Mannheim. Die Diskussion über die Konsequenzen aus dem Einzug des Nazi-Gewalttäters, Volksverhetzers und NPD-Mannes Christian Hehl in den Mannheimer Gemeinderat hält in der Stadt an. Die Tageszeitung „Mannheimer Morgen“ („MM) steht stark in de Kritik. Gegen ihre Berichterstattung liegt eine Presseratsbeschwerde vor. Der Mannheimer Gemeinderat nahm am Dienstag, 22. Juli, im Stadthaus N1 ungestört seine Arbeit auf. Das Bündnis „Mannheim gegen Rechts“ hatte nahezu alle Zuschauerplätze besetzt. Alle Gemeinderatsfraktionen versichern, das es mit Hehl keine Zusammenarbeit geben werde. Neben dem Faschisten zogen auch vier Vertreter der nationalkonservativen AfD ins Mannheimer Stadtparlament ein. Rund 300 Menschen protestierten im und am Stadthaus.
Der „Mannheimer Morgen“ widmete sich in seiner Ausgabe von Samstag, 19. Juli, auf einer ganzen Seite drei dem Neu-Ratsmitglied der NPD. Christian Hehl bedankte sich inzwischen artig auf seiner Facebook-Seite für die Würdigung und posiert stolz auf Fotos mit der Zeitungsseite. Auf ihr ist auch eine Zeichnung von ihm abgebildet. Der Artikel enthält aus Sicht des Beschwerdeführers beim Presserat „die als Zitat getarnte Diskriminierung von Asylbewerbern, gepaart mit offenem Verständnis für die rassistische Haltung der NPD“. Der Presserat ist ein Organ der Selbstkontrolle der Medien und paritätisch mit Vertretern der Verlage und der Journalistengewerkschaften besetzt.
Der Autor des Artikels Dirk Lübke, neuer Lokalchef des „MM“, wirft in seinem Bericht ausgerechnet einen Blick nach Sachsen, um seine Ausgangsfrage „Wie gehen wir mit dem Nazi um?“ zu beantworten. Dort jedoch sitzt die NPD nicht nur im Landtag, sondern auch in 12 von 13 Parlamenten der Landkreise und kreisfreien Städte mit einem oder mehreren gewählten Vertretern. Leider ist sie auch sonst in vielen Stadtvierteln und Gemeinden fest verankert – ganz anders als in einer Stadt wie Mannheim. Hier schaffte es Christian Hehl nur durch eine Änderung des Auszählverfahrens mit 3645 Stimmen in den Gemeinderat, was einem Anteil von 1,14 Prozent entspricht. Insgesamt hat das Gremium 48 Sitze.
Situation in Sachsen nicht vergleichbar
Die Stärke der NPD in Sachsen sei darauf zurückzuführen, zitiert „MM“-Lokalchef Dirk Lübke die stellvertretende Chefredakteurin der „Freien Presse“ in Chemnitz Jana Klameth, dass „die Rechten oft Themen aufgreifen, die für die Leute von der Straße große Bedeutung haben“. Klameth zufolge wollten „die Gutmenschen bestimmte Themen nicht wahrhaben“. So gebe es in Chemnitz Supermärkte in der Nähe einer größeren Asylbewerber-Unterkunft, in denen die Diebstahl-Quote seit Bestehen der Unterkünfte stark gestiegen sei. Klameth stellt einen Zusammenhang her, der sich jedoch durch nichts belegen lässt.
