Von Michael Janker – Wie viele andere Aktivisten gegen Stuttgart 21 gelangte Michael Janker am 20.6.2011 durch eine Öffnung im Bauzaun ungehindert auf das Gelände des Grundwassermanagements (GWM). Er ging mit einem Bekannten um das blaue Gebäude herum und fand sich im Rücken einer Polizeikette. Dort wurde er festgenommen. Erst nach dreieinhalb Wochen kam er gegen Auflagen frei. Es dauerte ein ganzes Jahr, bis der Haftbefehl komplett aufgehoben wurde. Juristisch ist die Sache für ihn bis heute noch nicht ausgestanden. Wir dokumentieren die Ereignisse in drei Folgen. Im zweiten Teil seines Erfahrungsberichts schildert Michael Janker, wie er am Tag nach seiner Festnahme dem Haftrichter vorgeführt wurde und seine ersten Tage in Stammheim erlebte.
Zwei Zivilbeamte, die ich am Abend zuvor schon kennen gelernt hatte, führten mich von meiner Zelle in Polizeigewahrsam zu ihrem luxuriösen Dienstwagen und halfen mir freundlich beim Einsteigen. Dies war nötig, da ich durch meine Handschellen etwas gehandicapt war. Es sieht tatsächlich so ein bisschen wie im Krimi aus, indem sie Dich sanft am Kopf nehmen und dann ins Auto drücken. Dabei hast Du übrigens immer den Ehrenplatz auf der Rückbank.
Danach ging es flugs ins Amtsgericht in die Hauffstraße. Dort ist um diese Zeit eigentlich niemand mehr, da alle dort Beschäftigten schon ihren wohlverdienten Feierabend genießen. Mit einer Ausnahme: Achtet einmal darauf, wenn Ihr mal wieder als Angeklagter oder Zuhörer ins Amtsgericht kommt. Direkt am Eingangstor geht rechts ein unscheinbares Türlein ab. Dort steht „Haftrichterabteilung“ drauf. Das sind die so genannten 24-Stunden- Haftrichter. Es verhält sich nämlich so, dass Du nach der Gewahrsamsnahme innerhalb von 24 Stunden einem Haftrichter vorgeführt werden musst, der dann darüber entscheidet, ob es für Dich in die Freiheit oder in den Knast geht. Angekettet vor der Haftrichterin Die dafür zuständigen Richter wirken meist etwas müde und überfordert. Kein Wunder, da sie ja letztendlich Überstunden leisten müssen, was bekanntlich ein wenig mürrisch machen kann. Ich kam zu einer eher frisch und hoch motiviert wirkenden und sehr jungen Richterin, die mit Sicherheit noch eine glänzende Karriere vor sich hat. Ich erlaube mir, die Namen der an dieser Prozedur beteiligten Protagonisten nicht voll anzugeben. Damit möchte ich vermeiden, dass diese hervorragenden Juristen möglicherweise mit Fan-Post überschüttet werden. So etwas kann sich nämlich als böser Bumerang herausstellen, wie weiland das Beispiel unseres ehemaligen Ministerpräsidenten zeigt, der eine solche Fan-Post ja auch erhielt, zum Beispiel von einem bekannten Stuttgarter Anwalt und dessen Ehefrau, die zufällig auch beim Amtsgericht Stuttgart tätig ist. Ich landete also nun bei einer gewissen Frau F. Direkt involviert war auch ein bekannter Stuttgarter Staatsanwalt, der fast schon den gleichen Promi-Status wie sein allseits beliebter direkter Vorgesetzter hat. Vor kurzem war er federführend in einem Prozess gegen andere S-21-Aktivisten vor dem Stuttgarter Landgericht, übrigens auch im Zusammenhang mit dem 20 Juni 2011. Dabei musste er zuvor eine kleine Niederlage hinnehmen, aber dies wird seiner Karriere sicher nicht schaden. Es war Herr Staatsanwalt F. Frau Richterin F. empfing mich nun frohgemut und ließ mich deshalb gleich auf einen Stuhl vor einen Tisch setzen. Auf diesem Tisch gibt es eine interessante Vorrichtung, die dazu dient, den Delinquenten mit den Handschellen an ihm zu fixieren. Die Prozedur ist etwas unangenehm, da Du nach einer gewissen