Brüssel. Die Initiative gegen die Privatisierung der Wasserversorgung hat es vorgemacht. Auf ähnliche Weise will eine Europäische Bürgerinitiative die Verhandlungen zwischen der EU und den USA über das Freihandelsabkommen TTIP zu Fall bringen. Am Dienstag, 15. Juli 2014, hat sie pünktlich zum Start der sechsten Verhandlungsrunde über TTIP ihren Antrag auf Registrierung bei der Europäischen Kommission gestellt. Das erklärte die Initiative bei einer Pressekonferenz.
Hinter der Initiative stehen knapp 150 Organisationen aus 18 EU-Mitgliedsländern. In Deutschland koordinieren die Organisationen Attac, Campact, BUND, Mehr Demokratie e.V., das Umweltinstitut München und der Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) die EBI. Auch Brot für die Welt, der Deutsche Kulturrat und die GEW gehören dem Bündnis an, das stetig weiter wächst.
Der Initiative könnte der wachsende Unmut im Europaparlament über dir weitgehend geheimen Verhandlungen zugute kommen. Sie fordert die EU-Kommission auf, dem EU-Ministerrat zu empfehlen, das Verhandlungsmandat über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) aufzuheben und auch das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) mit Kanada nicht abzuschließen.
„Im Zentrum unserer Kritik steht der demokratiepolitische Aspekt der geplanten Abkommen: Es werden hinter verschlossenen Türen Regeln beschlossen, die weitreichende Folgen für über 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger in den 28 Mitgliedstaaten der EU haben. Dagegen wehren wir uns“, so Michael Efler, Vertreter des Bürgerausschusses der Bürgerinitiative und Vorstandssprecher des Bundesverbands Mehr Demokratie e.V.
Besonders kritisch sieht er die geplanten Regelungen zum so genannten Investitionsschutz. Sie räumen ausländischen Investoren die Möglichkeit ein, gegen Staaten zu klagen, wenn sie etwa durch Steuer-, Umwelt- oder Arbeitsschutzgesetze ihre Gewinnmöglichkeiten eingeschränkt sehen – und zwar nicht vor ordentlichen rechtsstaatlichen Gerichten, sondern vor privaten Schiedsgerichten. „Demokratie vor Lobbyinteressen“ ist auch der Grund für Attac, sich gegen die geplanten Abkommen TTIP und CETA zu wenden.
Mit einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI) ist es Bürgerinnen und Bürgern der EU-Staaten seit dem 1. April 2012 möglich, die Europäische Kommission aufzufordern, eine Gesetzesinitiative zu ergreifen. Gleichzeitig erzwingt eine erfolgreiche EBI eine Anhörung im EU-Parlament. Notwendig sind mindestens eine Million Unterschriften aus mindestens sieben verschiedenen Mitgliedstaaten.
Hier die Gründungserklärung der Bürgerinitiative
Menschen, Umwelt und Demokratie vor Profit und Konzernrechten
Gemeinsame Erklärung europäischer zivilgesellschaftlicher Gruppen gegen die Bedrohung durch TTIP, Mai 2014
1. Wer sind wir?
Wir sind eine EU-weiter Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Organisationen, die äußerst besorgt sind über die verschiedenen Bedrohungen durch die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTP – Transatlantic Trade and Investment Partnership – (auch bekannt als Transatlantisches Freihandelsabkommen oder TAFTA -Transatlantic Free Trade Agreement -). Wir vertreten eine Vielzahl von Interessen der
Öffentlichkeit, unter anderem in den Bereichen Umweltschutz, Gesundheitswesen, Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Schutz von Lebensmittel- und Landwirtschaftsstandards, Tierwohl, soziale Standards, Arbeitsschutz, Arbeitnehmer_Innenrechte, Entwicklung, Zugang zu Informationen, digitale Rechte, grundlegende öffentliche Dienstleistungen einschließlich Bildung, Stabilität der Finanzsysteme und weitere.
