Göppingen. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten hielt am Wochenende erstmals ihre Landesdelegiertenkonferenz in der Göppinger Stadthalle ab. Fast 50 Delegierte und 20 Mitglieder folgten der Einladung. Bei der Konferenz wurde auch der Landesvorstand neu gewählt.
Jochen Dürr aus Schwäbisch Hall trat nach sechs Jahren als Landessprecher nicht mehr an. Als Landessprecherinnen wurden Janka Kluge, Ilse Kristin und Silvia Schulze gewählt.
Janka Kluge: „Göppingen darf keine Nazistadt werden.“
Nach der Eröffnung der Konferenz berichtete der Landesvorstand über die Vorkommnisse des letzten Jahres in Göppingen und verwies auf das lokale Problem mit Neonazis. Janka Kluge, die Landessprecherin der VVN, erklärte: „Mit unserer Konferenz möchten wir ein klares Zeichen setzen. Alle Initiativen in Göppingen, die sich gegen neofaschistische Aktivitäten wehren, werden von uns unterstützt.
Überall, wo man die Nazis machen lässt, sie marschieren lässt, breiten sie sich aus. So wird zugelassen, dass die Neonazis ihre Strukturen weiter ausbauen können.“ Aus diesem Grund halte sie nichts von der Schweige-Strategie des Oberbürgermeisters Guido Till. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass Göppingen eindeutige Nazistrukturen habe. Umso wichtiger sei es, Zeichen zu setzen. Göppingen dürfe keine Nazistadt, sondern solle wieder eine offene und tolerante Stadt werden.
Preis für barrierefreien Stadtrundgang
Neben den Wahlen stand der Leitantrag „70 Jahre Befreiung vom Faschismus – Unser Auftrag für die Zukunft“ im Mittelpunkt der Konferenz. Einer ihrer öffentlichen Höhepunkte war am Samstagnachmittag die Preisverleihung des Alfred Hausser-Preises. Er wurde an Institutionen verliehen, die in Stuttgart einen barrierefreien Stadtrundgang zu Orten der NS-Verfolgung und des Widerstands gestaltet haben. Die Preisträger sind der Stadtjugendring, die Nikolauspflege und der Alex Club aus Stuttgart.
Der Stadtjugendring arbeitet seit Jahrzehnten mit der VVN zusammen. Vor mehr als dreißig Jahren wurden gemeinsame Stadtrundfahrten „Auf den Spuren des Faschismus“ in Stuttgart begonnen. Von der VVN waren damals Gertrud Müller, Hans Gasparitsch und Alfred Hausser beteiligt.
Der Alex Club in Stuttgart kümmert sich seit vielen Jahren um die Belange von körperbehinderten Menschen. Gemeinsam unternehmen sie Ausflüge, darunter aktuell ein Stockerkahnfahren in Tübingen und einen „Schwedentag“ – Einkaufsbummel bei Ikea und ein gemeinsames Essen. Dem Alex Club ist es wichtig, die Aktivitäten gemeinsam mit nicht behinderten Jugendlichen zu unternehmen.
Die Nikolauspflege betreut seit fast 200 Jahren Blinde und Menschen mit starken Sehbehinderungen. 1823 wurde im Königreich Württemberg die erste Ausbildungsstätte für Blinde in Schwäbisch Gmünd eröffnet. 1856 eröffnete Königin Katherina offiziell die Nikolauspflege. Aus diesen ersten Anfängen ist ein großes soziales Werk mit vielen Einrichtungen entstanden.
Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge dringend nötig
Nach der Verleihung des Preises referierte Tobias Pflüger, stellvertretender Bundesvorsitzender der Linken und früherer Europaabgeordneter. Zentrale Punkte in seinem Gastreferat waren „Kultur der Zurückhaltung überwinden?“, „Krieg und Frieden 70 Jahre nach der Befreiung“ sowie die aktuelle Situation im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Pflüger beteiligte sich vor kurzem an einer Delegationsreise der Europäischen Linkspartei nach Diyakabir und Suruc.
Er bezeichnete die Lage der ungefähr 140 000 Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet mit der IS in den kurdischen Gebieten der Türkei an der syrischen Grenze als katastrophal. Anders als von der türkischen Regierung behauptet, kümmerten sich staatliche türkische Stellen nicht wirklich um die Flüchtlinge. Gerade mal 6100 Flüchtlinge lebten in einem von der türkischen Regierung betriebenen Camp.
Dagegen seien 98 000 in Flüchtlingscamps der kurdischen Kommunen registriert. Weitere knapp 40 000 würden privat von Familien und anderen Freiwilligen irgendwie versorgt. Die Versorgung der Flüchtlinge in den Flüchtlingscamps der kurdischen Kommunen erfolge durch viel zu wenige Freiwillige. Die freiwillige ärztliche Hilfe gelte allerdings seit den Gezi-Protesten als illegal.
Hilfe für die Flüchtlinge sei wegen des nahenden Winters dringend notwendig. Sie müsse direkt an die kurdischen Kommunen gehen und dem Solidaritätskomitee für Rojava bei der Kommune Suruc zugute kommen. Sie unterstütze damit die Flüchtlingshilfe der kurdischen Kommunen.
Kurden hoffen auf Aufhebung des PKK-Verbots
In allen Gesprächen spielte die Forderung nach der Öffnung eines Korridors an der Grenze für Flüchtlinge eine wichtige Rolle. Hierfür Druck zu machen sei umso wichtiger, als es eine mehrfach nachgewiesene Kooperation zwischen türkischen Militärs und dem IS gebe.
Abschließend kritisierte Pflüger die Bundesregierung und den Bundespräsidenten Joachim Gauck. Auch die Bundesregierung müsse endlich die Zusammenarbeit zwischen türkischem Militär und IS kritisieren.
Kurdischen Gästen bei der Konferenz war es ein wichtiges Anliegen, eine Initiative zu starten, die PKK von der EU-Terrorliste zu streichen. Initiativen gegen das PKK-Verbot in Deutschland wurden sehr begrüßt.
Am Rande der Veranstaltung versuchten zwei Polizeibeamte am Sonntag zu der geschlossenen Konferenz vorzudringen. Die Sicherheitsbeauftragten mussten die Beamten mehrfach darauf hinweisen, dass sie im Foyer auf den herbeigerufenen Veranstaltungsleiter warten müssten. Dabei fiel das rabiate Verhalten eines Beamten auf. Drängen und Schubsen eines Beamten gegenüber einem Sicherheitsbeauftragten begründete der Polizist mit „Wir sind die Polizei, wir dürfen das“.
Der herbeigerufene Veranstaltungsleiter fragte, warum die Polizisten gekommen waren. Sie beschuldigten zuerst Gäste der Veranstaltung, Aufkleber an Gegenständen rund um die Stadthalle angebracht zu haben. Das sei Sachbeschädigung. Der Veranstaltungsleiter verwies darauf, dass die Delegierten und die Gäste ein strammes Programm bei der Konferenz hätten und keiner dafür in Frage komme. Es gebe lediglich kleinere Unterbrechungen, die gemeinsam genutzt werden. Der Veranstaltungsleiter forderte die Beamten auf, die Konferenz nicht weiter am Rand zu stören. Kurze Zeit später verließen sie das Foyer der Stadthalle.
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