Hamburg. Alles deutet darauf hin: Sechs Jahre lang, von 2000 bis 2006, hat eine verdeckte Ermittlerin der Hamburger Polizei mit dem Tarnnamen „Iris Schneider“ die linke Szene der Stadt ausgespäht. Selbst in einem Freien Radiosender arbeitete die Polizistin mit – ein Angriff auf die Pressefreiheit, gegen den die Deutsche Journalistinnen und Journalisten Union dju in Verdi entschieden protestiert. Dazu ein Kommentar von Anne Hilger.
Durch Zufall entdeckte eine Gruppe aus dem Umfeld der Roten Flora im vergangenen Jahr die ehemalige Bekannte, die sie in die USA ausgewandert wähnte. Die Beamtin des Hamburger Landeskriminalamts ist inzwischen in anderen Bereichen eingesetzt. Die Betroffenen trugen Informationen zusammen. Schon im Jahr 2002 war der Verdacht aufgekommen, „Iris Schneider“ könne eine verdeckte Ermittlerin sein. Die Behörden haben den Fall bislang weder bestätigt noch dementiert, was seinerseits Bände spricht.
Wenn es um die Rote Flora geht, scheinen die Hamburger Ermittlungsbehörden keinerlei Scham- und Anstandsgrenzen zu kennen. Dann sind die Leidtragenden offenbar zu Vogelfreien erklärt. Die Ermittlerin bewegte sich in allen möglichen linken und alternativen Zusammenhängen, ging zum Schein Freundschaften und sogar Liebesbeziehungen ein. Was macht es schon, wenn andere an dem Betrug zerbrechen und jedes Vertrauen zu ihren Mitmenschen verlieren.
„Sie hat uns belogen und betrogen, Freundschaften und Beziehungen geführt und so auch intimste Einblicke in unsere Leben und unsere Befindlichkeiten gewonnen“, schreibt die „bis ins Privateste hinein“ ausgeforschte Gruppe in einem Blog und spricht zu Recht von „Stasi-Manier“. Wie anders auch ließe sich ein dermaßen niederträchtiges, jeder Verhältnismäßigkeit und jeder Rechtsstaatlichkeit entbehrendes Vorgehen der Behörden bezeichnen.
Das Schlimme ist nur: Es ist kaum anzunehmen, dass irgendjemand dafür belangt wird. Klagen in ähnlichen Fällen schleppten sich meist hin und blieben erfolglos. Der angerichtete Schaden ist ohnehin nicht mehr gut zu machen. Wie subtil solche Ermittlungen die von den Behörden ohne Rechtsgrundlage angegriffenen Strukturen zerstören, lässt sich am Beispiel des Radios „Freien Sender Kombinat“ FSK erkennen, in dem „Iris Schneider“ mitarbeitete. Der Sender stand zu Zeiten von Schill stark unter Beschuss. 2003 gab es eine Razzia, die erst 2009 vom Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklärt wurde. Die Beamten hatten auch Adresslisten kopiert und Lageskizzen der Büroräume angefertigt.
Werner Pomrehn hat als Redakteur des FSK mit „Iris Schneider“ zusammengearbeitet. Er nennt den Einsatz der verdeckten Ermittlerin in der Redaktion des Freien Radios „infam“, berichtet die „Frankfurter Rundschau“. Razzien und der Einsatz verdeckter Ermittler dienten dazu, „Vertrauen zu missbrauchen und zu zerstören, Paranoia zu schüren“. Die Redaktion, die mit „Iris Schneider“ zu tun hatte, sei am Streit über die ersten Verdächtigungen gegen sie zerbrochen.
Wir dokumentieren die Pressemitteilung der dju in Verdi zu dem Fall:
Verdeckte Ermittlungen des LKA | Deutsche Journalistenunion in ver.di sieht die Rundfunkfreiheit verletzt
Als „schweren Eingriff in die Rundfunkfreiheit“ hat die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (dju in ver.di) die durch Presseberichte bekannt gewordenen verdeckten Ermittlungen des LKA in der Redaktion des Freien-Senderkombinats (FSK) in Hamburg kritisiert. Medienberichten zufolge und laut Aussage des betroffenen Senders wurde eine bereits im Umfeld der Roten Flora eingesetzte verdeckte Ermittlerin für längere Zeit ab 2003 auch auf die Redaktion des Senders angesetzt.
„Jeder polizeiliche Eingriff in die verfassungsrechtlich zu schützenden Medienfreiheit ist ein Skandal“, kritisierte der in ver.di Hamburg für die dju zuständige Fachbereichsleiter Martin Dieckmann. Die bislang vorliegenden Informationen legten darüber hinaus den Eindruck nahe, dass man von Seiten des LKA den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Rundfunkfreiheit erst gar nicht zur Kenntnis genommen habe: „Das Bespitzeln von Journalisten darf nicht sein. Hier scheint es noch schlimmer gewesen zu sein: die Rundfunkfreiheit wurde zur Tarnung für verdeckte Ermittlungen missbraucht“, sagt Dieckmann.
Innenbehörde und Senat forderte Dieckmann zu einer zügigen und umfassenden Aufklärung auf: „Der Senat muss erklären, wie er den Schutz eines staatsvertraglich zugelassenen Senders gewährleisten will.“ Rechtliche Schritte werden von ver.di geprüft, betroffenen ver.di-Mitgliedern sichert Dieckmann Unterstützung zu.
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