Berlin. Am 21. Mai 2014 hat sich in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel die „Gefangenen Gewerkschaft der JVA Tegel“ als sogenannter nicht-rechtsfähiger Verein nach BGB § 21 i.V.m. § 54 gegründet. Somit nehmen die Inhaftierten ihre Grundrecht auf Koalitionsfreiheit war, welches im Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes verankert ist. Am 27.5.2014 wurde der Haftraum des Gewerkschaftssprechers, Oliver Rast, durchsucht.
In den vergangenen Jahrzehnten gab es verschiedene Anläufe zur Gründung von gewerkschaftsähnlichen Vertretungsformen in bundesrepublikanischen Haftanstalten die in der Regel über ein Anfangsstadium nicht hinaus kamen.
Hierzu erklärt die die „Gefangenen Gewerkschaft der JVA Tegel“: „Mit dem Schritt der real vollzogenen Gründung der „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA-Tegel“ betreten wir in der Tegeler Haftanstalt Neuland. Wir konnten in den vergangenen Tagen unter den Inhaftierten deutlich wahrnehmen, dass unsere basisgewerkschaftliche Initiative auf großes Interesse stößt.“
Der Sprecher der „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA-Tegel“, Oliver Rast, teilte hierzu mit: „Die JVA Tegel ist nun seitens der Gefangenen keine gewerkschaftsfreie Zone mehr. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, insbesondere die Frage des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes für beschäftigte Inhaftierte und die Frage nach einer Rentenversicherung für Gefangene in den öffentlichen Raum zu werfen. Bislang haben die Gefangenen in diesen Fragen keinerlei Lobby. Diese schaffen wir uns mit der Gefangenen Gewerkschaft der JVA Tegel nun selbst.“
Des weiteren betonte Rast, dass „wir darauf mit bestehenden Inhaftierten-Initiativen in Berlin und bundesweit kooperieren werden. Darüber hinaus setzen wir auf konkrete Zusammenarbeit mit verschiedenen Einzelgewerkschaften des DGB, gewerkschaftlichen Strömungen innerhalb und außerhalb des DGB sowie basisgewerkschaftlichen Organisationen.“
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Gründungserklärung der Gefangenen Gewerkschaft der JVA Tegel
Mit der Gründung der „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel“ als eine sogenannter nicht-rechtsfähiger Verein nach BGB § 21 i.V.m. § 54 schaffen wir uns als Inhaftierte eine Interessenvertretung, die insbesondere auf die Unterstützung der in den JVA’s arbeitenden Gefangenen zielt. Wir nehmen in diesem Zusammenhang auf das grundgesetzlich verankerte Recht der Koalitionsfreiheit Bezug, welches im Art. 9 Abs. 3 GG verankert ist. Unser Gewerkschaftsverein, den man als eine Art basisgewerkschaftliche Initiative oder „Spartengewerkschaft“ (ähnlich wie Cockpit und GDL) bezeichnen könnte, steht allen in Tegel einsitzenden Beschäftigten offen. Zwei Themen brennen uns auf den Nägeln: gesetzlicher Mindestlohn und Rentenversicherung. An diesem Punkten setzten wir an.
Die Gewerkschafts-Idee hinter Gittern praktisch werden lassen
Eine solche gewerkschaftliche Initiative von beschäftigten Gefangenen ist Ausdruck einer Normalisierung, d.h. einer Anpassung an jene Verhältnisse, die außerhalb der Haftanstalten vorherrschen.
In der Regel sind die in der Bundesrepublik tätigen Gewerkschaften ebenfalls wie unsere Initiative nicht-rechtsfähige Vereine. Als Inhaftierte schließen wir damit an eine gängige Praxis gewerkschaftlicher Organisierung an.