Zeit Schmerzen an den Handgelenken bekommst und zudem das Gefühl nicht loswirst, welches ein angekettetes Tier empfinden muss. Zu meinem Schutz wurde auf einem Stuhl rechts von mir ein bulliger Beamter gesetzt, der mich misstrauisch beäugte. Im Folgenden eröffnete mir Frau F., dass ich ein besonders schwerer Landesfriedensbrecher sei und mit einer hohen Haftstrafe zu rechnen habe. Aus diesem Grund müsse sie leider einen Haftbefehl gegen mich erlassen und damit die Einweisung in die U-Haft. Zudem könne ich davon ausgehen, dass ich bis zur Hauptverhandlung in genau dieser verbleiben würde. Frau F. schien recht umfangreiche Informationen über mein schon länger zurückliegendes Vorleben eingeholt zu haben. Denn auf meine eingeschüchtert vorgetragenen Einwände, was ich denn eigentlich getan hätte, außer auf dem Gelände des GWM einen Spaziergang gemacht zu haben, und dass ich zudem nachweislich niemanden verletzt, bedroht, beleidigt, genötigt hatte und auch keine Sachbeschädigung beging, gab sie mir den sanften Hinweis mit auf den Weg, dass ich bei meiner Vergangenheit doch mit solchen Konsequenzen rechnen müsse. Sie legte mir übrigens auch noch eine Liste von Rechtsanwälten vor, aus denen ich doch bitteschön einen Pflichtverteidiger auszuwählen hätte. Ich bin mir zwar nicht sicher, aber könnte mir durchaus vorstellen dass es sich bei diesen Anwälten um ehemalige Studienkollegen von Frau F. handelt, die aufgrund der bekannten Anwaltsschwemme möglicherweise hilfsbedürftig sind. Mit diesen Pflichtverteidigern ist es nämlich so eine Sache. In der Regel bekommst Du einen solchen Pflichtverteidiger nur zugeteilt, wenn Du eine Haftstrafe ohne Bewährung zu erwarten hast. Sollte dieser Umstand eintreten und Du für ein paar Jahre im Knast verschwinden, zieht dies natürlich gewisse Konsequenzen nach sich. Diese können zum Beispiel Arbeitsplatzverlust oder auch der Verlust Deiner persönlichen Kontakte sein. Langfristig kann dies natürlich auch eine gewisse Verarmung nach sich ziehen, so dass Du spätestens nach der Haftentlassung zum Prekariat zählst. Dies wiederum könnte auch für andere Menschen etwas problematisch werden, zum Beispiel für Deinen Rechtsanwalt.
Kurz gesagt: Wenn Du nach dem Knast keine Kohle mehr hast, kannst Du auch Deinen Anwalt nicht bezahlen. Eine solche Verarmung des gleichen Standes kann die Justiz natürlich nicht zulassen. Aus diesem Grunde (und natürlich für Deine gerechte Verteidigung, ganz klar) wurde der Pflichtverteidiger erfunden. Er wird vom Staat bezahlt (indirekt natürlich vom Steuerzahler, aber da sehen wir erst mal drüber weg). Die Bezahlung ist zwar nicht üppig, aber zum Leben reicht’s wohl. Andererseits behaupten böse Zungen, dass gerade dieses etwas niedrige Salär dazu führt, dass es manchen Pflichtverteidigern etwas an der nötigen Motivation mangelt, um Dich zum Beispiel aus dem Knast rauszuhauen. Dies ist aber bestimmt nur ein böses Gerücht! Trotzdem hatte auch dieses böse Gerücht leider bei mir gewisse Wurzeln geschlagen, und deshalb schlug ich einen mir bekannten Rechtsanwalt aus meiner Heimatstadt vor. Über diesen Vorschlag war Frau F. zwar nicht allzu begeistert, stimmte dann aber doch zähneknirschend zu. Was dies alles nun für mich bedeutete, dürfte allen klar sein. Am gleichen Abend noch wurde ich von den beiden Zivilbeamten, die ich in der Zwischenzeit fast schon lieb gewonnen hatte, in die JVA Stuttgart-Stammheim gebracht (von manchen übrigens liebevoll „Hotel Stammheim“ genannt. Etwas rustikalere Zeitgenossen nennen sie auch etwas abschätzig den RAF-Knast).
