Im Fensterrahmen im ersten Stock eines leer stehenden Hauses wird eine Fahne geschwenkt, Rauch in Blau und Rosa steigt auf. Ein Transparent an der Fassade fordert „Revolution statt Sozialpartnerschaft“: eine Szene am Rand der DGB-Demonstration am 1. Mai 2014 in Stuttgart. Zirka 5000 Menschen versammelten sich zur Kundgebung auf dem Marktplatz. 1200 beteiligten sich anschließend an der Revolutionären 1. Mai-Demo – deutlich mehr als im Vorjahr. Auffallend: Bei beiden Demonstrationen waren besonders viele MigrantInnen vertreten, unter anderem aus der Türkei, Kurdistan, Syrien oder Griechenland.
„Gute Arbeit. Soziales Europa“ war in diesem Jahr das Motto des DGB. Am Marienplatz startete am Donnerstag Punkt zehn Uhr ein langer Zug zum Marktplatz, angeführt von einer Trommelgruppe. Ihr folgten Abordnungen der DGB-Gewerkschaften, unter ihnen die IG-Metall-und die Verdi-Jugend, und viele weitere Gruppen – mittendrin ein antikapitalistischer Block mit Musik von Irie Revoltés vom Lautsprecherwagen. Am Ende lief eine Delegation mit Fahnen aus Satin in besonders intensivem Rot.
Auf dem Marktplatz erinnerte Philipp Vollrath, Chef des Stuttgarter DGB, daran, dass Inklusion als wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe nach GEW-Berechnungen 5600 neue Lehrer erfordern würde. Die grün-rote Landesregierung baue jedoch mit Hinweis auf sinkende Schülerzahlen Stellen ab. Mit Blick auf den Abriss des früheren Gestapo-Hauptquartiers Hotel Silber forderte er von der Stadt, sich ihrer historischen Verantwortung zu stellen.
Europa nicht rechten Rattenfängern preisgeben
Der baden-württembergische DGB-Vorsitzende Nikolaus Landgraf richtete einen Gruß an Kollegen in Griechenland, Portugal und Spanien. Er klagte über die hohe Jugendarbeitslosigkeit in diesen Ländern. Als Arbeitnehmer hätten alle die gleichen Interessen. „Wir alle sind Europa, nicht die Banken und die Konzerne“, sagte er: „Es ist unser Europa, das lassen wir uns nicht von rechten Rattenfängern kaputt machen.“
Beim Mindestlohn dürfe die Bundesregierung keine Ausnahmen zulassen, forderte Landgraf. Er kritisierte, dass sich prekäre Beschäftigung „wie ein Krebsgeschwür“ ausgebreitet habe. Der Missbrauch von Minijobs und Werkverträgen müsse ein Ende haben. Zu guter Arbeit gehöre auch mehr Mitbestimmung und innerbetriebliche Demokratie.
Polizei schikaniert Revolutionäre Demo
Noch während der DGB-Kundgebung begann die Polizei mit Kontrollen von Menschen, die auf den Marktplatz wollten. Zwei von ihnen wurden vom Schillerplatz zur Gefangenen-Sammelstelle gebracht. Dort und am Schlossplatz behinderte die Polizei auch Fotografen der Beobachter News bei ihrer journalistischen Arbeit (wir berichteten in unserem Live-Ticker). Auch am Hauptbahnhof gab es einen Polizeikessel.
Bei der Revolutionären Demonstration wandten sich die Rednerinnen und Redner der Kundgebungen unter anderem gegen kapitalistische Ausbeutung, gegen die Benachteiligung von Frauen, gegen Rassismus und menschenverachtende Behandlung von Flüchtlingen und gegen Kriegseinsätze. Die Polizei begleitete den Demozug mit einem engen Spalier von allen Seiten. Sie hatte 350 überwiegend martialisch ausgerüstete Beamtinnen und Beamte im Einsatz und hielt 100 bis 150 in Reserve. In Seitenstaßen waren auch berittene Beamte postiert.
Immer wieder Stopps wegen angeblicher Vermummung und Rauch
Eine ständige Verlegung von Einheiten, die am Demozug entlang mal hierhin und mal dorthin rannten, erzeugte permanenten latenten Stress. Der Aufforderung der Demo-Teilnehmer, das Spalier aufzulösen, kam die Polizei nicht nach – im Gegenteil. Sie hielt den Zug mehrfach an. So kesselten die Beamten etwa an der Ecke Olgastraße/Cottastraße die ganze Demonstration ein, weil rosa Rauch aufgestiegen war und angeblich Vermummungen gesichtet wurden.
Einen weiteren Zwischenfall gab es beim Marienhospital, weil die Demonstration angeblich zu schnell gelaufen war. Die Polizei stoppte den Zug mit einer zehnreihigen Sperre. Sie forderte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer per Lautsprecherdurchsage auf, „die normale Geschwindigkeit wiederherzustellen“. An der Ecke Böheimstraße/Adlerstraße hielten die Beamten den Zug erneut an. Es kam zu einem massiven Gerangel und Gedränge. „Der Zug bleibt solange stehen, bis hier eine Ordnung da ist“, hieß es per Lautsprecher – und wenig später: „Der Zug bleibt stehen, bis die Emotionen heruntergefahren wurden.“ Die Beamten hatten inzwischen ihre Sturmhauben aufgesetzt.
Demo-Ordner festgenommen
„Das ist unsere Demonstration, und die werden wir uns von der Polizei sicher nicht kaputtmachen lassen“, hielt die Menge entgegen und forderte „haut ab“. Am Erwin-Schöttle-Platz kam es ei zunehmendem Regen zu Rangeleien, als die Polizei gezielt versuchte, einzelne Personen aus dem Zug herauszulösen und festzunehmen. Dabei setzten die Beamten massive Gewalt ein, Menschen flogen durch die Luft. Schließlich wurde ein Ordner festgenommen.
Die Bilanz der Demosanitäter nach Abschluss der Demonstration: Es gab acht Verletzte, die meisten mit Schürfwunden. Eine Polizistin hätte Hilfe nötig gehabt, wollte sich aber von den Demosanitätern nicht behandeln lassen. Sie machten ihren Vorgesetzten auf die Notlage der Beamtin aufmerksam.
Abschlusskundgebung auf dem Erwin-Schöttle-Platz
Nach weiteren Redebeiträgen im strömenden Regen wurde die Versammlung ordnungsgemäß beendet. Im Anschluss hielt eine vermummte Person für die Revolutionäre Aktion Stuttgart noch einen Abschlussbeitrag. Anschließend formierte sich eine Spontandemonstration zum Lilo-Herrmann-Haus. Nachdem die Demonstrantinnen ihr Ziel erreichten, wurden sie abermals von Polizeieinheiten konfrontiert, die ihre Schikanen aber alsbald einstellten.
Internationalistisches Fest
Vor und im Lilo-Herrmann-Haus feierten die Leute mit einem internationalistischem Fest ihren 1. Mai. Es gab diverse vegane Köstlichkeiten, eine gepflegte Getränkeauswahl, viel Musik und jede Menge Informationen. Unter anderem hatten die Junge Welt, der Infoladen Stuttgart und die Beobachter News einen Infostand bereitgestellt.
Bilder von der DGB-Demo
Bilder von der Revolutionären 1. Mai Demo
Folge uns!