Kommentar von Anne Hilger – Stuttgart. Was soll diese Hysterie über Rot-Rot-Grün in Thüringen, die selbst dem SPD-Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel „abenteuerlich“ vorkommt? An den Plänen der Thüringer Koalition kann ihr Ausmaß wahrlich nicht liegen. Vermutlich geht es eher um eine Warnung: Wehe, Ihr wollt die Verhältnisse eines Tages tatsächlich zum Tanzen bringen – dann belassen wir es nicht bei Verbal-Attacken.
Bodo Ramelow wird zum ersten linken Ministerpräsidenten gewählt, und die CSU schwadroniert von einem „Tag der Schande“. Kommentatoren beschwören den Untergang des Rechtsstaats. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Tankred Schipanski diktiert Journalistinnen des „Springer“-Blatts „Welt“ beleidigt in den Block: „Das ist ein Tabubruch, der Thüringen in die Isolation führen wird.“ Hubertus Knabe, der Direktor der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, beklagt Ramelows Wahl mit den Worten: „Das ist kein guter Tag für Deutschland und erst recht nicht für die Opfer der SED-Diktatur.“
Nun ist Bodo Ramelow wahrlich kein Umstürzler und der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag ein eher biederes, sozialdemokratisches Programm: kostenfreies Kita-Jahr, Kreisreform, weitgehender Abzug der V-Leute des Verfassungsschutzes, Einstellung von jährlich 500 Lehrern, Ausbau erneuerbarer Energien und das alles ohne Neuverschuldung, also unter Kostenvorbehalt: Das mag den Menschen in Thüringen ein wenig helfen, aber revolutionär ist das wirklich nicht.
Weshalb also diese mehr oder weniger gespielte Empörung, die Abscheu, der Aufschrei? Weshalb gemeinsame Fackelmärsche von Nazis, CDU, AfD und FDP im Vorfeld von Ramelows Wahl? Weshalb Drohungen gegen Abgeordnete und ihre Familien, gelockerte Radschrauben, nächtliche Angriffe auf Parteibüros der Linken?
Den Mächtigen und Vermögenden im Land scheint Rot-Rot-Grün ordentlich Angst einzujagen, und der CDU sowieso. Anders ist diese Überreaktion kaum zu erklären. Oder umgekehrt: Konservative und reaktionäre Kräfte stellen präventiv klar, dass sie einen ernsthaften Angriff auf ihre Macht, ihren Reichtum und ihre Profite nicht dulden würden. Die Hysterie ist ein Warnschuss. Wer die Verteilung von Einkommen und Vermögen zurechtrücken und die Unterordnung aller Lebensbereiche unter Profitinteressen nicht hinnehmen will, muss mit erbittertem Widerstand des Kapitals und seiner Handlanger rechnen. Und dabei wird ihnen jedes noch so gewalttätige Mittel recht sein.
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