Erste Eindrücke von Stammheim
Was mir wirklich wichtig ist: Jeder, der sich irgendwo im Widerstand engagiert – sei es gegen S-21, im Anti-AKW-Protest, bei autonomen Aktionen oder sonst wo: Bedenkt bitte, jeder von Euch kann jederzeit in eine solche Situation kommen. Seid darauf vorbereitet!! Ein Zuckerschlecken ist es keinesfalls.
DIE EINTRITTSKARTE
Wenn sich die großen Eingangstore der JVA Stammheim hinter Dir schließen, findest Du Dich zunächst in einer Art Schleuse wieder. Dort gibt es für Dich die letzte Möglichkeit, eventuell mitgeführte Waffen abzugeben. Auch die Dich begleitenden Zivilen müssen dort ihre Knarren abgeben. Im Knast sind keine Waffen erlaubt! Auch die dortigen Justizbeamten dürfen keine Waffen tragen. Es ist also nicht so wie auf jeder beliebigen Demo, wo die Dich beschützenden Beamten stets bewaffnet sind. Nach dieser Schleuse wirst Du über einen sehr steril gehaltenen Innenhof gefahren. Dort ist kein Grün zu sehen. Wenn Du am anderen Ende des Hofes angekommen bist, siehst Du eine Art überdachten Vorbau. Über ein paar Treppenstufen kommst Du auf eine Rampe. Du wirst gleich die dort befindliche Tür erkennen, über die es in das Innere des Monsters geht. Dort erwartet dich schon ein Begrüßungskommando. Es besteht aus den dort beschäftigten Justizbeamten, im Fachjargon auch „Schließer“ genannt. Schließer deswegen, weil sie die Herren über die dortigen Türen sind. Sie fummeln ständig mit dicken Schlüsselbunden herum. Gewöhne Dich daran. Es wird Dich bei Deinem ganzen Aufenthalt hier begleiten und Deinen Tagesablauf bestimmen – fast wie eine Uhr. In diesem Hof kommen alle Gefangenen-Transporte nach Stammheim an. Sobald Du wieder festen Boden nach der Fahrt unter den Füßen hast, sei nicht überrascht. Du wirst sofort mit großem Hallo begrüßt. Direkt über diesem Eingangsbereich befinden sich nämlich mehrere Stockwerke hoch die Zellen der Insassen. Das Eintreffen neuer Gefangener ist ein Event im tristen Alltag dieser Leute, daher werden sie Dich begrüßen, ob sich Dich kennen oder nicht.
Die Dich bis hierhin begleitenden Beamten übergeben dich nun in die Hände der Schließer. Danach trennen sich die Wege. Deine vorherigen Chauffeure nehmen den gleichen Weg hinaus, ihrem wohlverdienten Feierabendbier entgegen. Du gehst in die JVA hinein, begleitet von den äußerst misstrauischen Blicken der Schließer. („Ist der gefährlich?)
