Stuttgart, 01.03.2014 – Die Stimmung war aufgeheizt, doch die Polizei offenbar fest entschlossen, die Lage unter Kontrolle zu behalten, ohne eine starke Eskalation zu provozieren. Zirka 800 Gegner des neuen baden-württembergischen Bildungsplans demonstrierten am Samstagnachmittag abgeschirmt von den Einsatzkräften in der Stuttgarter Innenstadt. Das Motto der Demonstranten: „Gegen die Indoktrination unserer Kinder – Stoppt den Bildungsplan 2015“. In ihren Reihen fanden sich Männer, Frauen und Kinder aus konservativen und kirchlichen Kreisen, aber auch aus rechtsnationalen und rechtspopulistischen Organisationen wie der AfD. Die aggressiv auftretenden Ordner sprachen überwiegend osteuropäische Sprachen.
Die Bildungsplan-Gegner skandierten Parolen wie „Kinder brauchen Liebe, keinen Sex“. Auf ihren Transparenten stand „Kinder haben ein Grundrecht auf Natur, Mama und Papa“, „Stoppt Pornografie an Schulen“ oder „Familientod = Volkstod.“ Die Teilnehmer der auch gegen Homosexualität gerichteten Demonstration kritisierten, dass nach den Plänen der Landesregierung im Unterricht Toleranz und Verständnis für sexuelle Vielfalt und unterschiedliche Lebensweisen gelehrt werden sollen. Vom Schlossplatz zogen sie zum Staatstheater, wo die Demonstration nach gut zwei Stunden endete. Um ihnen den Weg frei zu räumen, setzte die Polizei vier Hundertschaften ein, darunter auch die Reiterstaffel.
Den Bildungsplan-Gegnern stellten sich rund 300 Protestierende aus dem linken und antifaschistischen Spektrum in den Weg. Einige bewarfen die Versammlung nach Polizeiangaben mit Tomaten, Orangen, Bananenschalen und Farbbeuteln. Sie versuchten, die Demoroute zu blockieren, wurden jedoch von martialisch auftretenden, mit Helm und Schlagstock, zum Teil auch mit Beinschützern ausgerüsteten und vermummten Polizisten abgedrängt, weggerissen und weggeschubst.
Die Polizei hatte nach eigenen Angaben schon vor 14 Uhr am Bahnhof 60 Personen kontrolliert. 40 Befürworter des neuen Bildungsplans aus der Reutlinger und Tübinger Gegend sollen dort eingekesselt worden sein. Während der Auftaktkundgebung umstellten die Beamten rund dreißig Protestierende und hielten sie auf dem Grün des Schlossplatzes fest, bis sich der Demozug ein Stück entfernt hatte. Die Beamten fassten die Protestierenden zum Teil rüde an, sie gebrauchten Fäuste und traten auch zu, um die Demoroute frei zu bekommen. Sie setzten aber kein Pfefferspray und ihre Schlagstöcke vor allem als Werkzeug zum Abdrängen ein.
Dennoch mussten die Demosanitäter zehn Verletzte behandeln. Am schwersten traf es einen jungen Mann, dem bei einem Polizeieinsatz der Unterkiefer ausgerenkt wurde. Es besteht der Verdacht auf einen Kieferbruch. Dreimal klagten Verletze über einen Schlag in den Bauch. Zweimal wurden die Sanitäter wegen Verstauchungen und Prellungen zu Hilfe gerufen, zweimal wegen Schürfwunden und dreimal aus sonstigen Gründen. Ihnen wurde auch von einer Platzwunde durch Schlagstockeinsatz berichtet, sie bekamen den Verletzten jedoch nicht zu Gesicht. Nach ihrer Erfahrung gibt es in der Regel eine Dunkelziffer von rund fünfzig Prozent.
Die Einsatzleitung der Polizei klagte über aggressives Auftreten der Gegendemonstranten, aber auch der Ordner der Bildungsplangegner. Sie berichtete von zwei voneinander unabhängigen Festnahmen wegen Verdachts auf Körperverletzung – je einer auf Seiten der Bildungsplan-Gegner und der Protestdemonstranten. Ein 23-jähriger Polizist sei durch einen Tritt in die Genitalien verletzt worden.
Auf dem Stuttgarter Marktplatz begann zeitgleich eine „Kundgebung für Vielfalt“, zu der das Christopher-Street-Day-Bündnis aufgerufen hatte. An ihr beteiligten sich auch Abgeordnete der Stuttgarter Regierungsparteien. An der Kundgebung und einem anschließenden Schweigemarsch durch die Stadt zum Schlossplatz nahmen nach Polizeiangaben 300 bis 400 Befürworterinnen und Befürworter des neuen Bildungsplans teil.
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