Warum sperrt sich die baden-württembergische SPD so vehement gegen einen NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags, der Akten einsieht, Zeugen befragt und Sachverständige anhört? Sie hat sich jetzt mit den Grünen auf eine „Enquete-Kommission“ geeinigt – ein stumpfes Schwert.
Die schwache Begründung für die Enquete-Kommission: Dann könnten auch externe Experten hinzugezogen werden. Auch die Jusos, die zunächst für einen Untersuchungsausschuss mit allen parlamentarischen Rechten gekämpft hatten, ließen sich abspeisen und beantragten beim SPD-Parteitag am Samstag in Wiesloch nur noch ein Präventionsprogramm. Das ist angesichts der Fülle offener Fragen nach den Verbindungen des NSU ins Land und nach dem Vorgehen von Polizei und Verfassungsschutz völlig unverständlich.
Es scheint ein Prinzip zu geben, nach dem Regierungen und vor allem die zuständigen Innenminister ihre Sicherheitsbehörden gegen bohrende Fragen des Parlaments abschotten wollen. Wie sonst ließe sich erklären, dass zwar die hessische SPD aus der Opposition heraus einen solchen Ausschuss gegen die schwarz-grüne Regierung durchsetzen will (Artikel FR), die in Baden-Württemberg mitregierenden Sozialdemokraten ihn jedoch ablehnen?
Ihr Hauptargument: Solange in München der NSU-Prozess läuft, könnten Zeugen die Aussage verweigern und ließen sich keine neuen Erkenntnisse gewinnen. Das verfängt jedoch nicht. Denn dann hätten auch die anderen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern keine spektakulären Ergebnisse erzielt. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Offenbar gibt sich der Landtag mit dem von Innenminister Reinhold Gall veröffentlichten Bericht einer Ermittlungsgruppe zufrieden, obwohl sie ja in eigener Sache tätig war. Dabei könnten nur die Abgeordneten selbst die Rolle der Behörden aufklären. Wie konnte es dazu kommen, dass sich baden-württembergische Polizisten im Ku-Klux-Klan engagierten? Gibt es im Land eine Neonazi-Schutzstaffel NSS, wie ein Zeuge aus der Szene vor dem NSU-Ausschuss des Bundestags sagte? Weshalb reisten Angehörige des NSU immer wieder ins Land? Weshalb blieben nach dem Mord an Michèle Kiesewetter Spuren wie die E-Mails der Polizistin, Zeugenhinweise und Phantombilder unberücksichtigt? Weshalb wurde die „Wattenstäbchen-Panne“, die wertvolle Beweise zerstörte, so spät bemerkt? Was hat es mit dem angeblichen Selbstmord eines Zeugen aus der Szene in einem brennenden Auto kurz vor seiner erneuten Vernehmung auf sich?
Nur äußerst gutgläubige Naturen können bei einer solchen Häufung von Merkwürdigkeiten an Zufall denken. Der Landtag darf nichts unversucht lassen, einen Beitrag zur Aufklärung der Verbrechensserie des NSU zu leisten und nach Helfershelfern zu suchen. So lange er keinen mit allen parlamentarischen Rechten ausgestatteten Untersuchungsausschuss bildet, bleibt der böse Verdacht, baden-württembergische Sicherheitsbehörden könnten etwas zu verbergen haben – und dabei politische Rückendeckung erhalten.
Berichte über Vorträge von Wolf Wetzel, Autor des Buchs „Der NSU-Komplex“, in Esslingen und des Journalisten Fritz Burschel, Beobachter des NSU-Prozesses und Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung, in Bernau bei Berlin folgen.
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