Wir sind entschlossen, die laufenden Verhandlungen zum TTIP-Abkommen zu hinterfragen und für eine transparente und demokratische Debatte zu sorgen. Alle Vereinbarungen müssen dem öffentlichen Interesse und unser aller Zukunft dienen.
2. Was ist TTIP?
TTIP ist ein weitreichendes Abkommen, über das die Europäische Kommission (im Namen der EU-Mitgliedsstaaten) und die Regierung der USA gerade verhandeln. Es geht dabei weniger um Handel, da die Zölle zwischen der EU und den USA schon jetzt größtenteils sehr niedrig sind. Vor allem geht es um Regulierung, Standards,
Konzernrechte und Investitionsgarantien.
Das vorgeschlagene TTIP-Abkommen dient angeblich dazu, für Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks direkte Investitionen zu erleichtern und unnötige bürokratische
Hürden beim Marktzugang zu beseitigen. Es gibt aber aus Wirtschaft und Industrie Hinweise darauf, dass der Fokus auf nichttarifäre Barrieren und Vereinheitlichung der Regeln dazu genutzt wird, um Deregulierung, höhere Investitionsgarantien, die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte, die zu Monopolen führen können, und den Wettlauf nach unten voranzutreiben. Sogar im bestmöglichen Fall sind die vorausgesagten, aber unbewiesenen wirtschaftlichen Vorteile für die Gesamtgesellschaft sehr gering.
Bisher weist alles darauf hin, dass die Ziele des Abkommens wichtige, in langen Kämpfen errungene demokratische Rechte und soziale Interessen der Gesellschaft in der EU, in den USA und weltweit bedrohen. Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt, ohne eine umfassende und wirksame öffentliche Konsultation. Die Parlamente der Einzelstaaten kennen ebenfalls keine Details aus den Verhandlungstexten der Kommission – aber die wenigen Informationen, die veröffentlicht oder durchgesickert sind, verstärken unsere erheblichen
Bedenken.
3. Was beunruhigt uns?
– Der Mangel an Transparenz und demokratischen Verfahren, der es den Bürger_Innen und der Zivilgesellschaft unmöglich macht, die Verhandlungen zu beobachten, um sicherzustellen, dass das öffentliche Interesse gewahrt bleibt. Zurzeit sind die
Verhandlungen extrem unausgewogen: Lobbygruppen der Wirtschaft erhalten privilegierten Zugang zu Informationen und können Einfluss auf die Verhandlungen nehmen.
– Das vorgeschlagene Kapitel zum Schutz von Investitionen,
besonders die Bestimmungen zum “Investor-State Dispute Settlement”. ISDS-Mechanismen räumen Investor_Innen ein Sonderklagerecht gegen Staaten ein, wenn demokratische
Entscheidungen – von öffentlichen Einrichtungen im öffentlichen Interesse vorgenommen – angeblich negative Auswirkungen auf erwartete Konzernprofite haben. Diese Mechanismen beruhen auf Entscheidungen außerhalb der nationalen Gerichte. Sie unterminieren damit unsere nationalen Rechtssysteme und das der EU, unsere demokratischen Strukturen zur Gesetzgebung und Maßnahmen im öffentlichen Interesse.
– Die Schaffung neuer, undemokratischer Governancestrukturen und –verfahren, die “Regelungen harmonisieren” sollen. Dazu gehört der vorgeschlagene “Regulatory Cooperation Council. Diese Strukturen würde TTIP zu einem offenen Abkommen machen, das von ungewählten Bürokrat_Innen und Vertreter_Innen des Big Business im Geheimen ständig weiter entwickelt würde. Diese undemokratischen Strukturen gefährdeten wichtige Standards und Regeln zum Schutz öffentlicher Interessen und könnten zukünftige Verbesserungen verhindern, unabhängig davon, ob sie notwendig sind und von den Bürger_Innen gewünscht werden.
