Wer Anja Röhl zuhört, den fröstelt es. In ihrem Buch „Die Frau meines Vaters“ beschreibt sie eine Kindheit im Deutschland der fünfziger und sechziger Jahre. Es ist ihre eigene. Die Tochter aus erster Ehe des früheren Konkret-Herausgebers Klaus Röhl wuchs auf in einer eisigen Zeit. So eisig, dass schon ein Lächeln sie nachhaltig zu verzaubern vermochte. Sie bekam es bei der ersten Begegnung von Ulrike Meinhof geschenkt, ihrer späteren Stiefmutter – dem einzigen Menschen, von dem sie sich als Kind ernst genommen und liebevoll behandelt fühlte.
Anja Röhl las im Linken Zentrum Lilo Herrmann in Stuttgart-Heslach aus ihrem Buch. Auf gut 150 Seiten nennt sie sich selbst nur „das Kind“ – und später nur „das Mädchen“ oder „die junge Frau“.
Ihr Text ruft bei Leserinnen und Lesern in ähnlichem Alter Erinnerungen wach. An das Schweigen, an die Sprach- und Lieblosigkeit der meisten Erwachsenen jener Zeit. An Schläge, Zurechtweisung, Scham und Einsamkeit, an das ständige Gefühl, ungewollt, überflüssig oder störend zu sein. Das alles kann auch heute einem Kind passieren, doch damals traf es nahezu eine ganze Generation: die Kinder von Krieg und Faschismus traumatisierter, um die eigene Jugend gebrachter Eltern, die sich in eine Kinderseele weder hineinversetzen wollten noch konnten und unbeschwertes Kinderlachen unpassend fanden. Die Verantwortung für ein Kind galt oft nur als Hindernis, den eigenen Lebenshunger zu stillen. Und in Schulen und Erziehungsheimen gehörten Schikanen und harte Strafen zum pädagogischen Inventar.

Anja Röhl, geboren 1955 in Hamburg,
Tochter aus erster Ehe von
Klaus Rainer Röhl.
Erster Beruf: examinierte Krankenschwester, später Studium: Germanistik, Psychologie, Sonderpädagogik und Kunst.
Arbeit als freie Dozentin und Theaterrezensentin für die junge Welt und Ossietzky, zahlreiche Veröffentlichungen.
Drei Kinder.
Foto: Denzinger/Beobachter News
Die unterschiedliche Sicht von Anja Röhl und Ulrike Meinhofs leiblichen Kindern führte dazu, dass die Autorin – durchaus werbewirksam – einige Passagen des Buches schwärzen musste. Zusätzliche öffentliche Aufmerksamkeit erlangte der Roman dadurch, dass Anja Röhl ihrem Vater Klaus sexuelle Belästigung, wenn nicht gar Missbrauch vorwarf.
„Es handelt sich um die Bearbeitung zeittypischer Themen in einem zeitgeschichtlichen Drama“, schreibt Anja Röhl. Ihren Weg aus Einsamkeit, Unterdrückung und Angst zu persönlicher Befreiung und politischer Emanzipation verdankt die Autorin aus eigener Sicht vor allem der Begegnung mit Ulrike Meinhof, die am Ende in Stuttgart Stammheim im Hochsicherheitstrakt zu Tode kam.
Anja Röhl
Die Frau meines Vaters
Erinnerungen an Ulrike
Originalveröffentlichung Gebunden mit Schutzumschlag,
160 Seiten
€ (D) 18,– € (A) 18,50
ISBN 978-3-89401-771-2
Erschienen Februar 2013
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