Zur Frage, wie der Mannheimer Gemeinderat mit dem NPD-Mitglied umgehen will, zitierte Lübke nur Vertreter konservativer Fraktionen wie der CDU und der ML (Mannheimer Liste). Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) stellte jedoch bereits bei einer Kundgebung des Mannheimer Bündnisses gegen Rechts am Montagabend (wir berichteten) klar, dass es im Umgang mit Neonazis keine Normalität, sondern nur gesellschaftliche Ächtung geben könne – und auch kein Verständnis für ihre Wähler. Bei der konstituierenden Sitzung am Montag appellierte Kurz an Christian Hehl, sein Weltbild zu überdenken, und wiederholte eine Äußerung vom Vorabend: „Wir verurteilen die Ideologie, nicht die Menschen. Wer sich von der Ideologie löst, mit dem ist ein Gespräch möglich.“
Schon früher Missbilligung des Presserats
Laut rheinneckarblog.de wurde der „Mannheimer Morgen“ aufgrund einer Beschwerde der beiden Grünen-Stadträte Raymond Fojkar und Gerhard Fontagnier bereits wegen diskriminierender Äußerungen in einem Artikel vom 21. Oktober 2013 vom Presserat mit einer Missbilligung bedacht. Demnach hatte der stellvertretende Lokalchef Peter W. Ragge nach der Verhaftung des mutmaßlichen Mörders einer Studentin kommentiert: „An der Uni ist die Erleichterung besonders groß, dass der Täter nicht aus den Reihen der Studenten kommt. Dass es aber eine Verbindung zu den vielen Bulgaren im Jungbusch gibt, wird eine Diskussion auslösen, die unvermeidlich ist.“
Der Presserat kritisierte vor allem zwei Aspekte: Dass die Redaktion den Fokus gezielt auf das Mannheimer Wohngebiet lenkte, in dem viele Bulgaren wohnen. Es gebe aber „keine Anhaltspunkte dafür, dass die zahlreichen dort lebenden Menschen irgendetwas mit dem konkreten Verbrechen zu tun haben, das ein bestimmter Bulgare begangen haben soll. Damit wird eine ganze Gruppe in Kollektivhaftung genommen.“ Dazu Rheinneckarblog: „Was der Presserat wohlformuliert ausdrückt, kann man auch ganz klar als Rassismus und versuchte Volksverhetzung bezeichnen. Dem Redakteur war sehr wohl bewusst, dass der mutmaßliche Täter eben nicht im Jungbusch lebte, sondern in Grünstadt, wo er auch verhaftet worden war.“ Dadurch sieht „Rheinneckarblog“ Grundsatzfragen der journalistischen Glaubwürdigkeit berührt.
Lokalchef Dirk Lübke, Autor des jetzt beanstandeten Artikels, wurde nach Angaben des Beschwerdeführers bereits im Magazin „Stern“ kritisiert, weil er – damals in der „Thüringer Allgemeinen“ – der NPD allzu großzügig und unkommentiert redaktionellen Raum für eine Selbstdarstellung einräumte.
„Empörte Verwunderung“ über „Mannheimer Morgen“
Schon bei der Kundgebung des Mannheimer Bündnisses gegen Rechts am Montagabend hatten sich mehrere Redner über die Berichterstattung des „MM“ beschwert. Oberbürgermeister Peter Kurz betonte, es gebe keinen Anlass, Verständnis für die Wähler der NPD zu zeigen: „Wer in Kenntnis der Menschenverachtung und in Kenntnis der Geschichte diese Partei wählt, dem müssen Politiker und Medien kein Verständnis entgegenbringen. Der Mannheimer Gemeinderat und die Stadtverwaltung seien mit den Problemen der Stadt vertraut und bearbeiteten sie, ohne ganze Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren und auszugrenzen.
Thomas Trüper, Stadtrat der Linken, äußerte „empörte Verwunderung“ darüber, wie der „MM“-Lokalchef das Thema des NPD-Mannes gewürdigt hat. Der Artikel sei „miserabel recherchiert“, er holte nur konservative Meinungen ein und gebe rechtem Populismus breiten Raum. So werde behauptet, „Gutmenschen“ seien das Problem, die Missstände nicht sähen oder verschwiegen. Er schiebe Asylbewerbern Schuld in die Schuhe, statt zu sagen, sie sollen leben können wir andere auch, dezentral untergebracht werden und eine Arbeitserlaubnis erhalten. Hier erhielt Trüper starken Beifall. Die Berichterstattung in der Samstagsausgabe des „MM“, sagte er, sei „einer marktbeherrschenden Tageszeitung, die seriös sein will, nicht würdig“.
Sichtliche Verwunderung über die Dursuchungen der Polizei
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