Kommentar von Laku Noć – Köln. Mindestens 4000 Menschen „demonstrierten“ am Sonntag, 26. Oktober, in Köln gegen Salafisten. Es gab massive Ausschreitungen, Gewalt gegen Unbeteiligte wie auch gegen Polizisten, neonazistische Verlautbarungen. Alles kombiniert mit starkem, offenem Alkoholkonsum. Doch in Köln randalierten nicht nur Neonazis und Hooligans. Die Demo war vielmehr der größte Rekrutierungscoup der Nazis seit der Hitlerjugend. Wer dabei war, brüstet sich künftig mit einem Ehrentitel: „Hooligan“.
„Hooligans gegen Salafisten“ lautete der Titel der „Demo“. Es sollen also allesamt Hooligans gewesen sein. Auch in der breiten Berichterstattung war konsequent von „Hooligans und Rechtsextremisten“ die Rede. Hier und da wurde auch thematisiert, dass bei vielen Beteiligten wohl beide Attribute zutreffen. Es werden die allereinfachsten Erklärungsmuster zu den Vorfällen verwendet. Der Tenor: „Hooligans und Rechtsextremisten verbünden sich, und Veranstaltungen dieser Art werden in Zukunft verboten“.
Doch damit ist lediglich der oberste Schneeball an der Spitze des Eisberges erfasst. Denn es waren nicht nur Hooligans und Neonazis, die am besagten Sonntag in Köln randalierten. Jedenfalls waren sie es nicht, als sie dort erschienen. Allerdings verließen die meisten die Stadt als rechtsextreme Hooligans. Sie ließen sich von den Nazis rekrutieren.
Hooligans – oder was? Es steht außer Frage, dass ein Großteil der deutschen Hooliganszenen neonazistische, rechtsradikale oder rechtsoffene Züge hat. Mal mehr, mal weniger, mal gar nicht. Jedoch galt bisher das Gebot, Politik aus dem Geschehen raus zu halten. Womit es häufig zu Aufeinandertreffen der sogenannten Wald- und Wiesenfraktionen kommt. Bei diesen Treffen stoßen zwei Hooligangruppen auf einer Wiese oder einem Waldweg aufeinander, um sich miteinander zu messen. In so,chen Gruppen kämfen Neonazis mit Migranten Seite an Seite. Die Treffen haben mehr Sport- als Kriegscharakter. Die meisten Hooligans sind schließlich auch Kampfsportler.
Wald- und Wiesen-Hooligans schätzen eigentlich Diskretion
Das Bild des britischen Casual, der gut gekleidet im Stadion sitzt und aus Bescheidenheit, Arroganz oder aus taktischen Gründen wenig Wert auf ein martialisches Äußeres legt, prägte teilweise auch hierzulande die Ränge. Zwar tummeln sich auch dort stereotype muskelbepackte Gesichtstätowierte, denen die Gewaltgeilheit auf der Stirn geschrieben steht. Doch sie sind seltenst an Ausschreitungen im unmittelbaren Bereich des Stadions beteiligt.
Es sind die Hooligans, die sich bundesweit mit anderen Hoolgruppen vernetzen und sich zum Kampf verabreden. Auch Hass und Feindschaft spielt hier seltener eine Rolle. Man respektiert seinen Gegner. Auch die Auseinandersetzung mit der Polizei wird in diesen Kreisen eher gescheut als gesucht. Hooligangruppen bestehen meistens seit Jahren. Ihre Mitglieder sind häufig nicht mehr die jüngsten und haben Familie oder einen Beruf, weshalb sie auf ihre Reputation achten müssen.
Was bei den Hooligans passiert, geht eben niemanden etwas an. Aus diesem Grund scheut der gemeine Hooligan den Kontakt zu den Medien. Man bleibt lieber unter sich. Es reicht, wenn der Kreis klein ist, der Bescheid weiß, dass man Hooligan ist und was man so treibt. Aber man darf sich eben als Hooligan seines Vereins bezeichnen. Man gehört zu diesem Kreis.
Zunächst eher Patrioten als Neonazis
Wie kann dann so etwas wie in Köln geschehen – widerspricht doch dieses Verhalten in jeder Konsequenz dem bisherigen Bild der deutschen Hooligans? Entweder ist dieses Bild falsch, oder es handelte sich beim Großteil des Mobs in Köln nicht um Hooligans. Diese Frage ist der Knackpunkt bei der Bewertung der Vorgänge in Köln.
Gesetzt den Fall, das bisherige Bild vom deutschen Hooligan ist falsch: Dann hätten bei ungefähr 4000 Teilnehmern die Hooligans von etwa 80 deutschen Vereinen mit jeweils 50 Mann in Köln erscheinen müssen. Diese Zahl ist zu unrealistisch, selbst wenn alle deutschen Hools mit einem Mal all ihre Prinzipien über den Haufen geworfen hätten.
