Stuttgart. Eine Allianz von Gegnern des neuen baden-württembergischen Bildungsplans und rechten Unterstützern zog am Samstagnachmittag durch Stuttgart. Die Polizei bot massive Einsatzkräfte auf, um der vierten Demonstration dieser Art in Stuttgart den Weg zu ebnen. Die Beamten kesselten zirka hundert Gegendemonstranten über mehrere Stunden ein. Insgesamt nahmen sie nach Angaben der Betroffenen 135 Personen fest.
Nach Polizeiangaben wurde ein unbeteiligter 50-jähriger Passant durch einen Böller leicht verletzt. Die Allianz der Bildungsplangegner hatte überregional zum Protest in Stuttgart aufgerufen. Sie kündigte bis zu 5000 Teilnehmer an. So bot die Polizei gut 800, eher an die tausend Beamte auf, um den Aufmarsch abzusichern. Die vielen vor dem Neuen Schloss und in der Umgebung abgestellten Einsatzfahrzeuge prägten das Bild. Tatsächlich kamen nach Zählung der Veranstalter jedoch nur 1007 Männer, Frauen und Kinder auf den Schillerplatz, um gegen den Bildungsplan zu demonstrieren. Die Polizei sprach von zirka 700. Die Zahl der Gegendemonstranten lässt sich nur schwer schätzen. Es dürften 400 bis 500 gewesen sein.
Sie hatten ihren Anlaufpunkt auf dem Stauffenbergplatz, wo es auch einen Infostand gab. Schon dort nahm die Polizei einen Gegendemonstranten fest. Er soll einen der rechten Szene zuzurechnenden Fotografen mit einer roten Fahne behindert haben. Wenig später setzte die Polizei Schlagstöcke und Pfefferspray ein, um den Schillerplatz für die rechte Allianz freizuhalten. Deren Gegner hatten versucht, von der Dorotheenstraße her Hamburger Gitter zu überwinden. Kurz danach sollen Gegendemonstranten nach Polizeiangaben ein geparktes Auto beschädigt haben.
Polizei hält hundert Gegner der rechten Allianz fest
Auch die Zahl Uniformierter auf der anderen Seite des Platzes zum Neuen Schloss hin war groß. Dort zog eine Gruppe junger Gegner der rechten Allianz mehrfach zwischen Stauffenbergplatz und Königstraße hin und her und skandierte antifaschistische Parolen. Als sie versuchte, über die Terrasse der Gaststätte Alte Kanzlei zu den Bildungsplangegnern auf dem Schillerplatz zu gelangen, ließ die Polizei die Falle zuschnappen. Sie riegelte den Rückweg ab – unter anderem mit Pferden.
„Sie sind jetzt umschlossen. Bitte bleiben Sie ruhig und friedlich. Ihre Personalien werden jetzt festgestellt“, so die Durchsage der Polizei. Im einsetzenden Regen drängten die Beamten auch Pressevertreter ab, die das Geschehen in Wort und Bild dokumentieren wollten. Die Polizei ließ sich mehrere Stunden Zeit, die Personalien der rund hundert Eingeschlossenen festzustellen, und karrte extra mobile Toilettenhäuschen heran. Die Beamten brachten die Festgenommenen erst zum Revier, als der Anpfiff des Fußball-WM-Spiels Brasilien gegen Chile nahte, das auf die Leinwand auf der Terrasse übertragen werden sollte. Bei einigen der Durchsuchten fand die Polizei nach eigenen Angaben Böller und Schutzausrüstungen.
Auch Kinder mit Parolen der Bildungsplangegner
Die Kundgebung der Bildungsplangegner begann Schlag 15 Uhr auf dem Schillerplatz. Die Veranstalter der so genannten „Demo für alle“ hatten hellblaue und rosafarbene Luftballons und Schilder wie „Stoppt die Sexualisierung der Kinder“ ausgeteilt. Viele Demonstrationsteilnehmer trugen T-Shirts, Pullover und Jacken mit entsprechenden Aufschriften – vor allem auch Kinder jeden Alters.
Die Gegner des Bildungsplans der grün-roten Landesregierung wehren sich vehement dagegen, dass Kinder in der Schule zu Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensformen erzogen werden, und sprechen von Indoktrination. Als Eltern haben sie jedoch offenbar keine Scheu, selbst Grund- und Vorschulkinder politisch zu instrumentalisieren, ihnen T-Shirts mit entsprechenden Parolen anzuziehen oder Luftballons und Schilder in die Hand zu geben, deren Aufschrift sie noch nicht einmal lesen können.
