Am 28. April – nein, nicht am 1. April – 2014 konnte man im Saal 2 des Stuttgarter Amtsgerichts einer Gerichtsshow beiwohnen, die den total überzogenen Ermittlungs- und Verfolgungseifer einer bestimmten Abteilung der Staatsanwaltschaft gegen jegliche antifaschistische Regung offenbarte. Angeklagt war eine zur Tatzeit 18-jährige Frau, die sich doch tatsächlich erlaubt hatte, am 6. September 2013 gegen das Rassistenpack von „pro Deutschland“ zu protestieren (Bilder gibt´s hier).
Die Anklage kam von der Abteilung 1 der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Berühmt und berüchtigt. Bekannt für so manchen „Scherz“. Oft könnte man lachen. Aber das überzogene Vorgehen dieser Abteilung hat für die Betroffenen oft schwere Folgen. Der Abteilung 1 obliegt die Bearbeitung von Staatsschutzsachen. Sie ist die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart.
Die Staatsanwaltschaft warf der jungen Antirassistin vor, sich an Blockaden gegen den Aufzug der Rassistentruppe beteiligt zu haben. Die AktivistInnen landeten damals in einem Polizeikessel. Bei der Festnahme durch zwei Polizeibeamte soll sie sich „mit beiden Füßen gegen die Laufrichtung gestemmt“ haben. Sie, die zierliche, junge Frau. Hierin sah die Abteilung 1 eine Widerstandshandlung. Die Abteilung 1. Zuständig für den Staatsschutz.
Klar, man muss den Staat vor BürgerInnen schützen, die sich gegen Rassisten engagieren. Diese Abteilung ist nicht etwa dazu da, den Staat vor Rassisten und/oder Faschisten zu schützen. Sie ist offensichtlich zu deren Schutz installiert. Oder spinne ich mir da etwas zusammen? Wir leben zwar nicht im Deutschland des Hitlerfaschismus, aber irgendwie steigt doch immer wieder die Angst in mir hoch, dass eine Wiederholung der Geschichte nicht gänzlich ausgeschlossen sein könnte.
Es sind Menschen wie die Angeklagte, die mir die Hoffnung geben, dass nicht alle dieser Entwicklung gleichgültig gegenüber stehen. Menschen, die sich dagegen stemmen, dass sich der Rassismus weiter ausbreitet. Die sich nicht alles gefallen lassen – trotz staatlicher Repressionen. Solche Menschen geben mir die Kraft, weiter gegen faschistische Tendenzen zu kämpfen.
Zurück zur Show. Die Angeklagte absolviert derzeit ein „Freiwilliges soziales Jahr“, erhält hierfür ein Taschengeld in Höhe von 300 Euro im Monat. Sie beabsichtigt, anschließend eine Ausbildung zur Erzieherin zu beginnen. In ihrer Freizeit spielt sie Klavier, liest gerne und geht spazieren. Es gibt keine Vorbelastungen. Keine Vorstrafen. Alles in allem also offensichtlich eine brandgefährliche, linksorientierte Straftäterin. Ein Glück, dass es die Abteilung 1 gibt. Der entgeht nix.
Der Richter fühlte sich sichtlich unwohl bei dieser Veranstaltung und schlug vor, das Verfahren bei einem Geständnis der Angeklagten gegen eine Geldstrafe einzustellen. Er erklärte, er habe eine Bildungslücke und wisse nicht, wer oder was „pro Deutschland sei“. Die Verteidigerin klärte den Richter auf.
Der mit dem Fall betraute Staatsanwalt zeigte sich ebenfalls etwas befremdet. Er bezeichnete den Vorfall als „unterste Kante, was man als Widerstand einstufen kann“ und erklärte, dass auch er eine Einstellung als sinnvoll betrachte – „auch, wenn es aus Abteilung 1 kommt“.
Die Verteidigerin wollte eigentlich einen Freispruch erreichen. Nachdem sie sich mit ihrer Mandantin beraten hatte, bot sie aber ihr Einverständnis zur Einstellung des Verfahrens gegen eine Verwarnung an. Der Staatsanwalt erklärt seine Zustimmungsbereitschaft. Es habe schließlich keine Verletzte gegeben. Die Angeklagte habe zwar mit den Beamten nicht mitgehen wollen, „aber alles an der untersten Grenze“.
Richter Savas: „Die Beamten müssen tagtäglich viel mitmachen. Hier war es nicht so viel.“ Er erklärte das Verfahren für eingestellt. Die Angeklagte wurde vom Richter verwarnt. Er lobte sie aber für ihr politisches Engagement und fügte hinzu, sie solle sich zukünftig so wie bisher verhalten.
Dass junge Menschen vom Staat verfolgt werden, die sich antifaschistisch engagieren, ist mehr als ein Skandal. Es ist eine Indiz für die schleichende Faschisierung des Landes, die nicht geduldet werden darf.
Nachtrag: Aus gut unterrichteten Kreisen wurde unserer Redaktion zugetragen, dass es gestern, am 29. April 2014, mindestens eine Hausdurchsuchung bei AntifaschistInnen in Baden-Württemberg gegeben habe, und zwar im Zug der Ermittlungen zu Protesten gegen den Naziaufmarsch 2013 in Göppingen. Offensichtlich laufen mal wieder Ermittlungen mit dem Ziel, den notwendigen Widerstand zu kriminalisieren. Welche Abteilung wohl die Ermittlungen führt? Eins ist sicher: Das Treiben der Abteilung 1 in Stuttgart geht weiter. Der Widerstand auch!
Man sieht sich… auf der Straße… und im Gerichtssaal!
Euer
Ferry Ungar
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