Stuttgart. Der Winnender Grünen-Landtagsabgeordnete Willi Halder ist am Mittwoch als Vorsitzender der NSU-Enquetekommission des baden-württembergischen Landtags zurückgetreten. Er hatte ein Rechtsgutachten vorzeitig an Parteifreunde weitergegeben. Darüber empörte sich die CDU. Sie hält den Rücktritt für richtig, gibt sich aber ansonsten beleidigt. Erst recht, da sie den Obmann der Grünen, den Tübinger Abgeordneten Daniel Lede Abal, der Lüge überführt sieht.
Wie die CDU forderte am Donnerstag auch die FDP den Rückzug Daniel Lede Abals. Die Kommission steht vor dem Aus. Außerhalb des Parlaments wird der Ruf nach einem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags lauter. Bisher scheiterte die Einsetzung eines regulären Untersuchungsausschusses, der ähnliche Befugnisse zur Aufklärung wie ein Gericht hätte, vor allem an der SPD und ihrem Innenminister Reinhold Gall.
Er wollte offenbar mit aller Macht verhindern, dass Polizisten und Verfassungsschützer Ermittlungsfehler oder eine mögliche Verstrickung baden-württembergischer Staatsdiener in rechte Umtriebe offenlegen müssen. Mit der fadenscheinigen Begründung, man könne dann auch externe Experten hinzuziehen, setzte der Landtag die Enquetekommission ein – ohne die Lage damit wirklich zu beruhigen.
Schon zuvor hatte der Innenminister eine behördeninterne „Ermittlungsgruppe Umfeld“ nach Bezügen des NSU zu Baden-Württemberg und neuen Erkenntnissen über den Mord an Michèle Kiesewetter forschen lassen. Ihr kaum verwunderliches Ergebnis: Alles ist bestens. Es gebe keine neuen Erkenntnisse, alle Ermittlungsansätze seien ausgereizt, alle Merkwürdigkeiten und offenen Fragen geklärt. Es bleibe dabei, dass die Polizistin auf der Heilbronner Theresienwiese zum Zufallsopfer des NSU wurde.
In der Enquetekommision gab es von vornherein Streit – über den Untersuchungsauftrag, über vom Innenminister versagte Aussagegenehmigungen und nun eben über ein Rechtsgutachten der Landtagsverwaltung über diese Frage. Bevor es die anderen Fraktionen erhielten, hatte es Halder an einen Mitarbeiter der Grünen und zwei ihrer Landtagsabgeordneten weitergegeben – Daniel Lede Abal und den Fraktionsgeschäftsführer Uli Sckerl.
Der CDU-Obmann, der Landtagsabgeordnete Matthias Pröfrock, sieht einen Vertrauensbruch und droht mit dem Rückzug seiner Fraktion. Der Vorsitzende einer Enquete-Kommission müsse neutral sein, überdies aufgeklärt werden, ob das Gutachten womöglich „von grüner Seite“ manipuliert worden sei. Auch SPD-Obmann Nikolaos Sakellariou sprach von einem „ungeheuren Vorgang“.
Die Auseinandersetzung gewann an Fahrt, als Daniel Lede Abal am Montag die Frage eines Journalisten der „Stuttgarter Nachrichten“, ob er Kenntnis von dem Gutachten habe, verneinte. Inzwischen musste er zugeben, dass er es erhielt. Er will es jedoch nicht gelesen haben, weil sein Inhalt erst in der Dezember-Sitzung der Kommission Bedeutung erlangt und er derzeit anderes zu tun habe. Lede Abal hat sich bei den anderen Kommissionsmitgliedern entschuldigt und gelobt, dass so etwas nicht mehr vorkommen werde. Doch das ist CDU und FDP nicht genug. Beide Fraktionen fordern seinen Rückzug als Grünen-Obmann in der Kommission.
Die CDU forderte von vornherein, dass sich die Kommission nicht nur mit den Hintergründen der Verbrechensserie des rechtsterroristischen NSU und dem Versagen von Polizei und Verfassungsschutz bei der Aufklärung des Mords an Michèle Kiesewetter befasst, sondern auch mit „Linksextremismus“. Das lehnte die Landtagsmehrheit ab. Später startete die FDP mit dem Hinweis auf die Auseinandersetzung zwischen Kurden und Salafisten erneut einen Versuch, den Untersuchungsauftrag zu erweitern. Sie wollte ganz allgemein politischen und religiösen Extremismus thematisiert wissen. Auch das lehnte Grün-Rot jedoch ab.
Willi Halder wurden die Streitigkeiten offensichtlich zuviel. Die logische Konsequenz aus der Affäre wäre, die Enquetekommission aufzulösen und endlich einen Landtagsuntersuchungsausschuss mit klarem Auftrag und wesentlich größeren Kompetenzen einzusetzen. Ob es dazu kommt, ist jedoch mehr als fraglich – nicht zuletzt wegen Reinhold Gall und der SPD.
Folge uns!