Stuttgart. Das Amtsgericht in Stuttgart-Bad Cannstatt verurteilte am 7. Juli 2014 einen jungen Mann zu vierzig Arbeitsstunden. Richterin Iris Käppler-Krüger sah es als bewiesen an, dass sich der 19-jährige Heilerziehungspfleger-Azubi beim Protest gegen einen Naziaufmarsch der Aufforderung zu Straftaten und am Karrierezentrum der Bundeswehr der Sachbeschädigung schuldig gemacht hat. Das Gericht sah davon ab, ihm auch die Gerichtskosten aufzuerlegen.
Vor dem Gerichtsgebäude beobachtete eine Polizeistreife die ankommenden ZuhörerInnen. Rund zwanzig interessierte ProzessbeobachterInnen verfolgten im großen Saal 1 des Cannstatter Amtsgerichts die Verhandlung.
Staatsanwältin Arndt („mein Vorname tut nichts zur Sache“) warf dem jungen Mann vor, er habe sich am 12. Oktober 2013 in Göppingen an einer „linksorientierten Versammlung“ beteiligt, die eine „rechtsgerichtete Versammlung stören, beziehungsweise verhindern“ wollte. Bei diesem Vorhaben sei er zusammen mit anderen Gegendemonstranten „von der Polizei rechtmäßig eingekesselt“ worden (wir berichteten). Bei dieser Gelegenheit soll er nichteingekesselten antifaschistischen Demonstranten „kommt, macht schon, holt uns hier raus“ zugerufen haben.
Der zweite Straftat soll er am 25. Januar 2014 in Stuttgart begangen haben. Am Karrierezentrum der Bundeswehr in der Heilbronner Straße soll er zusammen mit anderen Beteiligten an einen Baucontainer und an eine Fassade „NO WAR“ mit schwarzer Farbe gesprüht haben. Der Schaden soll 2000 Euro betragen.
Somit habe sich der Angeklagte der Sachbeschädigung und der „öffentlichen Aufforderung zu rechtswidrigen Taten ohne Erfolg“ strafbar gemacht.
Die Zeugen: Einer weiß es nicht mehr und der andere hat es im Gefühl
Der erste Polizeizeuge gab an, dass es bei seinem Einsatz am 12. Oktober 2013 in Göppingen zu zahlreichen unfriedlichen Gegenveranstaltungen zum Naziaufmarsch gekommen sei. Er will vom Angeklagten zwei Meter entfernt gestanden haben, als dieser die vorgeworfene Aufforderung gerufen haben soll. In diesem Bereich hätten circa 60 Polizeibeamte rund 150 GegendemonstrantInnen eingekesselt, da diese mehrfach versucht hätten, die Polizeiabsperrungen in Richtung der Nazis zu überwinden. Ein „Mob“ sei angestürmt gekommen. Es gab polizeiliche Lautsprecherdursagen. Später habe er auf den Angeklagten gezeigt und seinen Kollegen gesagt, dass dieser Mann zu Straftaten aufgefordert habe.
Auf die Frage des Verteidigers, ob er denn ausschließen könne, dass sich der Mann wegbewegt habe, gab er an: „Ausschließen kann ich das nicht.“ Auf die weitere Frage, was er am Angeklagten denn besonderes erkannt habe, sagte er: „Es war sein Outfit.“ „Welches Outfit?“ Das wisse er nicht mehr. Aber damals schon. Den Ausruf will der Polizeibeamte an der Marktstraße vom Angeklagten gehört haben, als der „Mob da runter kam“.
