Essay von Paul Linker – Stuttgart. Einer der vielen heißen Sommertage des Jahres 2018. Während es draußen weit über 30 Grad hat, herrscht eine ähnliche Atmosphäre auch im Sitzungssaal 3 des Verwaltungsgerichts Stuttgart, welches damals noch in dem schon etwas heruntergekommenen Gebäude in der Augustenstraße residierte. Die Temperaturen mögen dazu beigetragen haben, dass eine Gerichtsverhandlung zur Posse wurde.
Ein Blick auf den Aushang der an diesem Mittwoch, dem 9. Mai, anstehenden Verhandlungstermine lässt Böses ahnen. Vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag geht es nur um ein Thema: die leidigen Rundfunkgebühren! Wir alle kennen dieses Problem. Man bezahlt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für ein mehr als bescheidenes Programm mit einer beachtlichen Summe.
Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2013 heißt es in den entsprechenden Anschreiben der zuständigen Rundfunkanstalten lapidar stets „eine Wohnung – ein Betrag“. Ob der betroffene Wohnungsmieter überhaupt irgendwelche technischen Geräte wie einen PC oder ein ordinäres Radio besitzt, um das hervorragende Bildungsprogramm von ARD und ZDF überhaupt empfangen zu können, ist dabei völlig schnuppe.
Selbst der bewusste Verzicht auf solche öffentlich-rechtlichen Sendeangebote, um nicht komplett zu verblöden, spielt keine Rolle. Rundfunkgesetz ist Rundfunkgesetz. Basta!
Man muss für etwas bezahlen, was vielleicht gar nicht benutzt oder sogar aus Überzeugung abgelehnt wird.
Die Pizza oder die BILD-Zeitung …
Da drängen sich Vergleiche auf! Man stelle sich vor, in der Straße in der man wohnt, öffnet eines Tages eine Pizzeria, die weniger als Produktionsstätte leckerer Pizzas dient, sondern als Geldwaschanlage der Mafia. So etwas soll es geben! Eines Tages tauchen nun Mitarbeiter dieser Pizzeria an der Haustür auf und verlangen einen monatlichen Obolus dafür, dass besagte Pizzeria nun einmal unbestreitbar in der gleichen Straße liegt. Man könnte ja dort eines Tages Gast sein, deshalb steht dem Unternehmen selbstverständlich dieser monatliche Beitrag zu. Ob man nun dort wirklich essen gehen will oder nicht, spielt dabei keinerlei Rolle. Man könnte ja dort was essen, man muss natürlich nicht, aber … Basta!
Ein lustiger Gedanke wäre es auch, wenn Springers BILD aufgrund sinkender Verkäufe (was wünschenswert wäre) zukünftig auf den Gedanken käme, jedem/r Deutschen/r per noch zu erlassendem Gesetz einen monatlichen Obolus abzuknöpfen. Man könnte ja die BILD kaufen, man muss natürlich nicht, aber … Basta!
Zurück zu diesem 9. Mai. Ein besonders krasser Fall.
Der Kläger hatte im Mai 2017 eine Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart gegen einen sogenannten Festsetzungsbescheid des Südwest-Rundfunks eingereicht. Ein Festsetzungsbescheid ist nichts Anderes als ein Gebührenbescheid über die Höhe der Rundfunkgebühren.
Der betroffene Mann hatte bereits im Vorfeld gegenüber dem SWR ebenso wie in besagter Verhandlung darauf hingewiesen, dass es sich bei seiner Adresse lediglich um eine postalische Anschrift handelt. Er ist nach seinen Angaben in Wirklichkeit obdachlos, und hat sich an der angebenen Adresse mit Einverständnis der Wohnungsmieterin in Stuttgart lediglich gemeldet, um als Obdachloser keinen Ärger mit Behörden zu haben. Vor allem seien bei entsprechenden Kontrollen durch die Polizei Obdachlose stets von Repressalien betroffen. Dies wollte er mit seiner Anmeldung vermeiden. Weiterhin ist es durch diese Anmeldung gewährleistet, dass er seine Post bekommt. Zugang zu besagter Wohnung hat er nicht, die Post wird ihm von der eigentlichen Wohnungsmieterin lediglich ausgehändigt.
Aus Überzeugung keine Sozialleistungen
Irgendwelche technischen Geräte, die ihn in die Lage versetzen könnten, das öffentlich-rechtliche Programm zu empfangen, besitzt er nicht, ebensowenig wie einen Zugang zu solchen Geräten. Er wies im Übrigen noch darauf hin, dass er auch gar kein Interesse daran habe, die aus seiner Sicht fragwürdigen Angebote des SWR zu nutzen.
Der Kläger hat selbst keinerlei Einkünfte und lebt ausschließlich von Zuwendungen solidarischer Freunde, die ihm zumindestens die allernötigsten Ausgaben finanzieren helfen. Das kapitalistische Gesellschaftssystem lehnt er ab.