DIE ERSTEN SCHRITTE
Wenn zum Beispiel mehrere Gefangene gleichzeitig eintreffen, heißt dies, dass Du zunächst auch wieder Geduld haben musst, schließlich kann nicht jeder gleichzeitig abgefertigt werden. Geduld ist im Knast sowieso eine wichtige Eigenschaft. Zum Üben der Geduld gibt es zum Beispiel Warteräume. So ein Warteraum im Knast ist so etwa wie das Wartezimmer beim Arzt. Nur eben anders. Beim Arzt sitzt Du meist auf Plastik-Stühlchen. Im Knast gibt es Bänke, die rund um das Zimmer laufen und fest montiert sind, damit Du nicht auf den Gedanken kommst, sie in Deinem Frust um Dich zu werfen. Ansonsten wirkt alles sehr ramponiert. Eine Toilette ist ebenfalls dabei, sogar mit Pendeltür, aber ohne Toilettenbrille. Klobrillen gibt es im Knast nicht. Bist du ein sozialisierter Sitz-Pinkler wie ich, gewöhne Dich schnell um, was schon aus hygienischen Gründen sehr zu empfehlen ist. Rauchen darfst Du in solchen Warteräumen nicht, genau wie beim Arzt. Nur hier schert sich keiner drum. Nicht von den Schließern erwischen lassen, ist die Devise. Auch liegt keine dümmliche Lektüre wie beim Doc aus, dafür kannst Du in Deiner Muße die genauso dümmlichen Sprüche an den Wänden studieren. Nach diesen ersten Eindrücken geht es in die Umkleidekabine. Stell Dir eine solche Umkleidekabine nicht wie in einem modernen Fitnessstudio vor. Auch hier Kacheln und dazu viele Schränke, alles in allem eine gemütliche Atmosphäre, ähnlich der eines Schlachthofes. Und Du bist auch nicht allein. Um Dich herum sind mehrere Schließer. Vor denen musst Du Dich nackig ausziehen. Sie sind sehr darauf bedacht, einen tiefen Blick in buchstäblich jede Deiner Körperöffnungen zu werfen. Irgendwo könnte ja noch eine Waffe sein. Das berühmte „Bück Dich“ zeigt hier seine ganze Sinnhaftigkeit.
Deine Klamotten verschwinden in einer Art Seesack. Dort bleiben sie, zumindest in der U-Haft, in der Regel bis zum Ende Deines Aufenthaltes. Auch sonstige Habseligkeiten wie zum Beispiel Dein Handy werden natürlich konfisziert. Ebenso Dein Personalausweis, den brauchst Du dort nicht, es reicht wenn Dein Name später an der Zellentür steht. Du wirst neu eingekleidet. In Stammheim gibt es bei Haftklamotten übrigens keinen Zebra-Look, wie er früher leider bei den Nazis im KZ so gern verwendet wurde. Dort herrscht ein verwaschenes Blau vor. Blaue Jeans, blaue Hemden, blaue T-Shirts und vor allem: blaue Unterwäsche. Als Farbtupfer schwarze Schuhe. Du bekommst diese Sachen nicht hygienisch einwandfrei und ökologisch bedenklich in einer Plastikfolie eingeschweißt ausgehändigt. Nein, nein, alle diese Sachen wurden schon tausendmal in der anstaltseigenen Wäscherei gewaschen und von hundert Gefangenen vor Dir getragen. Gerade bei der Unterwäsche habe ich mir dann schnell angewöhnt, schnell einen Blick vor dem Anziehen darauf zu werfen. Es lohnt sich, ich habe selbst einige Unterhosen entdeckt, die auch nach der 1001. Wäsche noch undefinierbare Flecken hatten. Wenn Du dann später auf Zelle bist, kannst Du übrigens in der Regel einmal pro Woche Deine gebrauchte Wäsche abgeben und bekommst dafür „neue“. Du bekommst noch einige andere Dinge ausgehändigt: eine Matratze, ein Kopfkissen! (hier wird von einem längerem Aufenthalt als in der Gewahrsams-Zelle ausgegangen), die dazugehörigen Bettbezüge, alles gebraucht versteht sich. Dazu noch Zahnbürste (glücklicherweise nicht gebraucht) und Zahncreme. Du bekommst auch Geschirr: eine Kanne fürs Trinken und einen Napf fürs Essen. Kennt Ihr den alten Film: „Wer einmal aus dem Blechnapf fraß“? Der Titel ist hier Programm. Ich habe genau die gleichen Näpfe später in dem Restaurant gesehen, in dem ich arbeite. Dort sind sie aber nicht für die Gäste gedacht, sondern zum Durstlöschen für die mitgeführten Hunde. Weiterhin gibt es etwas stumpfes Plastikbesteck. Achte sorgsam auf all diese Dinge: Wenn Du irgendwann wieder raus kommst, musst Du sie wieder abgeben. Sollte Dir in der Knast-Zeit davon irgendetwas abhanden kommen, musst Du das berappen (wahrscheinlich zum Neupreis). Alle diese Dinge kommen dann auf ein Transportwägelchen, welches Du natürlich eigenhändig zur nächsten Etappe ziehst.
