Stuttgart. Endlich richtet auch der Landtag von Baden-Württemberg einen NSU-Untersuchungsausschuss ein. Der öffentliche Druck ließ den Widerstand der SPD bröckeln. Zu Fall brachte ihn schließlich ein an sich unbedeutender Skandal um die von vornherein vermaledeite Enquetekommission. Grün-Rot hat jetzt eine letzte Chance, im NSU-Komplex Aufklärungswillen zu zeigen. Dass Wolfgang Drexler Ausschussvorsitzender wird, muss dabei kein Schaden sein.
Ja, durchaus: Der Vizepräsident des baden-württembergischen Landtags hat sich in seinen 14 Monaten als Sprecher von Stuttgart 21 reichlich Feinde gemacht – auch bei vielen, die den NSU-Untersuchungsausschuss seit langem fordern. Doch der 68-Jährige ist ein Haudegen, mit allen parlamentarischen Wassern gewaschen und jederzeit bereit, ins Gefecht zu ziehen. Das wird er müssen, wenn es im NSU-Komplex doch noch Antworten geben soll.
Der Mord an Michèle Kiesewetter in Heilbronn gilt vielen als Schlüssel zum Verständnis der Terrorserie des NSU – so etwa Bodo Ramelow, dem Vorsitzen der Linksfraktion im thüringischen Landtag, der jetzt auf dem Sprung ins Ministerpräsidentenamt ist. Im März letzten Jahres gab er mit „Schreddern, Spitzeln, Staatsversagen“ eines der ersten Bücher zum Thema heraus. Seither sind weitere hinzugekommen. Auch die Untersuchungsausschüsse der Parlamente und der Prozess gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten in München brachten neue Erkenntnisse – allerdings noch mehr offene Fragen.

Am Gebäude der Staatsanwaltschaft Stuttgart: Florian Heilig + 13. Sept. 2013 Mord > Lügen für NSU
Foto: Timo Kabel
Einige neue Antworten könnte es jetzt in Stuttgart geben. Eine Fülle von Spuren weist nach Baden-Württemberg. Das NSU-Trio und seine Unterstützer oder Mittäter reisten immer wieder ins Land. Es gibt mysteriöse Todesfälle von Zeugen, merkwürdige Versäumnisse bei den Ermittlungen, disziplinarisch weitgehend folgenlose Verbindungen von Polizeibeamten zum rassistischen Ku-Klux-Klan. Vor allem aber gibt es Hinweise, die es als äußerst unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass Michèle Kiesewetter ein Zufallsopfer war.
Wolfgang Drexler wird im NSU-Ausschuss nicht nur die anderen Fraktionen zur konstruktiven Mitarbeit bewegen, sondern sich vor allem gegen seinen SPD-Parteifreund Reinhold Gall durchsetzen müssen. Schließlich dürfte der Aufklärungswillen des Innenministers kaum gewachsen sein. Von ihm wird jedoch abhängen, ob Beamte des Landeskriminalamts und des Verfassungsschutzes dazu beitragen, dass der Ausschuss seinen Auftrag erfüllen kann, oder ob die Rolle der Behörden im Zwielicht bleibt. An vom Innenminister versagten Aussagegenehmigungen scheiterte letztlich die Landtags-Enquetekommission.
Bleibt der NSU-Untersuchunsausschuss ähnlich zahnlos und gelingt es ihm nicht, zumindest stellenweise Licht in den braunen Dunst zu bringen, ist das ganze Parlament blamiert – besonders jedoch die grün-rote Koalition. Es ist kaum zu erwarten, dass Wolfgang Drexler das einfach hinnehmen würde. Die Ausschuss-Arbeit wird jedoch zum Wettlauf gegen die Zeit. Viele Monate sind schon verplempert, womöglich Beweise abhanden gekommen – und die Landtagswahl im Frühjahr 2016 naht.
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