Was sich am 21. Dezember 2013 in Hamburg abgespielt hat, hätte wahrscheinlich so niemand erwartet. Es ist nicht nur bemerkenswert, sondern schlichtweg unfassbar, dass ein SPD-geführter Senat unter Olaf Scholz einen solchen Polizeiseinsatz vielleicht nicht anordnet, aber zumindest billigt und somit die Grundrechte tausender Demonstranten mit Wasserwerfern davonspült. Wie immer nach oder schon während großen missglückten Polizeieinsätzen wird schnell der gewalttätige Demonstrant herbeizitiert.
Beispiele hierfür gibt es unzählige. Die berühmtesten sind wahrscheinlich Blockupy 2013 in Frankfurt und die Stuttgart-21-Proteste im September 2010.
Wenn die dankbaren Medien die erste Pressemitteilung der Polizei geschluckt und verbreitet haben, rollt der Stein. Genau so war es auch in Hamburg. Doch wenn der Polizeipressesprecher anschließend behauptet, die Demo sei zu früh „losgerannt“ und man habe sie deshalb lediglich aufhalten wollen, macht er nicht nur sich, sondern den gesamten Rechtsstaat mit all seinen Paragraphen und dem riesigen Polizeiapparat lächerlich. Bereits in der Vergangenheit erwiesen sich solche Rechtfertigungsversuche als taktisches Desaster. Die Zeiten einseitiger Berichterstattung und zweiminütiger Beiträge in den Nachrichten sind mit der Verbreitung von Internet und Kamerahandys vorbei. Der leichtgläubige Tagesschauzuschauer gehört ebenfalls der Vergangenheit an.
Geändert hat sich am Vorgehen der Polizei jedoch nichts. Darf man einen Demozug stoppen, der vier Minuten zu früh startet? Vielleicht. Darf man einen bis dahin absolut friedlichen Demozug mit Knüppeln und Fäusten attackieren und anschließend mit Hochdruckstrahlern durch die Straßen treiben? Nein. Darf man sich wundern, wenn Demoteilnehmerinnen und -teilnehmer, denen es um eine wichtige Sache (Erhalt der Flora/Essohäuser, Bleiberecht für Flüchtlinge) geht, dann sauer werden? Sicherlich nicht.
Feuerwerksraketen und Bengalische Fackeln auf einer Demo kann man für gefährlich halten. Wenn sie entzündet wurden, rechtfertigt das aber noch lange keine solche Einschränkung der Grundrechte. Wahrscheinlich waren auch Menschen unter den Teilnehmern, denen es nicht um die Sache ging, sondern darum, vor den Feiertagen noch ein paar Firetage zu haben. Dann liegt es aber an den Beamten, diese Gewalttäter gezielt aus der Menge herauszugreifen. Dafür wurden sie ausgebildet, und dafür sind sie ausgerüstet.
Damit meine ich nicht eine überforderte BFE (Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit), die vor einem wütenden, von ihr selbst angestachelten und provozierten Mob von Vermummten steht, um ihn mit gezogenen Dienstpistolen in Schach zu halten. Ich meine vielmehr Menschen, die auch in stressigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren und rational handeln können.
Stattdessen tauchen dann wieder im Anschluss die zwei Vorsitzenden der Polizeigewerkschaften in den Medien auf, um sich in den Vordergrund zu drängen und gegenseitig mit absurden Forderungen nach Gummigeschossen und anderen haarsträubenden Sanktionen für „Krawallmacher“ zu überbieten.
Vielleicht sollten die Herren einfach mal die sozialen Probleme in einer Stadt wie Hamburg näher beleuchten. Hunderte syrische Flüchtlinge harren seit Monaten in Hamburg aus. Die Mieten steigen. Bezahlbarer Wohnraum ist knapp und wird immer knapper. Vielleicht würde es auch helfen, wenn der „Eigentümer“ der „Roten Flora“ Hansmartin Kretschmer seine gezielten Provokationen mit einem angesetzten Räumungstermin einen Tag vor der Großdemo unterlassen würde.
„Solche Gewalt gab es früher nicht“, hört man die Einsatzleitung dann reden. Nein, früher gab es auch kein Pfefferspray, das inflationär eingesetzt wurde. Es gab keinen Wasserwerfer, der nahezu „unverwundbar“ ist, und früher gab es auch keine komplett in Panzerplatten eingepackten Polizisten. Zu einem „Wettrüsten“ gehören immer zwei.
Und dann bleibt noch Björn Werminghaus – ein hessischer Polizeigewerkschafter, der per Twitter Demonstranten als „Abschaum“ bezeichnete. In den Kommentaren auf seiner Facebookseite sah es zur gleichen Zeit entsprechend aus. Einige Verfasser, vermutlich Kollegen von Werminghaus, waren der Meinung, dass „denen der Schädel eingeschlagen“ gehöre. Gehört eine solche Ausdrucksweise und innere Einstellung zu Menschen, die einen Rechtsstaat repräsentieren, seine Werte schützen und den Frieden im Land aufrechterhalten sollen?
Solange die Polizei und die Presse Demonstranten als „Chaoten“ oder „Abschaum“ bezeichnen, wird sich kaum etwas ändern. „Die Polizei ist nicht unser Gegner“, wurde auf den Stuttgart-21-Demos mantraartig heruntergeleiert. Auf die Fresse gab’s trotzdem.
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