DER SCHUB
Jeder Neuankömmling in Stammheim verbringt die erst Nacht quasi zum Eingewöhnen im Schub. Das ist Fachjargon, offiziell heißt der Schub Transportabteilung. Diese Abteilung befindet sich in jedem Knast im Erdgeschoss. Dort sitzen neben den Neulingen auch andere Personen: vor allem diejenigen, die wegen irgendeiner Aktion in Stammheim in U-Haft oder Strafhaft sitzen, dummerweise aber noch andere Aktionen getätigt haben und deshalb zum Beispiel in Kürze eine Verhandlung in einer fremden Stadt vor sich haben. Dort finden sich auch Durchreisende, die gar nichts mit Stuttgart zu tun haben, sondern nur zwischengelagert werden auf ihrer Reise durch deutsche Knäste. Manche verbringen dort eine ganze Weile, da Gefangenen-Transporte aus ökonomischen Gründen nicht jeden Tag stattfinden. Was weniger bekannt ist: Wenn großer Andrang in Polizeirevieren herrschen sollte, kannst du dort auch in Gewahrsam gehalten werden. Wenn du aber als Newcomer in Stammheim bleiben wirst, bist du dort nur eine Nacht. Danach geht es in der Regel genau einen Stock höher, denn dort befindet sich die Abteilung für die U-Häftlinge in Stammheim. Du musst dort aber nicht unbedingt hinkommen, aus angeblichen Platzgründen sollen auch schon mal U-Häftlinge zu Strafhäftlingen gekommen sein. Eigentlich nicht zulässig, aber na ja. Jetzt noch eine kurze Beschreibung einer typischen Zelle im Schub: Sie ist in der Regel auf vier Personen ausgelegt. In ihr befinden sich zwei Doppelstockbetten aus Metall, ein Tisch und vier Stühle sowie ein Blechschrank. Alles fest montiert. In den achtziger Jahren war ich mal in einer Jugendherberge in Paris. Dort sah es genauso aus. Die Sachen sind wohl deshalb alle festgeschweißt, damit die Insassen oder ein verarmter Jugendherbergsbesitzer die wertvollen Gegenstände nicht wegtragen können. Die Fenster sind dicht vergittert. Wir sind auf Erdgeschosshöhe, eine Flucht wäre theoretisch ohne einen tiefen Sprung möglich. Es gibt eine Toilette mit dem in Stammheim üblichen Sichtschutz. Dieser ist eigentlich nichts anderes als ein wackliges Holzgestell. Es gibt höchstrichterliche Urteile, dass eine solche Toilette von der übrigen Haftzelle durch Wände abgetrennt sein muss. In einigen etwas moderneren und menschlicheren Knästen ist das schon verwirklicht, Stammheim hinkt hinterher.
Ihr seid in der U-Haft in der Regel 23 Stunden mit wildfremden Menschen zusammen, vor denen Ihr Euren Toilettengang verrichten müsst. Gerüche und Geräusche teilt Ihr mit allen. Es gibt Situationen im Haftalltag, da kann allein so was zu Konflikten führen. Die erste Nacht in Stammheim verbrachte ich übrigens mit zwei Ungarn in einer solchen Zelle. Wir konnten uns zwar nicht verständigen, aber es waren umgängliche Typen, deren einziges Handicap war, dass sie entsetzlich geschnarcht haben. Trotzdem: Sie schienen schon ein bisschen wie aus einem Hollywood-Knastfilm entsprungen. Bullig, stiernackig, tätowiert. Für jemanden, der noch nie in einer solchen Situation war, kann dies durchaus schlaflose Nächte bedeuten.
DIE ZELLE
Am nächsten Tag ging es für mich in die U-Haft-Abteilung. Dies bedeutete Abschied nehmen von meinen beiden Leidens-Gefährten, meine Knast-Sachen zusammenpacken und aufs Transportwägelchen verladen.
