informationen, nach denen wir nicht direkt fragen.
Als sie noch in der Buchhandlung am Stuttgarter Hauptbahnhof arbeitete, habe sie sich angewöhnt, jeden Morgen eine Stunde früher aufzustehen, um sich einem Sachbuch widmen zu können. Auch das spricht für Kontinuität und Motivation. Wer ist nicht einmal wütend und steht früh auf, um gegen Nazis zu demonstrieren? Aber wer steht jeden Morgen um 4 Uhr auf mit dem Ziel, ein Sachbuch zu lesen? „Der Körper gewöhnt sich daran“, sagt sie nüchtern. Aber nur, wenn der Geist die Kraft dazu hat, denken wir.
Auf Stadtrundfahrt mit Schulklassen
Janka Kluge sprach am 8. Mai beim Protest gegen „Fellbach wehrt sich“, beim Protest gegen AfD-Auftritte, gegen die „Demo für Alle“, beim Antikriegstag und vielen weiteren Kundgebungen. Mit Aufklärung will sie „Wachsamkeit und Widerstand wecken“. Ob das funktioniert? Sie erzählt von zwei jungen Männern, die sie auf einer Kundgebung ansprachen. Sie waren auf einer der Stadtrundfahrten zum Thema Nazis und Rechte in Stuttgart dabei, die Janka mit Schulklassen macht. Dabei sei ihnen klar geworden, dass sie etwas tun müssten.
So etwas sei schön, aber nicht ihr Antrieb, sagt Kluge. Der komme eher aus den Pogromen von Rostock. Die Geschichten der Stuttgarter AntifaschistInnen zu erzählen, Stadtrundfahrten und Veranstaltungen dazu zu machen, auch dazu habe sie Hausser ermutigt. Dabei habe sie bisher mit über 2000 SchülerInnen und hunderten Erwachsenen gearbeitet.
Beim Freien Radio im Dienst der Gegenöffentlichkeit
Seit 20 Jahren arbeitet sie auch in der Inforedaktion des Freien Radios Stuttgart. Jeden Wochentag werden eine Stunde politische Informationen ausgestrahlt. Wieviel HörerInnen es erreicht, hat das Radio nicht gemessen. Es geht nicht um Quantität, und es gibt nichts zu verkaufen. Hin und wieder sprechen Menschen Kluge auf ihre Sendung an. Im „deutschen Herbst“, den Monaten ab September 1977, sei ihr klar geworden, „dass es wichtig ist, dass Linke eigene Medien haben“.
Während der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten mit einstigem SS-Offiziersrang Hanns-Martin Schleyer durch die Rote Armee Fraktion hatte der gemeinsame Krisenstab der Bundesregierung und Opposition um einen Informationsstopp gebeten. Die deutschen Medien hielten sich geschlossen daran. Das war eine wichtige Erfahrung für Kluge. Es geht ihr noch heute darum, „eine Gegenöffentlichkeit“ zu schaffen und sich gleichzeitig diese zivile Institution nicht durch rechte Propaganda in ihr Gegenteil verdrehen zu lassen.
Zum NSU bleiben Fragen offen
Um Aufklärung geht es auch bei ihrem Engagement nach der Mordserie des NSU. Sie forderte als Landessprecherin des VVN einen Untersuchungsausschuss. Eine bei vielen Linken umstrittene Forderung. Doch für sie sind die Ausschüsse wichtiger als der Prozess, weil es in ihnen mehr um rechte Strukturen geht, während vor Gericht versucht wird, alle Angeklagten als EinzeltäterInnen darzustellen.
„Es sind immer noch ganz viele Fragen offen.“ Fragen, die erst durch eine außerparlamentarische Bewegung möglich geworden seien. Fragen nach der Rolle des Thüringer Heimatschutzes und der Rolle des Verfassungsschutzes. Was ist mit dem Verfassungsschützer aus Stuttgart, aus dessen Aussagen im ersten Bundestags-Untersuchungsausschuss hervorgeht, dass der Behörde eine faschistische Mörderbande um Mundlos vor der Selbstenttarnung des NSU bekannt war, der sich jedoch später vor dem Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg nicht mehr erinnern kann?
Vorläufig bleibt der Roman auf dem Balkon ein Traum
Janka Kluge war bei seiner Aussage dabei. Sie beschreibt ihn als zermürbt und gebrochen. Sie vermutet, dass er innerhalb des Amtes fertig gemacht wurde, weil er dessen angebliche Unwissenheit der Lüge strafte. Zwischen den beiden Vernehmungen verlor der Zeuge nach einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit seine Anstellung als Verfassungsschützer.
Wir spazieren mit Clara durch den Wald auf den Heinlesberg in Richtung Ruhbank. Was sie wohl machen würde, wenn es keine Rechten gäbe? „Na auf dem Balkon in der Sonne sitzen und einen schönen Roman lesen“, antwortet Kluge. Gerade habe sie „Warum glücklich statt einfach nur normal?“ von Jeanette Winterson zu Ende gelesen.
Nach dem Austritt bei den Grünen nie mehr in einer Partei
Man merkt Clara an, dass sie an einer Hundeschule war. Nur fremde Hunde verbellt sie im Vorbeigehen. Sie vermisse die Gespräche über Literatur mit den Menschen, die in den Buchladen gekommen sind, sagt Kluge. 27 Jahre hat sie dort gearbeitet, war im Betriebsrat, viele Jahre als Vorsitzende. Selbstverständlich ist sie in der Gewerkschaft bei Verdi.
Mitte der Achtziger war sie bei den Grünen. Seit ihrem Austritt ist sie in keiner Partei mehr. Heute hält sie noch ab und zu Vorträge zu Literaturthemen. Zum Beispiel über Oskar Maria Graf, einen bayrischen Anarchisten und Exilschriftsteller. „Das ist nochmal ein anderer Zugang, über Schriftsteller. Ich bewege mich auch da fast immer um das Thema Faschismus rum“, berichtet sie.
Der Antifaschismus hat sich ihr eher aufgedrängt
Ihre Formulierung wechselt zwischen „immer“ und „fast immer“. Gibt es für sie noch andere Themen, oder geht es immer um Faschismus? Ein wichtiges Standbein ihrer politischen Aktivität sei die Anti-AKW-Bewegung. Sie hat auch beim Anti-Castor-Radio mitgemacht. Die „Frauenemanzipationsbewegung“ war und bleibt für sie ein „Hauptwiderspruch“ in der Gesellschaft und ein wesentliches Element politischer Bewegungen.
Es scheint, als habe sie sich den Antifaschismus nicht ausgesucht, als habe er sich ihr vielmehr aufgedrängt in Form brennender Häuser und marschierender Neonazis. Aber es scheint auch, als ob es noch viele andere Themen gebe, um die sie sich erst kümmern würde, bevor sie sich dann tatsächlich auf den Balkon setzt.
Siehe in dieser Reihe auch:
Dafür stehe ich: Tobias Pflüger
Dafür stehe ich: Jochen Gewecke
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