Da sich die Gründung der „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel“ nicht im Rahmen der sogenannten Gefangenenmitverantwortung nach § 160 StVollzG bewegt, haben wir einen Autonomiegrad als Inhaftierte erlangt, der es uns ermöglicht, im Sinne unserer Interessen innerhalb und außerhalb der Haftanstalt selbstorganisiert aufzutreten.
Wir sehen eine Parallele zum öffentlich-rechtlichen Sonderrechtsverhältnis der Beamten mit dem Staatsapparat, denn als Gefangene unterliegen gleichfalls einem Sonderstatus. Beiden Gruppen wird jeweils die Arbeit zugewiesen. Gefangene unterliegen weiterhin der sog. Arbeitspflicht (§ 41 StVollzG). Im Gegensatz zur Beamtenschaft, die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes gebildet hat, sind Gefangene ohne Gewerkschaft. Hier besteht Nachholbedarf, um dieses Ungleichgewicht auszugleichen.
Jahrzehntelang sind Projekte von „gewerkschaftsähnlichen Vertretungsformen“ in den JVA’s der Bundesrepublik bereits im Anfangsstadium gescheitert. Die Interessenvertretung Inhaftierter (Iv.I), die 2005 gegründet wurde, hat hinsichtlich der Gefangenenorganisierung eine Menge Vorarbeiten geleistet. Ergänzend hierzu ist unsere eigenständige und unabhängige Knast-Initiative einer Gewerkschaft zu sehen.
Auch wenn Gefangene in einem „öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis eigener Art“ und nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen, stellen sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Denn auch Inhaftierte haben lediglich ihre Arbeitskraft als Ware zum Verkauf anzubieten, um sich in den Haftanstalten beispielsweise über den erforderlichen Zusatzeinkauf zu versorgen oder ihre Angehörigen draußen finanziell zu unterstützen. In diesem Sinne sind sie faktisch Arbeitnehmer wie ihre Kollegen vor den Toren der JVA’s. Gefangenen den Arbeitnehmer-Status abzusprechen zu wollen, ist vor diesem Hintergrund absurd.
Gefangene bringen sich ein
Damit unsere Gewerkschaftsinitiative konkret Gestalt annehmen kann, ist vorzugsweise an zwei thematischen Strängen zu ziehen: Zum einem ist die frage des vorgesehenen flächendeckenden Mindestlohns von € 8,50 pro Arbeitsstunde aufzugreifen, da die Situation von arbeitenden Gefangenen in den bundesrepublikanischen Haftanstalten in diesem Kontext bislang kaum thematisiert wurde. Zum anderen ist wiederholt der Missstand anzuprangern, dass Inhaftierte, die innerhalb der Anstalt in den diversen Betrieben Arbeit verrichten, von der Rentenversicherung ausgenommen sind.
Vom Mindestlohn sollen laut Gesetzesvorlage Praktikanten, Beschäftige unter 18 Jahre und Langzeitarbeitslose ausgenommen sein. Damit ist der flächendeckende Mindestlohn bereits löchrig. Inhaftiere scheinen in dieser Debatte überhaupt nicht auf, obwohl Zehntausende von ihnen in den Haftanstalten u.a. für externe Konzerne Produkte fertigen und für staatliche Stellen arbeiten.
Der Ausschluss von der Rentenversicherung für Beschäftige in der Haft hat gravierende Folgen. Nicht nur, dass Rentenansprüche hierdurch minimiert werden, sondern es ist vorprogrammiert, dass Gefangene, die langjährige Haftstrafen abzusitzen haben, nach ihrer Haftzeit direkt in die Altersarmut entlassen werden.
Sowohl die Frage des Mindestlohn als auch die nach der Zukunft der Rente werden aktuell in der Gesellschaft breit diskutiert. Gefangene sind von diesen gesellschaftlichen Debatten ausgeschlossen. Ein Zustand, den wir ändern wollen.