Eine Befreiung von der Zahlung der Rundfunkgebühr lehnt der SWR ab, da der Mann aus Überzeugung kein Sozialleistungen bezieht. Das Repressions- und Gängelungsinstrument von Hartz-IV ist ihm zuwider, weshalb er es nicht in Anspruch nimmt.
Obdachlos – und dann auch noch ohne Bierfahne!
Einen Anwalt konnte sich der Kläger aufgrund seiner persönlichen Situation natürlich nicht leisten, was niemanden verwundern sollte. Der Prozess nahm dann einen kuriosen Verlauf, was vielleicht auch daran lag, dass der Kläger wohl nicht dem Bild entsprach, welches der Vorsitzende Richter Epple möglicherweise von einem Obdachlosen hat.
Der Mann ist vom Leben auf der Straße nicht gezeichnet. Er hat hervorragende Zähne und sieht allgemein recht gepflegt aus. Zudem kann er sich klar ausdrücken, und er hinterließ im Gerichtssaal keine Bierfahne wie so viele andere gute Bürger nach einem Besuch auf dem Cannstatter Wasen. So etwas verwirrt deutsche Richter offenbar, ebenso wie die wortkarge Anwältin des SWR.
Richter verlässt fluchtartig den Saal
Er musste sich Fragen gefallen lassen hinsichtlich des Verbleibs seines Schlafsackes, und wo er denn so nächtige. Es wurde recht schnell klar, dass dem Mann kein Glauben geschenkt wurde. Die Anwältin des SWR beharrte schmallippig auf dem Rundfunkgesetz („Gesetz ist Gesetz“).
Nachdem aus den gut gefüllten Zuschauerbereich immer mehr empörte Zwischenrufe zu vernehmen waren, drohte der sichtlich überforderte Richter Epple wahllos Ordnungsstrafen an und verließ schließlich fluchtartig seinen eigenen Gerichtssaal. Im Anschluss kam es noch zu verbalen Auseinandersetzungen einiger Zuschauer mit der Anwältin des SWR.
Die Quittung des Verwaltungsgerichtes bekam der Kläger schon eine Woche später. Am 16. Mai 2018 wurde seine Klage mit einer 10-seitigen Begründung, die vorrangig aus Vermutungen und Annahmen bestand, abgelehnt. Der Obdachlose wurde zur Zahlung von 666,96 Euro verurteilt. Eine denkwürdige Zahl.
Zwangsvollstreckung angedroht
Der abgewiesene Kläger legte sofort Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim ein. Sie wurde aber vom dortigen 2. Senat am 21. Juni 2018 mit den fragwürdigen Argumenten, dass der Kläger keinen Anwalt hat (wie denn auch) und die Beschwerde angeblich nicht fristgerecht beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen sei, abgelehnt. Für diese Ablehnung musste der einkommenslose Kläger sofort 53 Euro bezahlen.
Der Südwest-Rundfunk ließ nun ebenfalls nicht lange auf seine Forderungen warten, und sandte dem obdachlosen Mann an seine postalische Meldeadresse schon am 3. Juli 2018 eine Zahlungsaufforderung mit Androhung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu. Aus den oben genannten 666,96 Euro wurde auf wundersame und nicht nachvollziehbare Weise gleich ein Betrag von 1184,78 Euro plus 277 Euro „Mahngebühr“.
Der SWR nimmt kein Bargeld
Einige solidarische Bekannte des Klägers unterstützen den Mann nun bei der Zahlung des offenen Betrages, was aber auch gar nicht so problemlos ist. Da der Obdachlose über kein ausreichend gedecktes Konto verfügt, wurden zunächst an die Adresse des SWR Bargeldzahlungen geleistet, welche kostenpflichtig umgehend zurückgesandt wurden. Begründung: Man nehme aus Gründen der „Verwaltungspraktikabilität“ keine Bargeldzahlungen an.
Mit Hilfe von Postbank- und Onlineüberweisungen durch einen Bekannten wurden bereits zwei Raten in Höhe von jeweils 50 Euro an die Rundfunkanstalt überwiesen, welche bisher noch nicht gutgeschrieben wurden. Im Gegenzug kam dafür am 15. August 2018 ein neuer sogenannter Festsetzungsbescheid des Südwest-Rundfunks in Höhe von 533 Euro an der postalischen Adresse des Mannes an. Gegen diesen neuen Bescheid hat der Obdachlose erneut Widerspruch eingelegt.
Der Kläger will vors Verwaltungsgericht
Der Mann betont, dass er sich von der erneuten völlig überzogenen Forderung des SWR nicht beeindrucken lässt, und wieder eine Klage beim Verwaltungsgericht anstrebt, diesmal hoffentlich mit Hilfe eines solidarischen Anwaltes.
Es ist eine Schande, das das kapitalistische System immer wieder von den Ärmsten der Gesellschaft absurde Geldbeträge einfordert, während den oberen Klassen mit Steuergeschenken geschmeichelt wird. In diesem Sinne: Wir brauchen ein solidarisches und sozialistisches Gesellschaftsmodell, in dem sich solche unglaublichen Vorgänge nicht mehr wiederholen dürfen.
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