Göppingen. Die Staatsanwaltschaft gab sich Mühe. Doch ihre Zeugen widersprachen sich. Auch deshalb gelang es der Anklage nicht, einem 22-Jährigen, der am 12. Oktober 2013 gegen den Göppinger Naziaufmarsch demonstriert hatte, gefährliche Körperverletzung nachzuweisen. Das Amtsgericht verurteilte den Elektriker aus Villingen-Schwenningen dennoch zu einer Geldstrafe von dreißig Tagessätzen zu je 40 Euro zuzüglich Gerichtskosten. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.
Der 22-Jährige stand am Montag wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Göppinger Amtsgericht. Ihm wurde vorgeworfen, sich bei der Demonstration mit einer etwa 45 Zentimeter großen, eingerollten Fahne bewaffnet und mit ihr einem Polizisten auf den Kopf beziehungsweise den Helm geschlagen zu haben. Bei der Verhandlung zeichnete sich jedoch rasch ab, dass die Anklage der Staatsanwaltschaft nicht zu halten war.
Der Elektriker machte keine Angaben zur Sache, verlas aber ein Statement (kann hier nachgelesen werden). Nach Aussage des Bereitschaftspolizisten aus Bruchsal, den er geschlagen haben soll, hatte er bei dem frontalen Angriff (keinem Angriff von hinten, wie ein anderer Polizist behauptet hatte) ein Folienschild vor das Gesicht gebunden. Entgegen der Anklageschrift sei die Fahne auch nicht zusammengerollt, sondern ausgerollt gewesen. Der Angeklagte soll den Angriff auf eine Distanz von etwa zwei Metern zum Polizisten verübt und sich dann kurzfristig weggedreht haben. So konnte der Polizist ihn an der Jacke festhalten und am Boden fixieren.
Ein anderer geladener Bereitschaftspolizist aus Bruchsal, der seinem Kollegen bei der Festnahme geholfen hatte, konnte das so nicht bestätigten. Auf Nachfrage von Richterin Insa Müller, wo der Angeklagte das Folienvisier trug, zeigte sich der Beamte unsicher, ob er es vor das Gesicht gezogen hatte, als er festgenommen wurde, oder ob es nur um den Hals hing. Auf die Frage der Richterin, wo denn die Fahne sei, antwortete der Beamte, er habe „keine Kenntnis über den Verbleib der Fahne.“ Die Beamten konnten auch nicht alle Fragen zu einer Sturmhaube genau beantworten, die der Angeklagte bei sich getragen haben soll.
Der Verteidiger hatte einen Freispruch gefordert. Er stelle sich unter einer Schutzwaffe etwas Stärkeres vor als eine Plastikfolie: „Hier ist die Grenze zum Taschentuch fließend.“ Die Verhandlung wurde vor der Urteilsverkündung kurz unterbrochen.
Richterin Müller ließ die Anklage wegen versuchter schwerer Körperverletzung fallen. Die Plastikfolie – eine einfache „haushaltsübliche Folie“, die nicht einmal einen Millimeter in der Dicke misst – reichte ihr jedoch, um den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetzt zu verurteilen. Die Richterin stufte die Folie als Schutzwaffe ein. Außerdem rechnete sie dem Angeklagten eine Sturmhaube zu, die im Polizeiwagen gefunden wurde. Er muss nun eine Strafe in Höhe von 1200 Euro bezahlen. Eine weitere Begründung der Richterin war, dass der Angeklagte im Vorfeld bereits mehrfach wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz aufgefallen sei. Der Verurteilte will möglicherweise Berufung einlegen.
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