Vielleicht waren es 50 Meter. Weiter kam die Demonstration am Samstag, 21. Dezember, in Hamburg nicht. Dann wurde sie von der Polizei mit Wasserwerfern und hunderten BeamtInnen gewaltsam gestoppt.
Die bis zu 10 000 DemonstrantInnen sollten nach Polizeiangaben Beamte mit Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen haben. So hieß es zunächst. Später berichtete der Polizeipressesprecher, dass der Demozug zu früh gestartet beziehungsweise „losgerannt“ sei.
Es war abzusehen, dass die Lage durch den gewaltsamen Stopp vollkommen eskalieren würde. Bei der Demonstration vor der „Roten Flora“ waren bis etwa 15 Uhr vom Lautsprecherwagen Redebeiträge zu hören. Die Telefonnummern der Demosanitäter und des Ermittlungsausschusses wurden bekannt gemacht. Musik durchzog das Hamburger Schanzenviertel.
Das Aufsteigen von Feuerwerksraketen um 15.08 Uhr galt als Startzeichen. So setzte sich der Zug in Richtung Altonaer Straße in Bewegung. Zur gleichen Zeit rannten hunderte Polizeibeamte der Demo entgegen. Noch im Lauf setzten sie die Helme auf. Direkt unter einer Eisenbahnunterführung trafen beide Gruppen aufeinander. DemonstratInnen schoben von hinten weiter nach. PolizistInnen prügelten von vorne mit Fäusten und Knüppeln auf die Menge ein. Erst jetzt, also erst nach dem Einschreiten der Polizei, flogen erste Feuerwerkskörper und Böller in Richtung der Behelmten.
Um 15.11 Uhr befanden sich zwei Wasserwerfer, gefolgt von einem Räumpanzer, unter der Unterführung. Hunderte Menschen wurden durch den Wasserstrahl zurückgedränt. Steine, Flaschen, Fahrräder und Verkehrsschilder wurden in Richtung der Fahrzeuge geschleudert. Ein Steinhagel ging auf BeamtInnen und Fahrzeuge nieder. Weiter hinten auf Höhe der „Roten Flora“ wurden Barrikaden errichtet. Immer wieder zertrümmerten AktivistInnen Gehwegplatten und sorgen so für einen nicht abreißenden Nachschub an Steinen.
Um 15.30 Uhr erklärte die Polizei die Demonstration für aufgelöst. Zu dieser Zeit sprachen wir mit einem Anwohner. Er bezeichnete das Verhalten der Polizei als provozierend und bewusst eskalationsfördernd. „Immer wenn die so was machen, ist hier nachher die Hölle los“, hieß es. Gemeint waren die BeamtInnen, die sich immer wieder prügelnd auf die Menschenmenge zubewegten, um daraufhin von Autonomen wieder zurückgeschlagen zu werden. Etwa eine Stunde lang wurden mehrere Tausend Personen eingekesselt.
Die Politik wollte mögliche Krawalle in der Innenstadt und auf St. Pauli in jedem Fall verhindern. Doch dafür war es nun zu spät. Gegen 16.30 Uhr brannte in der Schanzenstraße die erste Barrikade. Nach zwanzig Minuten wurde der Brand mit Hilfe eines Wasserwerfers gelöscht. Im Schutz der Dunkelheit setzten unzählige Kleingruppen von Vermummten auf eine Art Guerillataktik. Im Bereich des neuen Pferdemarktes wurden großflächig Gehwegplatten entfernt und zerkleinert. Hunderte Menschen mit Steinen in den Händen bewegten sich in südliche Richtung. Einsatzfahrzeuge wurden unvermittelt angegriffen, was bei den FahrerInnen oft zu hektischem und vollkommen unkontrolliertem Fahrverhalten führte. Nördlich der östlichen Reeperbahn waren in der Zwischenzeit dutzende Barrikaden errichtet und in Brand gesteckt worden. Ein beißender Geruch aus verschmortem Plastik lag über dem Viertel.
Unterdessen fuhr der Lautsprecherwagen, begleitet von hunderten Menschen, in die Kastanienallee. Sie wollten dort die für 16 Uhr geplante Kundgebung zum Erhalt der „Esso-Häuser“ abhalten. Auch während der Kundgebung, die mit 90 Minuten Verspätung begann, ging die Polizei wieder mit Pfefferspray und Knüppeln gegen die TeilnehmerInnen vor.
Auf der Reeperbahn fuhren derweil Wasserwerfer und Räumpanzer auf. Rettungswagen rasten die Straßen entlang, um Verletzte in die umliegenden Krankenhäuser zu transportieren.
Weiter östlich in der Kastanienallee hatten BeamtInnen etwa 150 Personen eingekesselt. Einen Grund für diese Aktion konnte uns auch nach mehrfachem Nachfragen niemand nennen. Um 19.30 Uhr dann eine neue Meldung: „Die haben keine Gefangenentransporter mehr frei.“ Hunderte Menschen befanden sich zu dieser Zeit bereits in Polizeigewahrsam. Hunderte andere waren verletzt. Einige von ihnen schwer.
Den ganzen Abend kam es immer wieder zu einzelnen Konflikten zwischen Vermummten und der Polizei. Was sich jedoch deutlich hartnäckiger hielt, waren die gezielt falschen Pressemitteilungen der Polizei. So berichtete der NDR noch um 22 Uhr von einer Eskalation, die von den DemonstrantInnen ausgegangen sei. Weshalb die ortsansässige Sendeanstalt offenbar keinen Reporter vor Ort hatte, der wahrheitsgemäß berichten konnte, und stattdessen blind auf eine Pressemitteilung der Polizei vertraute, wird ein Rätsel bleiben. Sie korrigierte später ihre Darstellung.
Fotos: Channoh Peepovicz und Malte Dörge
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