Der zweite Polizeizeuge sagte zur vorgeworfenen Sachbeschädigung am Bundeswehr-Karrierecenter aus. Er sei über Funk im Streifenwagen über die Tat informiert worden und dann in Richtung der Stuttgarter Wagenhallen und der S21-Baustelle gefahren. Der Angeklagte sei dort einen Fußweg heruntergekommen. Er habe die Personalien festgestellt und Fotos vom Angeklagten angefertigt. Der Beschuldigte habe Farbspritzer auf seiner Kleidung gehabt. Die Prozessbeteiligten nahmen die Lichtbilder in Augenschein. Der Verteidiger Axel Oswald hinterfragt: „Ketchup?“ Der Zeuge erwidert, „nein, Farbe!“ „Sind sie Sachverständiger?“ – In der Folge stellte es sich heraus, dass der Zeuge die Farbe nicht genau bestimmen konnte. „Ob es rot war, das weiß ich nicht mehr. Auf dem Foto sieht es rot aus.“ Rechtsanwalt Oswald hielt dem Zeugen vor, er habe gesagt, dass es dunkle Flecken waren. „Können sie ausschließen, dass es keine Farbe war?“ Der Zeuge antwortete mit einem klaren „Nein“. Auf die Frage, warum er dann „Farbe“ angegeben habe, kam die etwas leise Antwort: „Weil ich das im Gefühl hatte.“
Der dritte Polizeizeuge war mit der Aufnahme der Tat vor Ort beschäftigt. Er berichtete von zahlreichen Fotoaufnahmen, einem Bauzaun vor dem Gebäude und von zwei Containern. Von aufgesprühten Parolen und aufgehängten Bannern. Er habe Transparente und Holzkreuze sichergestellt.
Es folgte die Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe. Die Anklagepunkte trügen „jugendliche Züge“, daher plädierte sie für Arbeitsauflagen statt für eine Geldbuße.
Der Angeklagte verlas eine politische Erklärung, die hier nachgelesen werden kann.
„Die politischen Parolen passen zum Angeklagten“ – „Motivation lobenswert, aber…“
Staatsanwältin Arndt führte in ihrem Schlussplädoyer aus, es stehe in beiden Fällen fest, dass es sich im wesentlichen so abgespielt habe, wie es vorgeworfen wurde. Die polizeilichen Maßnahmen in Göppingen seien rechtmäßig gewesen. Der Zeuge habe den Angeklagten klar erkannt. Natürlich seien alle anderen Szenarien denkbar. Ausschließen könne man im Leben überhaupt nichts. Aber eine Verwechslung sei doch sehr unwahrscheinlich. Die Aufforderung zur Gefangenenbefreiung sei eine Straftat. Auch beim Bundeswehr-Karrierecenter sei denkbar, dass es anders gewesen sein könnte. Aber es gebe keine wirklichen Zweifel. Die gesprühten Parolen passten zu der politischen Einstellung des Angeklagten. Es gebe keinen Zweifel, dass der Angeklagte an der Sachbeschädigung beteiligt gewesen sei.
Die Motivation sei durchaus lobenswert, aber die Mittel seien nicht die richtigen. Antrag: 60 Arbeitsstunden.
Mangelnder Tatnachweis und „reine Lachnummer“
Rechtsanwalt Axel Oswald erklärte in seinem Schlussplädoyer, sein Mandant sei in beiden Anklagepunkten freizusprechen. Die Formulierung „Mob“ des Zeugen spreche für ein Szenario, das dessen Aufmerksamkeit beansprucht hätte. Auf den anstürmenden „Mob“ achtend, habe er sich nicht auf den Angeklagten konzentrieren können. Somit sei von einem mangelnden Tatnachweis auszugehen. Darüber hinaus könne ein Gefangener gemäß § 120 Strafgesetzbuch nicht Anstifter sein. Bei Anklagepunkt 2 sei ein Tatnachweis nicht zu führen. Der Angeklagte müsse nicht seine Unschuld beweisen, sondern die Tat müsse nachgewiesen werden. „Gefühlte Farbe“ sei eine „reine Lachnummer“. Somit „Freispruch in allen Anklagepunkten“.
Das Urteil: Schuldig! 40 Arbeitsstunden. Von der Auferlegung der Gerichtskosten wir abgesehen. Die eigenen Kosten sind vom Verurteilten zu tragen.
Richterin Iris Käppler-Krüger führte in ihrer Urteilsbegründung aus, beide Taten seien nachgewiesen und beides sei strafbar. Eine Verwechslung in Göppingen sei unwahrscheinlich. „Sie waren nicht wegen dem Krawall in Göppingen, aber sie wussten, was sie tun.“ Zur Sachbeschädigung: „Reicht das, ihnen das nachzuweisen?“ Ja, „mit zur Verurteilung ausreichender Sicherheit“. Eine Berufung ist innerhalb einer Woche möglich.
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