Text: Anne Hilger / Fotos: Andreas Scheffel und Channoh Peepovicz
Stuttgart. Die Atmosphäre war entspannt, die Stimmung bei aller Friedfertigkeit kämpferisch, und am Ende wurde trotz des ernsten Themas auf der Straße getanzt: Am Samstag, 16. August, demonstrierte ein Bündnis um das Offene Treffen gegen Krieg und Militarisierung Stuttgart (OTKM) für Frieden in Gaza und gegen die Besatzung. Das etwas sperrige Motto: „Stoppt den Krieg gegen Palästina. Gegen Zionismus und Antisemitismus, für Klassenkampf und Solidarität.“ Die Polizei war mit einem großen Aufgebot vor Ort, hielt sich aber zurück. Sie zählte 120 bis 150 Demonstrierende, unsere Redaktion 200 bis 250.
Die VeranstalterInnen zeigten sich von vornherein entschlossen, rassistischen, nationalistischen und religiösen Parolen keine Bühne zu bieten. Das verdeutlichten sie gleich zu Beginn der nachmittäglichen Demonstration am Versammlungsort in der Lautenschlager Straße. Antisemitismus und Rassismus hätten mit einem fortschrittlichen Kampf gegen imperialistische Staaten nichts zu tun, sagte eine Sprecherin. Es waren auch keine Fahnen solcher Nationen und ihrer Verbündeten – etwa Deutschlands oder der Türkei – erwünscht, ebenso wenig religiöse Symbole, da alle unabhängig von ihrem Glauben oder Nicht-Glauben mitdemonstrieren können sollten.
Die mehr als zweistündige Demonstration verlief entsprechend den Intentionen des OTKM. Dabei versuchte gleich zu Beginn eine einzelne Demonstrantin mittleren Alters mit Israel-Schild zu provozieren. Als ihr ein aufgebrachter junger Mann ein Flugblatt mit einem Anti-Boykott-Artikel des deutsch-israelischen Online-Magazins haOlam.de aus der Hand reißen wollte, schüttete sie ihm heißen Kaffee ins Gesicht. Der Aufforderung des Versammlungsleiters, sich von der Demonstration zu entfernen, folgte sie nicht. Die Polizei erteilte ihr schließlich einen Platzverweis.
Solidarität mit Friedenskräften auf beiden Seiten
Der Protest richtete sich gegen die Bombardierung Gazas und den Einmarsch israelischer Truppen. Bis heute seien fast 2000 Palästinenser und Palästinenserinnen getötet worden, nach UN- Angaben zu achtzig Prozent Zivilisten und die meisten in ihren Häusern. Überdies gab es zirka 10 000 Verletzte. Auf israelischer Seite starben 64 Menschen, mit wenigen Ausnahmen Soldaten. Als Anlass und Rechtfertigung für die Militäroffensive werde die Entführung und der Mord an drei israelischen Jugendlichen genannt, ebenso der Raketenbeschuss Israels durch die Hamas. Die eigentlichen Wurzeln des Konflikts sei jedoch die „seit Jahrzehnten aggressiv betriebene Siedlungs- und Besatzungspolitik der israelischen Regierung gegen die palästinensische Bevölkerung“, sagte ein Sprecher.
Deren Widerstand sei legitim. „Wir stellen uns auf die Seite der palästinensischen Bevölkerung und der fortschrittlichen Kräfte in Palästina und Israel“, erklärte er weiter. Dort gingen trotz Repression und Angriffen von israelischen Nationalisten täglich Menschen für Frieden und ein Ende der Besatzung auf die Straße. „Schluss mit der Militäroffensive, Solidarität mit dem linken Widerstand gegen Besatzung und Krieg – in Palästina, Israel und weltweit!“, hieß es in dem Aufruf. Unterzeichnet hatten ihn neben dem OTKM auch der Arbeitskreis Internationalismus Stuttgart, die DKP, der Kurdische Verein, das Palästinakomitee, die Revolutionäre Aktion Stuttgart, die YDG-Neue Demokratische Jugend und Young Struggle Stuttgart. Auf der Demo war auch die MLPD vertreten.
Internationalistische Perspektive
“Für ein freies und säkulares Palästina“, stand auf einem Plakat, „Terrorismus ist eine Antwort auf Unterdrückung. Frieden ist nur da möglich, wo Gerechtigkeit herrscht“, auf einem anderen. „Schluss mit deutschen Waffen für israelische Kriegsverbrechen“, forderte ein Transparent. Ein weiteres richtete sich gegen den Terror der Milizen des IS (Islamischer Staat“ im Nordirak: „Isis verübt Massaker. Rojava leistet Widerstand. Solidarität mit der kämpfenden Bevölkerung.“ „Alle Besatzer raus aus Palästina, alle Besatzer raus aus Kurdistan“, gehörte zu den häufig skandierten Parolen – ebenso „Klasse gegen Klasse, Krieg dem Krieg. Kampf dem Kapital, bis der Frieden siegt“. Vom Lautsprecherwagen klang internationale Musik.
Die Demonstration startete mit leichter Verspätung, da die Polizei zunächst Kontrollen durchführte – unter anderem im Lautsprecherwagen. Sie setzte sich mit Fahrzeugen und vier berittenen Polizisten an die Spitze des Zugs. Abgeschlossen wurde er von einer Musikgruppe mit Trommeln und Blasinstrumenten und weiteren Polizeifahrzeugen. Die Polizeiführung zog die Reiterstaffel jedoch schnell wieder ab, als ihr der Charakter der Demonstration klarwurde. Deren Route führte über den Schlossplatz und den Karlsplatz zur Torstraße und zum Rotebühlplatz. Dort gab es eine Zwischenkundgebung. „Überall wo Chaos herrscht und imperialistische Kräfte ihre Finger im Spiel haben, sagen wir Nein“, erklärte ein Redner .
Hitlergruß am Rotebühlplatz
Es wurden mehrere Grußworte verlesen – so eines des palästinensischen Theater- und Filmregisseurs Smieh Jabbarin aus Israel, der früher bei Attac Stuttgart aktiv war. Ein weiteres Grußwort kam von Yoav Haifawi im Namen der Bewegung Herak Haifa, die in den vergangenen Jahren die meisten Antikriegsdemonstrationen in Haifa organisiert hat. Das Grußwort, das die menschenrechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag Annette Groth gesandt hatte, richtete sich unter anderem gegen U-Boot-Lieferungen aus Deutschland an Israel. „Ich fände es unerträglich, wenn sich herausstellen würde, dass Palästinenserinnen und Palästinenser von deutschen U-Booten aus beschossen worden sind“, schrieb Groth.
Am Rotebühlplatz kam es zu einem weiteren kleinen Zwischenfall. Ein Mann näherte sich der Aktionskünstlerin Loubna Forer mit dem Hitlergruß, als sie gerade etwas mit Kreide auf die Straße malte. Mehrere Zeugen hatten den Vorfall verfolgt und machten die Polizei auf ihn aufmerksam. Sie nahm den Mann mit und veranlasste einen Alkoholtest.
Die Route führte durch die Theodor-Heuss-, die Friedrich- und die Kronenstraße zurück zur Lautenschlagerstraße. Dort wurde noch zu arabischer und kurdischer Musik getanzt.
Die Bilder des Tages:
Folge uns!