Gewerkschaftliche Solidarität nach innen und von außen einfordern
Der Doppelcharakter einer gewerkschaftlichen Initiative besteht darin, dass sie nach innen genossenschaftlich-solidarisch, d.h. nach dem Prinzip gegenseitiger Hilfe organisiert ist, während sie nach außen als Verein die legitimen Forderungen der Arbeitenden der Anstalt vertritt.
Eine gewerkschaftliche Selbst-Initiative von Inhaftierten kann eine Voraussetzung sein, damit sich unter ihnen ein stärker ausgeprägter Gemeinschaftssinn und ein engeres Zusammengehörigkeitsgefühl entfallen können. Die Ausbildung kollektiver Interessenlagen kann über die Problematisierung der Arbeitsverhältnisse in den Knästen befördert werden. Wir erhoffen uns, dass wir von DGB-Einzelgewerkschaften (Verdi, IG Metal) und den verschiedenen basisgewerkschaftlichen Initiativen (IWW, FAU) eine konkrete Unterstützung erfahren, damit die Knäste für die Inhaftierten keine gewerkschaftsfreien Zonen mehr sind. Wechselseitige Unterstützung und eine beiderseitige Stärkung stellen wichtige Faktoren, um auf allen gesellschaftlichen Feldern die Gewerkschaftsfreiheit durchzusetzen. Warum sollte der Knast als „sozialer Ort“ davon ausgenommen sein?
Mit unserer Initiative setzen wir darauf, beispielgebend für Gefangene in anderen Haftanstalten der Bundesrepublik zu sein, damit die eigenen Belange nicht nur auf geduldigen Papier stehen, sondern vor allem auch gehört werden müssen. Die „Gefangen-Gewerkschaft der JVA Tegel“ will hierbei ein Sprachrohr sein.
Gefangen-Gewerkschaft der JVA Tegel – Ende Mai 2014
Sprecher: Oliver Rast // stellv. Sprecher: Attila-Aziz Genc
Seidelstraße 39
13507 Berlin
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Stellungnahme des Grundrechtekomitees zur Zellendurchsuchung des Inhaftierten Oliver Rast in der JVA Berlin-Tegel:
Am 27.5.2014 wurde der Haftraum des in der Berliner JVA Tegel inhaftierten Oliver Rast durchsucht. Grund der Durchsuchung war die wenige Tage zuvor erfolgte Gründung einer „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA-Tegel“, bei welcher Oliver Rast als Sprecher auftritt. Schriften und Aufzeichnungen, die in Zusammenhang mit der Gewerkschaftsgründung stehen, wurden bei der Durchsuchung beschlagnahmt.
Mit der Behinderung der gewerkschaftlichen Arbeit verletzt die JVA Tegel das in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Grundrecht auf Koalitionsfreiheit, das auch für Gefangene gilt. Auch in der Vergangenheit wurden gewerkschaftliche Organisierungsversuche von Inhaftierten stets von den jeweiligen Vollzugsanstalten unterbunden. Die erfolgreiche Gründung einer Gefangenengewerkschaft würde angesichts der menschenunwürdigen Entlohnung von Gefangenenarbeit ein äußerst begrüßenswertes Novum darstellen.
Das Grundrechtekomitee unterstützt die zentralen Forderungen der „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel“ nach einer wenigstens am geplanten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro orientierten Entlohnung von Gefangenenarbeit und nach einer Einbeziehung aller Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung.
Wir weisen an dieser Stelle darauf hin, dass das Grundrechtekomitee sich seit langem für die Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung einsetzt. Im Jahr 2011 wurde vom Komitee eine entsprechende Petition an den Bundestag auf den Weg gebracht, die von annähernd 6.000 Personen, darunter rund 3.400 Inhaftierten, unterzeichnet wurde. Der Petitionsausschuss hat im April die Petition an die Regierung und die Landesvertretungen überwiesen statt die Politik aufzufordern, dem Anliegen zu entsprechen.
gez. Christian Herrgesell
Gefangenenbeauftragter Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
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