Es spricht also mehr dafür, dass es sich beim Großteil eben nicht um Hooligans handelte. Auch die Annahme, dass ein Teil aus der rechten Szene kommt, liegt fern. Denn betrachtet man die Videos vom Geschehen, so fällt auf, dass zwar die üblichen rechten Szeneparolen gerufen werden, die meisten diese jedoch nicht oder erst später mitrufen – weil sie die Parolen schlichtweg nicht kennen. Naheliegend jedoch ist, dass nahezu alle Teilnehmer stark patriotisch denken. Noch vor Beginn der „Demonstration“ gab es „Deutschlandsprechchöre“, wie zum Beispiel: „Hurra, hurra – Die Deutschen, die sind da“.
Aber woher kamen die 4000, wenn nicht aus dem Hooligan- oder Neonazilager? Zu einer naheliegenden Erklärung dürfte das Motto der „Demonstration“ führen. „Hooligans gegen Salafisten“ – das suggeriert, dass jeder Teilnehmer ein Hooligan ist. Noch nie war es leichter, sich als Hooligan zu bezeichnen. Du bist an besagtem Sonntag in Köln beim Mob, ergo du bist ein Hooligan. Du bist ein brutaler Schläger und hast einen ebenso brutalen Mob hinter dir.
Ein echter Hooligan – das ist wie ein Doktortitel
Es ist nämlich keineswegs einfach, sich sonst so offen als Hooligan zu bezeichnen. Tut man dies bei seinem Verein, wird man von den richtigen Hools schnell zurechtgewiesen. Häufig reicht schon das Tragen der Marke Hooligan Streetwear aus, um sich einen Spruch einzufangen, wenn nicht sogar mehr. Bei den Ultras ist das ähnlich elitär. Dort ist jedoch der geforderte persönliche Einsatz noch intensiver und extensiver als bei den Hooligans.
Aber ist man dabei, dann ist das Recht, sich Hooligan oder Ultra nennen zu dürfen, und die Mitgliedschaft in der Gruppe das absolute Zentrum des eigenen Selbstverständnisses. Doch das erfordert langen und intensiven Einsatz. Zu lange für die meisten, die sich kurzzeitig dafür begeistern. Sie verlieren bald schon die Geduld oder setzen gar nicht erst zum Versuch an.
Dabei wollen sie doch nur saufen und sich daneben benehmen, vor den Kameraden den starken Mann markieren und möglichst als der Gefährlichste gelten. Wie im Kindergarten. Aber plötzlich sagen ein paar echte Hooligans: „Kommt zu dieser Demo, und ihr seid auch echte Hooligans!“ Das ist, als würde man auf dem Campus der Uni Bayreuth Doktortitel verschenken.
Wenige Anstifter rekrutierten einen rechtsradikalen Mob
Diese Dynamik bestätigt einen Trend, der sich in der deutschen Gesellschaft mehrfach wiederfindet. Motorrad- oder Rockerclubs haben einen sehr hohen Zulauf. Neue Clubs und Niederlassungen sprießen wie Pilze aus dem Boden. Die Grundhaltungen sind dieselben: Eine hohe Abgrenzung nach außen (bis hin zum Bandenkrieg) sowie die totale Stärkung nach Innen (Treueschwüre à la „Alles für den Dackel, alles für den Club“). Das Bedürfnis also, einer starken Gruppierung anzugehören, die maßgeblich für die eigene Identität ist. Auch der gesellschaftliche Rechtsruck durch die AfD trägt dieses Muster: Inneres Stärken durch höhere nationale Wertigkeit und Marktliberalität, sowie Abgrenzung nach Außen durch Entsolidarisierung mit den Partnern der Währungsunion und asylsuchenden Flüchtlingen.
Aber was ist nun mit diesen armen Würstchen, die dort in Köln für ihre Selbstdarstellung randaliert haben? Sind es nun Rechte oder Rechtsradikale oder gar rechtsradikale Hooligans? Ja, sind sie! Seit sie so bezeichnet wurden. Und sie sind es gerne. Die haben, was sie wollten. Den Status Hooligan. Die Attribute „rechts“ oder „rechtsradikal“ werden gerne in Kauf genommen, wenn sie nicht bereits vorher schon zugetroffen haben. Wenigen Anstiftern aus der rechtsradikalen Szene und der Hooligan-Szene ist es in Köln gelungen, einen 4000 Mann starken rechten bis rechtsradikalen Mob zu rekrutieren. Und der bleibt ihnen bestehen. Das Konzept ging auf.
Fotos: indymedia
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