Tübingen. „Jede Waffe, die aus Deutschland exportiert wird, dient der Aufrüstung eines anderen Landes, fördert Unterdrückung und macht es möglich, dass anderswo in der Welt Konflikte gewaltsam ausgetragen und Kriege geführt werden.“ Das schrieb Tobias Pflüger auf Facebook einigen seiner Genossen ins Stammbuch, als sie sich wie Gregor Gysi – er ruderte schnell wieder zurück – aus Verzweiflung über den Terror der Milizen des „Islamischen Staats“ über Grundpositionen der Linken hinwegsetzen wollten und Gewehre für die kurdische Armee forderten.
Als Pazifist bleibt der frühere Europaabgeordnete dabei: Mit militärischen Mitteln lassen sich keine Konflikte lösen.
Wer mit Tobias Pflüger spricht, hat einen eher bedächtigen und zurückhaltenden, aber dennoch durchsetzungsstarken Menschen vor sich – mit trockenem Humor und einer gehörigen Portion Selbstironie. Krieg und Frieden sind das Lebensthema des 49-Jährigen, der im Mai zu einem von vier stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Linken gewählt wurde. Mit seiner konsequenten Ablehnung von Militäreinsätzen findet der Württemberger überraschend viel Zuspruch bei seinen Genossen in den ostdeutschen Bundesländern – aber auch außerhalb der Linken.
Kindheit in württembergischen Pfarrhäusern
„Es war immer klar: Gewalt und Krieg ist etwas, das nicht geht“, erinnert sich Pflüger an seine Kindheit. Sein Vater war Pfarrer, seine Mutter Religionslehrerin. In Stuttgart geboren, wuchs der Sohn in Ludwigsburg-Möglingen, Calw-Stammheim und Nagold auf. Er war religiös, sagt Tobias Pflüger über sich, sei es aber heute nicht mehr. Sein Elternhaus war liberal und sein Vater, Jahrgang 1929, zwar konservativ, aber entschieden gegen Krieg eingestellt und antifaschistisch – „aber in einem hintergründigen Verständnis, ohne es weiter zu thematisieren. Es war eher klar, dass man sowas nicht macht.“
Zu den einschneidenden Kindheitserlebnissen Pflügers gehört, dass er einmal Fotos seines Großvaters mütterlicherseits sah. Er hatte sie im Auftrag der Wehrmacht als Fotograf in der Ukraine gemacht – „sehr heftige Fotos“, sagt Pflüger leise. Was er später in der Wehrmachtsausstellung sah oder in dem Buch „Krieg dem Krieg“, sei im Vergleich harmlos gewesen. „Er hat dokumentiert, wie sowjetische Soldaten einfach umgebracht wurden. Das war sehr heftig, da habe ich ewig daran genagt.“
Informationsstelle Militarisierung (IMI) als Anker
Seit 1985 lebt Tobias Pflüger in Tübingen. Als Student war er unter anderem in der Hausbesetzerszene aktiv. Mit 16 hatte er sich 1981 den Grünen angeschlossen. Als Jugendlicher engagierte er sich für den Tierschutz, und ihn begeisterten die ökologischen und pazifistischen Grundsätze der noch jungen Partei. 15 Jahre später kehrte er ihr nach einem „schleichenden Prozess der Entfremdung“ den Rücken. Die unter anderem aus der Friedensbewegung hervorgegangene Partei hatte sich immer weiter von ihren Wurzeln entfernt.
Damals, 1996, gründete der Friedensforscher mit Freunden die Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI). „Äußerer Anlass“ war die Bildung des Bundeswehr-Kommandos Spezialkräfte in Calw. „Sie ist seither mein politischer Anker“, sagt Pflüger über die Informationsstelle. Dabei gehe es nicht nur um politische Fragen, sondern auch darum, als Parlamentarier Anpassungsprozessen zu widerstehen, die Privilegien meist mit sich bringen und vor denen die wenigsten gefeit sind: „Da haben mich die IMIs immer wieder auf den Boden geholt.“
Zwischenspiel bei den Grünen
Nach seiner Zeit bei den Grünen, zu der auch drei Jahre als Mitarbeiter der früheren Landtagsabgeordneten Christine Muscheler-Frohne gehörten, wollte er eigentlich nie wieder einer Partei beitreten. Er tat es 2008 nach dem Zusammenschluss von PDS und WASG dann doch. Die Linke war „ein neues Projekt und offen für Bewegungsorientierte wie mich“. Den Ausschlag gab, dass die Partei beschloss, alle Militäreinsätze im In- und Ausland abzulehnen.
Als er gefragt wurde, ob er 2004 zur Europawahl antritt, war Tobias Pflüger allerdings noch parteilos. Die PDS suchte damals einen Kandidaten, der im Westen Akzeptanz findet, um die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. Pflüger war damals Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung und hatte eine nahezu abgeschlossene Doktorarbeit auf dem Computer. Das Thema: „Die Entwicklung der EU zu einer Militärmacht.“ Auf dem Computer schlummert die Dissertation bis heute. „Ich habe sie jetzt zum zehnjährigen Jubiläum wieder angeschaut“, feixt Pflüger über sich selbst. „Spannend geschrieben, wichtige Infos – aber völlig überaltert.“
Bundestagsmandat knapp verfehlt
Mit Listenplatz vier kam Pflüger ins Europaparlament und hängte sich „richtig ins Mandat rein“. Er konnte seinen Sitz jedoch fünf Jahre später nicht verteidigen. Er verpasste auch im September 2013 – als Kandidat in Freiburg, da er der von ihm sehr geschätzten Tübinger Abgeordneten Heike Hänsel nicht in die Quere kommen wollte – auf Platz sechs der baden-württembergischen Landesliste knapp den Einzug in den Bundestag.
Auch beim Versuch,in diesem Jahr noch einmal einen aussichtsreichen Listenplatz fürs EU-Parlament zu erlangen, war Tobias Pflüger beim Listenparteitag der Linken denkbar knapp unterlegen. Bis zu seiner Bundestagskandidatur war er bei einer Gruppe von sieben Abgeordneten mit außenpolitischem Schwerpunkt als Berater angestellt. Vermutlich wird er auch weiter in einer ähnlichen Position tätig sein.
Siehe auch in der Reihe „Dafür stehe ich“: unser Interview mit Bernd Drücke, Graswurzelrevolution
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