Stuttgart/Hamburg. Ein Fall mit besonderer Priorität. Im August 1944 tobte die Waffen-SS im italienischen Bergdorf Sant’Anna di Stazzema. 560 Menschen fielen dem Massaker zum Opfer. Enrico Pieri überlebte. Er hatte sich bei dem Angriff unter einer Treppe versteckt. Nun hofft Pieri, dass Gerhard S. aus Volksdorf, einer der möglichen Täter, doch noch zur Rechenschaft gezogen wird.
Enrico Pieri, gelernte Zimmermann, lebt noch immer in dem toskanischen Bergdorf Sant’Anna di Stazzema. Jedes Jahr am 12. August kurz vor dem nationalen Feiertag „Ferroagosto“ findet die Gedenkfeier für die Opfer und Hinterbliebenen der Gräueltat in seinem Heimatdorf statt. Enrico Pieri wird das Massaker nie vergessen können. Die gesamte Familie wurde ausgelöscht. Das Dorf wurde komplett in Brand gesetzt.
Die Vergeltungsaktion gegen den zunehmenden Widerstand italienischer Partisanen war der Grund, dass die Waffen-SS mit Soldaten der 16. Panzergrenadier-Division rund 560 Menschen mit Maschinengewehren und Handgranaten tötete. Die Waffen-SS nahm dabei keine Rücksicht auf Frauen, Kinder oder ein Baby. Der damalige Kompanieführer Gerhard S. soll unter den Soldaten gewesen sein.
Vor Gericht
Der Rentner Gerhard S. wurde 2005 mit weiteren SS-Soldaten vom italienischen Militärgericht in Abwesenheit wegen vielfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Deutschland überstellte Gerhard S. nicht der italienischen Justiz, somit musste er keine Haftstrafe in Italien antreten. Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft wurden 2012 eingestellt, weil den Beschuldigten keine Morde nachgewiesen werden konnten.
Die Hinterbliebenen legten gegen das Vorgehen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft Beschwerde ein, die jedoch im vergangenen Jahr von der Generalstaatsanwaltschaft verworfen wurde. Daraufhin beantragten Pieri und seine Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke die Erzwingung der Anklage beim Karlsruher Oberlandesgericht (OLG).
Am Dienstag korrigierte das OLG die Beschlüsse der Generalstaatsanwaltschaft. Gerhard S. sei „hinreichend verdächtig“, an dem Massaker „in strafrechtlich verantwortlicher Weise“ beteiligt gewesen zu sein. Auch bestünden „keine vernünftigen Zweifel“, dass ihm bekannt gewesen sei, dass sich die Gräueltat gegen die Zivilbevölkerung richtete. Wegen Beihilfe könnte der 93-Jährige nun zur Verantwortung gezogen werden.
Sehr lange hat Pieri an der Seite seiner Anwältin dafür gekämpft, dass nun doch der Fall vor einem deutschen Gericht aufgeklärt werden kann. Bei den kommenden Verhandlungen wird Pieri als Nebenkläger auftreten. Für die deutsche Justiz drängt nun die Zeit angesichts des hohen Alters des Beschuldigten Gerhard S. Das nun zuständige Landgericht in Hamburg sollte diesen Fall nicht mit langwierigen Ermittlungen herauszögern, sondern sollte schnell einen Termin zur Verhandlung ansetzten.
Ein Dokumentarfilm zur juristischen Aufarbeitung des Massakers von Sant`Anna di Stazemma wird derzeit gedreht. Der Arbeitstitel: „Das zweite Trauma – das ungesühnte Massaker von Sant’Anna di Stazzema.“
Projektziel:
Die Dreharbeiten sollen voraussichtlich von April bis August 2014 in Italien und Deutschland laufen. Schnitt und Postproduktion sollen bis Dezember 2014 abgeschlossen sein. Der rund 45-minütige Dokumentarfilm soll in deutscher und italienischer Sprache veröffentlicht werden. Die Filmpremiere ist für Januar 2015 in Stuttgart (Baden-Württemberg) und in Pietrasanta (Toskana) angestrebt.
Die „AG Sant’Anna di Stazzema“ der Anstifter hält am Dienstag, 12. August 2014, um 12.30 Uhr am Schlossplatz in Stuttgart eine Mahnwache ab. Unterstützer sind gerne gesehen.
Weitere Informationen finden Sie unter
https://www.die-anstifter.de/
Anbei die Presseerklärung der VVN-BdA
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