Wenn Du dort ankommst, steht recht bald ein Besuch beim Arzt an. Auch dort musst du Dich wieder ausziehen, wichtig bei dieser Untersuchung sind aber vor allem Fragen bezüglich Deines Drogenkonsums und vor allem, wie es mit Selbstmordgedanken aussieht. Beides ist verpönt. Dabei wird entschieden, ob du eine Einzelzelle bekommst oder auf eine Zwei- oder Vier-Mann-Zelle gelegt wirst. Bei mir war die Untersuchung eher oberflächlich, und ich bekam ohne viel Federlesens eine Einzelzelle.
Jedem Betroffenen sollte dabei klar sein: Bist Du zum Beispiel ein Landfriedensbrecher oder gehörst sonstwie dem linken Spektrum an, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Du eine Einzelzelle bekommst. Neben Drogenkonsum und möglichen Suizid-Absichten ist es in dieser Maschinerie genauso verpönt, wenn Du eventuell eine politische Message verbreiten könntest. Politische Gefangene sind besonders gefährlich und deshalb abzusondern.
Mein Zuhause für die nächsten Wochen sah so aus: Für eine Einzelzelle war sie ganz großzügig geschnitten, neben mir befanden sich darin: ein Metallbett, ein Tisch, zwei Stühle, ein Holzschrank. Hier war nichts fest montiert, um den Putzern die Arbeit nicht unnötig schwer zu machen. Sie kamen alle paar Tage, um während des Hofganges die Zelle zu säubern. Die Toilette war wie gehabt, aber sie wurde wenigstens nur von mir genutzt. Es gab einen Vorrat an Toilettenpapier. In die Wand war sogar ein Radio eingelassen, es war leider defekt.
Es gab auch ein Waschbecken mit einem Spieglein, in dem ich in nächster Zeit mein trauriges Gesicht sowie meinen zunehmend wuchernden Bart bewundern konnte. In Stammheim gibt es nämlich nur kaltes Wasser aus dem Hahn. Es ist wirklich kalt. Mit kaltem Wasser eine Nassrasur vorzunehmen, ist schwierig und schmerzhaft. Lass dir deshalb besser einen Bart stehen.
Zu meiner größten Verblüffung bekam ich sogar noch ungefragt einen kleinen Farbfernseher aufs Zimmer samt zugehörigem Vertrag, den ich auch noch naiv unterschrieb, nachdem ich auf meine dumme Frage, wieso ich denn einen Fernseher bekomme, zur Antwort erhielt, dass dies hier halt so üblich sei. Ganz so üblich ist es wohl nicht, denn ich habe später gehört, dass solche Fernseher auch wieder weggenommen werden, und zwar dann, wenn der Gefangene keine Kohle mehr hat, um ihn zu bezahlen. Dieser Luxus ist ja nicht umsonst, Du verpflichtest Dich in dem Vertrag dazu, an irgendeine Firma, der diese Fernseher gehören, 13 Euro pro Monat zu bezahlen. Dazu solltest Du noch Folgendes wissen: Wenn Du festgenommen wirst und in den Knast gehst, wird das Geld, welches sich bei der Festnahme in Deinem Geldbeutel befindet, mir nichts dir nichts auf ein eigens für Dich eingerichtetes Knast-Konto eingezahlt. Und von diesem Geld zahlst Du dann einen solchen Schnickschnack.
Was nun die Sinnhaftigkeit eines solchen Fernsehers betrifft: Ich selbst habe schon seit Jahren kein solches Ding mehr, da es mich anödet, den darin verbreiteten Müll zu konsumieren.
Aber in der Zeit in U-Haft kann jeder zu einer Art Fernseh-Junkie mutieren. Bedenke nämlich immer: Du sitzt in der Regel 23 Stunden am Tag in dieser Zelle, und sonstige mögliche Beschäftigungs- und Ablenkungsmöglichkeiten sind sehr begrenzt.
Im 3. Teil der Odyssee beschreibt Michael Janker den Alltag in Stammheim und seine Entlassung aus der U-Haft.
Folge uns!