Tübingen. Auf dem Terrain der gutbürgerlichen Unistadt Tübingen gab der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel, Europakandidat der AfD, bei einer Sonntagabend-Veranstaltung jovial den hanseatischen Demokraten. Hätte ihm die Grüne Jugend mit eher hilflosem Protest keine Steilvorlagen geliefert, wäre seine dahinplätschernde Rede voll belangloser Anekdoten den 200 Zuhörenden in der örtlichen Turnhalle kaum in Erinnerung geblieben. Gewaltbereit trat die Partei dagegen am selben Wochenende in Magdeburg und Münster auf: Mal zeigt sie sich als Wolf, mal trägt sie Schafspelz – eine Betrachtung in drei Folgen.
Hans-Olaf Henkel mühte sich in Tübingen bis aufs Komma, der AfD einen seriösen Anstrich zu verpassen. Der 74-Jährige beschränkte sich weitgehend auf Wirtschaftsthemen und blendete die erzkonservativen Vorstellungen seiner Partei zur Familienpolitik ebenso aus wie das Thema Zuwanderung. Sie ist nach den Vorstellungen der AfD-Vorstellung nur dann gut, „wenn sie sich am Bedarf Deutschlands orientiert“, heißt es im Wahlprospekt der Partei.
Als Vorredner von Henkel sprach der emeritierte Tübinger Wirtschaftswissenschaftler Prof. Joachim Starbatty – ebenfalls über Siebzig und in den neunziger Jahren beim von der FDP abgespaltenen nationalliberalen „Bund freier Bürger – Offensive für Deutschland“ aktiv.
Im Gegensatz zu Henkel, den er erst überzeugen musste, ist Starbatty schon lange gegen den Euro. Er legte vergeblich Verfassungsbeschwerde gegen die Abschaffung der D-Mark und später mit Peter Gauweiler (CSU) gegen den EU-Rettungsfonds ein. Der örtliche AfD-Kreisvorsitzende Horst Speichert hatte die Versammelten begrüßt. Über 70 AfD-Mitglieder gebe es bereits in Tübingen. „Wir wachsen langsam, aber stetig“, erklärte er. Es ist zu befürchten, dass er den Mund nicht zu voll genommen hat. In aktuellen Meinungsumfragen zur Europawahl kommt die AfD auf 7 Prozent.
Die AfD stellt sich als Opfer einer Kampagne dar
Henkel hat nach eigenem Bekunden seine Meinung zum Euro erst geändert, nachdem ihn ein Gespräch mit Starbatty nachdenklich gemacht hatte und CDU-Kanzlerin Angela Merkel „die Brandmauer“ einriss. Der frühere BDI-Chef beschrieb die Eurozone in Tübingen als Patienten, wobei die Diagnose klar sei: „Er leidet am Euro.“ Für die südeuropäischen Länder sei die Währung zu stark, und sie hätten beim Umgang mit dem Staatshaushalt ohnehin „eine andere Kultur“.
„Wussten Sie, dass wir das einzige Land in der EU sind, wo man nicht gegen den Euro sein darf, ohne in die rechte Ecke gestellt zu werden?“, fragte Henkel rhetorisch. Es gehört zu Argumentationsmustern rechter Organisationen und auch der AfD, sich als Opfer einer Kampagne von Medien und etablierten Parteien darzustellen. Angeblich muss die AfD „Mut zur Wahrheit“ aufbringen, hatte der Tübinger Kreisvorsitzende gesagt.
Henkel kanzelt Protestierende ab
„Wir sind für ein Europa der Vaterländer ganz im Sinne von Charles de Gaulles und dem Lissabon-Vertrag“, erklärte Henkel – ein Europa „der Vielfalt, nicht der Einfalt“. „Können Sie sich ein Europa mit 24 Sprachen vorstellen, wenn selbst Belgien mit zweieinhalb Sprachen nicht funktioniert?“, polemisierte er.
Sein Publikum applaudierte, als er vorschlug, aus der Eurozone auszutreten oder mit starken Nordländern eine verkleinerte Währungsunion zu bilden. Ansonsten erhielt Henkel immer dann Applaus, wenn er die zwanzig bis dreißig Protestierenden abkanzelte, die sich vor der und später hinten in der Halle mit Transparenten aufgebaut hatten. Sie störten die Versammlung nicht offensiv, sondern versuchten nur, mit leisem Pfeifen, Hüsteln, Tuscheln oder lautem Hin- und Herlaufen auf sich aufmerksam zu machen.
Sie beteiligten sich sogar artig an der Diskussion und lieferten Henkel ein ums andere Mal Vorlagen, die der versierte Redner spielend verwandelte – wenn sie nicht ohnehin zum Eigentor wurden wie der Hinweis, ein wirtschaftswissenschaftliches Studium trage nicht unbedingt zur Bildung bei.
AfD unterstützt homophobe Bildungsplangegner
„Ist das die Toleranz, für die Sie stehen, wenn Ihre Partei homophobe, sexistische und ausländerfeindliche Parolen unterstützt?“, spielte eine junge Frau auf eine gegen den Feminismus gerichtete Kampagne der AfD-Jugend und die Aktionen der baden-württembergischen Bildungsplangegner an. Sie werden von rechten Parteien wie der NPD, aber auch der AfD und besonders von deren in konservativen Netzwerken verankerten Protagonistin Beatrix von Storch unterstützt, die ebenfalls gegen sexuelle Vielfalt kämpft.
In Tübingen gab die Frage Hans-Olaf Henkel Gelegenheit, seine Toleranz zu betonen. Er erklärte, er habe schon früh und ohne Vorbehalte Gespräche mit dem Verband homosexueller Unternehmer geführt. Das allerdings hat nicht das Geringste mit der Haltung seiner Partei zu tun.
(Folge 1 von 3 – Fortsetzung folgt)
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