Außerdem beunruhigt uns die Absicht, Schutz und Durchsetzung “geistiger Eigentumsrechte” zu stärken. Dies könnte unser Recht auf Gesundheit, kulturelle Bildung und freie Meinungsäußerung beeinträchtigen.
4. Unsere gemeinsamen Forderungen und Ziele:
Gegründet auf den Werten von internationaler Solidarität, sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und der Achtung alle Menschenrechte arbeiten wir mit unseren Verbündeten in den USA und anderen Teilen der Welt zusammen.
Wir fordern:
a)
Sofortige Transparenz:
Die Verhandlungstexte der EU-Kommission und alle anderen
Verhandlungsdokumente müssen veröffentlicht werden, damit eine offene und kritische
öffentliche Debatte über das TTIP-Abkommen möglich ist.
b)
Einen demokratischen Prozess
einschließlich einer genauen Untersuchung und
Beurteilung der Verhandlungstexte, durch den sichergestellt wird, dass die Maßnahmen
dem öffentlichen Interesse dienen. Der Prozess muss das EU-Parlament, Debatten in
nationalen Parlamenten, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften und
Interessengruppen einschließen.
c)
Kein Investor-State Dispute Settlement:
Alle Bestimmungen, die ISDS-Mechanismen
enthalten, müssen dauerhaft aus den Verhandlungen gestrichen werden. Es darf kein
anderer Mechanismus eingeführt werden, der Investor_Innen Sonderrechte einräumt (auch
nicht indirekt durch bereits bestehende oder zukünftige Handelsabkommen).
d)
Kein “Regulatory Cooperation Council”:
Die Regulierung von Geschäftstätigkeiten,
Handelsbedingungen und der Festlegung von Produkt- und Produktionsstandards müssen
in der Hand von demokratisch gewählten Institutionen liegen und auf Grund
demokratischer Prozesse erfolgen.
e)
Keine Deregulierung von Standards,
die das öffentliche Interesse wahren und ihm
dienen: Sozial- und Arbeitsstandards, Verbraucher-, Gesundheits-, Umweltschutz
einschließlich der Regeneration natürlicher Ressourcen, Tierwohl, Standards zur
Lebensmittelsicherheit, umweltverträgliche landwirtschaftliche Verfahren, Zugang zu
Informationen, Kennzeichnung, Kultur und Medizin, die Regulierung der Finanzmärkte,
Datenschutz und andere digitale Rechte – all diese Standards müssen
gestärkt
und nicht
durch „Harmonisierung” nach unten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert
werden. Eine gegenseitige Anerkennung ist nicht angemessen, weil sie die auf
demokratische Weise vereinbarten Standards und Schutzmaßnahmen unterminiert. Das
Vorsorgeprinzip muss umfassend angewandt werden.
f)
Keine weitere Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen.
Wir
fordern garantierten Zugang zu hochwertiger Bildung, Gesundheitsvorsorge und anderen
öffentlichen Dienstleistungen sowie ein öffentliches Beschaffungswesen, das lokale
Beschäftigung, Wirtschaft und Produktion, positive Diskriminierung, soziales
Unternehmertum und nachhaltiges Wirtschaften fördert und dem öffentlichen Interesse
dient.
g)
Förderung umweltverträglicher landwirtschaftlicher Praktiken
und Schutz
kleinbäuerlicher Betriebe.
h)
Öffentliche Institutionen müssen weiterhin über die politische Macht und die
notwendigen Strukturen verfügen,
um bestimmte sensible Sektoren zu schützen und
Standards zu bewahren, die für unsere Lebensqualität wichtig sind. International
vereinbarte Arbeits- und Umweltstandards müssen eingehalten und durchgesetzt werden.
Die dauerhafte Verletzung von Arbeitsstandards sollte zur Verhängung von Geldstrafen
führen.
Alle jetzigen und zukünftigen Handelsabkommen zwischen der EU und den USA sollten
diese Forderungen erfüllen, diesen Prinzipien folgen und Kooperation, soziale
Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit fördern.
Folge uns!