Grußwort des AfD-Landesvorsitzenden
Wie bei den vorausgehenden Demonstrationen gegen den Bildungsplan sprachen die überwiegend schwarz gekleideten, technisch gut ausgerüsteten Ordner überwiegend Russisch. Die Veranstalter, die sich als gut bürgerliche Bewegung darzustellen versuchen, hatten dazu aufgerufen, anders als vor der Europawahl auf Parteifahnen zu verzichten. Dennoch waren etwa Buttons der AfD und eine Fahne der Identitären zu sehen, einer zur neuen Rechten gehörenden Gruppierung. Die AfD ließ auch ein Grußwort ihres Landesvorsitzenden und neu gewählten Europaabgeordneten Bernd Kölmel verlesen.
Unter den Kundgebungsrednern war Hans-Christian Hausmann, der stellvertretende Kreisvorsitzende der Stuttgarter CDU. Er betonte aber, er spreche als einfaches Parteimitglied. Auch ein Redner der CDL (Christdemokraten für das Leben) trat auf. Dagegen war es nur einigen wenigen Gegnern der rechten Allianz gelungen, auf den Platz vorzudringen. Einige hatten Spaß-Schilder wie „Kein Sex vor dem ersten Kind“ dabei.
Nahezu ungehindert zum Staatstheater
Nach der Kundgebung stellten sich die Träger des Fronttransparents in Absprache des Versammlungsleiters mit der Polizei zunächst in Richtung Dorotheenstraße auf – eine Finte. Sie drehten quer über den Platz ab hin zur Alten Kanzlei. Mehrere Ketten Polizeibeamte drückten, drängten und schubsten die durch die Festnahmen geschwächte Gruppe der Gegendemonstranten vor sich her. Einige Polizeipferde scheuten vor platzenden Luftballons und kamen mit ihren Hufen Demonstrierenden gefährlich nah, weil ihre Reiter sie nicht mehr unter Kontrolle hatten.
Der Zug der Bildungsplangegner ähnelte einer Prozession, deren Teilnehmer monoton Gebete murmeln: „Vater, Mutter, Kinder – Familie voran.“ Dagegen sangen Gegner der rechten Allianz in Hörweite „Eure Kinder werden so wie wir“. Die Bildungsplangegner konnten den Platz vor dem Neuen Schloss weitgehend ungehindert, aber auch ohne nennenswerte öffentliche Aufmerksamkeit überqueren. Durch den Schlossgarten zogen sie zum Staatstheater, wo die Polizei die Gegendemonstranten erneut abdrängte. Bei der Schlusskundgebung bedankte sich die Moderatorin ausdrücklich bei den Kindern, ebenso bei der Polizei. Sie kündigte an wiederzukommen: Man wolle zu einer Massenbewegung wie in Frankreich werden. Zur nächsten Demonstration werde nach den Sommerferien aufgerufen.
In Partystimmung gegen die rechte Allianz
Während die Bildungsplangegner vor dem Theater einen Countdown zum Start ihrer Luftballons abzählten, machten sich Gegendemonstranten mit Regenbogenfahnen und Transparenten auf den Weg durch den See. Parolen wie „Hoch die internationale Solidarität“ oder „Eins, zwei drei, lasst die Kinder frei“ erschallten. Musik von Irie Revolté sorgte für Partylaune, eine junge Frau machte große Seifenblasen. Eine Polizeikette sicherte den Platz mit den Bildungsplangegnern zum Ufer hin ab. „Unterlassen Sie das Bespritzen der Polizeibeamten“, lautete eine Durchsage. Zuletzt zogen einige Gegner der rechten Allianz erneut zur Alten Kanzlei. Sie forderten von der Polizei, die noch immer dort Festgehaltenen freizulassen.
Die Polizei berichtete, dass zur Versorgung des durch einen Böller leicht verletzten Unbeteiligten ein Rettungswagen gerufen wurde. Von weiteren Verletzten war den Beamten nichts bekannt – sehr wohl hingegen den Demosanitätern. Sie berichteten von elf Verletzten, wenn man die die Dunkelziffer berücksichtigt wohl eher zwanzig. Sie behandelten neun Opfer des Einsatzes von Pfefferspray. Dabei kamen in einem Fall leichte Kreislaufbeschwerden hinzu. Überdies versorgten die Sanitäter einen bei polizeilichen Maßnahmen aufgeschürften Ellenbogen und eine Fingerprellung mit Hämatom durch Schlagstock-Einsatz.
Bilder des Tages von Rettig, Berger und Denzinger
johanna meint
Die Forderung nach Toleranz geht zu weit, verletzt das Indoktrinationsverbot und ist somit verfassungsfeindlich (Verfassungsrechtler Palm)
Reicht es nicht,dass bei s21… wahrscheinl massenhaft Gesezte gebrochen u Sondergenehmigungen geschaffen werden?!
johanna meint
Ich meinte Akzeptanz, statt Toleranz.
Toleranz ja-Akzeptanz geht zu weit.