Pforzheim. Nach knapp 45 Minuten war schon wieder alles vorbei: Am Dienstag, 7. Oktober, verhandelte das Pforzheimer Amtsgericht gegen einen jungen Antifaschisten. Die Anklage macht ihn für einen Aufruf per Blogeintrag im Internet verantwortlich, sich am 23. Februar 2013 in Pforzheim Nazis und der Polizei in den Weg zu stellen. Da bei der Verhandlung der einzige geladene Zeuge fehlte, wurde der Prozess am Dienstag jedoch vertagt. Es handelte sich um den Polizeibeamten, der die Akte angelegt hatte. Er war in Urlaub gefahren.
Seit 1995 versammeln sich zum Jahrestag der Zerstörung Pforzheims durch Bomben der Alliierten im zweiten Weltkrieg Neonazis mit Fackeln zu einer „Mahnwache“ auf dem örtlichen Wartberg. Gegen den Aufmarsch gibt es jeweils Protestdemonstrationen.
Die Grüne Jugend Pforzheim rief zur Solidarität mit dem Angeklagten Kai H. und zur Prozessbeobachtung auf. Zirka ein Dutzend Unterstützerinnen und Unterstützer fanden sich am Dienstag im Gerichtssaal ein. Die Pflichtverteidigerin klärte sie vor Beginn darüber auf, was überhaupt Gegenstand der Verhandlung sein würde.
Bereits Mitte Februar 2013 hatte der rechtsradikale „Freundeskreis Ein Herz für Deutschland“ Anzeige wegen eines angeblichen „öffentlichen Aufrufes zu Straftaten“ gegen zwei Mitglieder der „Initiative gegen Rechts“ erstattet – darunter Kai H., der bis Mitte 2013 zu deren SprecherInnenrat gehörte. Der andere Beschuldigte ging sofort in die Verhandlung und gewann. Das Verfahren wurde eingestellt, wodurch sich automatisch auch der Vorwurf Kai H. gegenüber erübrigte.
Die Staatsanwaltschaft ging jedoch in Berufung und erhielt in der höheren Instanz teilweise Recht. Das Gericht hielt die ursprüngliche Anklage, Kai H. und der andere Antifaschist hätten auf einem Flyer der „Initiative gegen Rechts“ öffentlich zu Straftaten aufgerufen, zwar für nicht haltbar. Es erklärte allerdings, ein Blogeintrag, in dem „Alerta Pforzheim“ allgemein ihre Position zum 23. Februar und möglichen Blockaden erläuterte, könne als Aufruf zu Straftaten gewertet werden.
Die Pforzheimer Staatsanwaltschaft fühlte sich ermutigt, ließ die alte, auf den Flyer bezogene Anklage fallen und erstellte einen neuen Strafbefehl – ausschließlich gegen Kai H. und ausschließlich wegen des Blogeintrags auf der Homepage der „Alerta Pforzheim“.
Das ist aus mehreren Gründen ungewöhnlich. Zunächst besteht die „Alerta Pforzheim“ nicht nur aus Kai H. Zum Zweiten werden solche Blogeinträge normalerweise nicht von einer Person autokratisch eingestellt, sondern gemeinschaftlich entworfen. Außerdem kann der Eintrag, wie Kai H.s Verteidigerin mehrfach betonte, keineswegs als „Aufruf“ verstanden werden. Vielmehr handele es sich um ein allgemeines Statement, eine Betrachtung, die Meinungsäußerung einer Organisation.
Zu der Verhandlung fanden sich auch drei in Pforzheim bekannte Nazis ein. Sie setzten sich in dem kleinen Verhandlungssaal in die letzte Reihe und hatten damit alles genau im Blick. Die Pflichtverteidigerin verweigerte bei der üblichen Abfrage der Personalien aus Sicherheitsgründen die öffentliche Nennung der Adresse des Beschuldigten, der nicht mehr in Pforzheim lebt. Die Vorsitzende Richterin gab dem auch sofort statt.
Der Anklagebegründung der Staatsanwältin zufolge ging es wohl vor allem um Formulierungen im letzten Abschnitt des Blogeintrags. Die Anklage legt Kai H. zur Last, zu Straftagen aufgerufen zu haben, um die angemeldete Kundgebung der Neonazis zu blockieren. Demnach wäre er „schuld“ an dem spontanen Protestzug von 400 Personen in Richtung Wartberg nach der Kundgebung der „Initiative gegen Rechts“ in der Pforzheimer Innenstadt am 23. Februar 2013. Die Polizei hatte damals 400 Menschen auf einer vereisten Wiese knapp unterhalb des späteren Versammlungsortes der Neonazis über mehrere Stunden eingekesselt. Außerdem beschlagnahmte sie 5000 Flyer der „Initiative gegen Rechts“ im Vorfeld jenes 23. Februar als „Beweismittel“ für den zunächst vorgeworfenen Aufruf zu Straftaten.
Beim Prozess verwies die Verteidigerin Kai H.s darauf, dass die Staatsanwältin lediglich aus dem Kontext gerissene Fetzen der gesamten Alerta-Erklärung verlesen habe. Sie bestand darauf, den gesamten, vier Seiten langen Text zu verlesen, und bekam auch Recht – was im Publikum mit Blick auf die Neonazis unter den Zuhörern für einige Heiterkeit sorgte.
Der eigentliche Höhepunkt aber war die Vernehmung des geladenen Zeugen, den Antifaschisten dem Pforzheimer Staatsschutz zuordnen. Da er nicht zur Vernehmung erschienen war, unterbrach die Richterin die Verhandlung für mehrere Minuten – bis sich herausstellte, dass der betreffende Staatschützer im Urlaub sei und ihm die Ladung wohl nicht zugestellt werden konnte. Daraufhin vertagte die Richterin das Verfahren.
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