Von Andreas Scheffel und Alfred Denzinger – Stuttgart. Ein 22-Jähriger muss eine Geldstrafe von 600 Euro zuzüglich Gerichtskosten zahlen, weil er am 1. Februar 2014 zusammen mit rund hundert anderen AktivistInnen eine Demonstration von Bildungsplangegnern in Stuttgart grob gestört haben soll. Dazu verurteilte das Stuttgarter Amtsgericht den Auszubildenden am Donnerstag, 12. Juni 2014. Die Polizei durchsuchte BesucherInnen der Verhandlung vor dem Prozess und kopierte ihre Ausweispapiere. Es waren rund 45 uniformierte Beamte im Einsatz.
Vor und nach dem Prozess gab es Kundgebungen auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Die TeinehmerInnen informierten PassantInnen mit Redebeiträgen, einem Infotisch und Flyern über den Prozess und seine Hintergründe.
Am 1. Februar 2014, einem Samstag, hatten sich in der Stuttgarter Innenstadt Homo-Hasser, AfDler, Neonazis, Islamgegner und sonstige reaktionäre Kräfte zum Protest gegen den Bildungsplan 2015 der grün-roten Landesregierung versammelt. Die homophobe Demonstration wurde von entschlossenen GegendemonstrantInnen verhindert (wir berichteten).
Bei der Verhandlung am Donnerstag war der Saal im Stuttgarter Amtsgericht mit bis zu vierzig ZuhörerInnen voll belegt. Der Angeklagte machte zum Tatvorwurf keine Angaben. Er verlas aber eine politische Erklärung, die hier nachgelesen werden kann.
Als das Gericht das Videomaterial abspielen ließ, schallten laute Sprechchöre in den Zuschauerraum. „Schützt unsere Kinder“ war von den Bildungsplangegnern zu hören. „Schützt eure Kinder vor euch selbst“ und „Haut ab, haut ab“ von den GegendemonstrantInnen. Staatsanwalt Marcus Höschele zeigte mehrfach dabei auf den Bildschirm. Er meinte, den Angeklagten erkannt zu haben. Verteidigerin Ursula Röder widersprach: „Ich habe den Angeklagten nicht sehen können, da das Videomaterial zu sehr verschwommen ist.“
Ein Staatschutzbeamter, der mit der Videoauswertung beauftragt war, will den Angeklagten mehrfach erkannt haben. Der Kriminalhauptkommissar war bei der Demonstration nicht vor Ort. Der Polizist versicherte den anwesenden Prozessparteien jedoch, er kenne die Demonstranten der linken Szene sehr gut. Schließlich sei er für die Video- und Bildauswertungen mit Bezug zur „linken Szene“ in Stuttgart zuständig. Der Angeklagte sei ihm von früheren Ermittlungen augenscheinlich bekannt.
Die Anklageschrift stützte sich ausnahmslos auf die Angaben des Videoauswerters. Verteidigerin Röder hinterfragte verschiedene Abläufe und die Herkunft verschiedener Informationen sehr genau. Dabei wurde sie mehrfach vom Staatsanwalt unterbrochen. Es kam zu einem starken Wortgefecht, bei dem Richter Gerhard Gauch dem Zeugen regelrecht die Aussage in dem Mund legte, dass „die Informationen von Kollegen“ stammten. „Der Zeuge weiß es nicht mehr genau, von wem er die Einzelheiten erfahren hat. Daher kann er keine weiteren Zeugen benennen“, mutmaßte Richter Gauch.
Der Staatsschützer gab an, etwa vierzig GegendemonstrantInnen angezeigt zu haben.
Die Verteidigerin plädierte dafür, ihren Mandanten freizusprechen. Staatsanwalt Höschele forderte eine Geldstrafe von 800 Euro zuzüglich der Gerichtskosten wegen grober Störung gemäß § 21 Versammlungsgesetz.
Richter Gauch genügte die Beweisführung, um den Angeklagten wegen grober Störung einer Versammlung zu verurteilen. Der Auszubildende muss nun eine Strafe von 600 Euro bezahlen.
Wie schon am frühen Morgen versammelten sich AktivistInnen nach dem Urteil erneut auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Sie informierten PassantInnen über den Ausgang des Prozesses.
Für Samstag, 28. Juni 2014, 15 Uhr, haben Bildungsplangegner erneut eine Demonstration auf dem Stuttgarter Schlossplatz angemeldet. Ein breites Bündnis ruft zu Gegenprotesten auf. Den Aufruf gibt´s hier.
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