Kommentar von Anne Hilger – Stuttgart. In der baden-württembergischen SPD gibt es Absetzbewegungen von der geplanten Kennzeichnungspflicht für Polizisten im Einsatz, wie sie im grün-roten Koalitionsvertrag vereinbart ist. So etwa bei Innenminister Reinhold Gall, der sie nur einführen will, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt. Dabei ist sie überfällig – das hat nicht nur der „Schwarze Donnerstag“ gezeigt, an dem Beamte weitgehend ungestraft selbst gegen Kinder und alte Leute vorgingen und viele zum Teil schwer verletzten. Deshalb gibt es jetzt eine Online-Petition an den Innenminister.
Immer öfter sehen sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Demonstrationen etwa gegen Naziaufmärsche einem Block von Bereitschaftspolizisten in Einsatzmontur gegenüber – ausgestattet mit Beinschützern, Gesichtsmasken, Helmen und Visier. Da ist der einzelne oft nicht zu erkennen und schon gar nicht ansprechbar – ein Unding in einem Rechtsstaat, der sich ja angeblich dadurch auszeichnet, dass Bürgerinnen und Bürger staatliches Handeln auf seine Rechtmäßigkeit überprüfen lassen können und sie möglichen Übergriffen nicht wehrlos ausgeliefert sind.
Übergriffige Beamte oft nicht zu identifizieren
Doch selbst außerhalb zugespitzter Situationen, in denen Einsatzkräfte Demonstranten einkesseln oder Blockaden auflösen, geben sich Polizistinnen und Polizisten oft nicht einmal gegenüber mit Presseausweis legitimierten Journalisten zu erkennen. Manche machen sich auch einen Spaß daraus, sich mit irgendeinem Fantasienamen vorzustellen.
Dann muss sich der Bürger oder die Bürgerin nicht nur hart anfassen, sondern auch noch durch den Kakao ziehen lassen. Gewiss keine vertrauensbildende Maßnahme. Und keine, die geeignet wäre den Verdacht zu entkräften, dass ein bei der Polizei verbreiteter Korpsgeist im Zweifel die Identifizierung übergriffiger Beamter erschwert.
Kennzeichnung gefährdet Beamte nicht
Es gibt viele Argumente für eine Kennzeichnung und nur wenige – meist reichlich fadenscheinige – dagegen. Daran ändert es nichts, dass die Polizei über angeblich zunehmende Gewalt gegen Beamte klagt. Die Behauptung, es gefährde Polizeiangehörige bis ins Privat- und Familienleben hinein, wenn sie erkennbar sind, verfängt bei einer anonymisierten Kennzeichnung durch eine Zahlen- oder Buchstabenkombination statt eines Namensschilds jedenfalls nicht.
Dennoch wehrt sich die Gewerkschaft der Polizei mit Händen und Füßen gegen die Kennzeichnung – nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in Hessen, wo CDU und Grüne an der Regierung ebenfalls ihre Einführung planen. Der „politische Wunsch, die Polizei „zwangszukennzeichnen“, sie also einer Verpflichtung zu unterwerfen, immer und ohne Ausnahme identifizierbar zu sein, unterstellt in aller erster Linie Misstrauen und mangelndes Vertrauen in die Arbeit der Polizei“, nörgelte die hessische Gewerkschaft im Juni auf ihrer Website.
Auch grüne Polizisten fordern Kennzeichnungspflicht
Da kann man nur sagen: Genau. Es ist nämlich eine staatsbürgerliche Tugend, in einer Demokratie gegenüber Behördenhandeln aufmerksam zu sein – erst recht, wenn es um Polizeieinsätze geht, bei denen Grundrechte auf dem Spiel stehen. „Die Begründung, dass mittels einer Kennzeichnung Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte nach übergriffigem und rechtswidrigen Verhalten besser ermittelt werden könnten, ist bislang als rein hypothetisch anzusehen“, erklärt die hessische Gewerkschaft dennoch weiter. Womit sie immerhin zugibt, dass es übergriffiges und rechtswidriges Verhalten gibt. Von einzelnen, wie die Polizei immer wieder betont. Deshalb ist es zu bezweifeln, ob sie sich mit ihrem generellen Nein zu der in den meisten EU-Staaten und vielen Bundesländern längst selbstverständlichen Kennzeichnung wirklich einen Gefallen erweist.
Übrigens gibt es auch in der Polizei selbst eine Minderheit, die das so sieht und deshalb die Kennzeichnungspflicht fordert: den Verein „PolizeiGrün“. „Eine Bevölkerung, die sich nicht mehr sicher sein kann, dass Verfehlungen durch Organe staatlicher Gewalt geahndet werden können, weil sich die Täter trotz detaillierter Beschreibungen und Fotografien nicht identifizieren lassen, verliert nicht nur den Glauben an rechtmäßiges Handeln staatlicher Organe, sondern auch an die Spielregeln und Mittel demokratischer Meinungsfreiheit – ein verhängnisvoller Effekt!“, schreibt PolizeiGrün in einer Erklärung.
Siehe zu diesem Thema auch den Artikel Versprochen! Gebrochen? vom 13. August 2014 in „Kontext“.
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