Von Jens Volle – Tübingen. Knapp 1000 Menschen demonstrierten am Samstag, 20. Dezember 2014, gegen Tierversuche am Max-Planck-Institut (MPI) für Biologische Kybernetik in Tübingen. Dort wird an Rhesus- und Javaneraffen sogenannte Grundlagenforschung betrieben. Diese wird oft als „zweckfreie Forschung“ bezeichnet, da sie nur ein Ziel hat: die Befriedigung wissenschaftlicher Neugier. Es war die dritte Demonstration dieser Art.
Die Demonstrierenden forderten einen sofortigen Stopp der Tierversuche. Tausende hatten bereits am 20. September in Tübingen und am 25. Oktober diesen Jahres in Stuttgart gegen sie protestiert.
Wie die Tat eines James Bond-Bösewichts
Bei der Auftaktkundgebung an der Neuen Aula kritisiert der Tierrechtsaktivist Thomas Laschyk die Rechtfertigungen des MPI für die brutalen Tierversuche:
Wir stehen heute hier zu einem Zweck. […] Weil hier in Tübingen, doch auch überall anders auf der ganzen Welt unschuldige Lebewesen täglich zu tausenden gefoltert werden. Was nach der Tat eines James Bond-Bösewichts klingt, ist staatlich geförderte, institutionelle Praktik. Sie sagen uns, dass der medizinische Fortschritt nur damit möglich ist. Mit Tierversuchen. Dass für jeden toten Affen hier im Labor anderswo ein Mensch leben kann. Doch sie lügen! Sie tun das für Geld. Sie tun das für die Karriere.
Tatsächlich dienen 40 Prozent der in Deutschland durchgeführten Tierversuche der Grundlagenforschung (siehe unten). Das bedeutet, dass daraus wenig bis gar keine Erkenntnisse über Krankheiten oder Therapieformen gewonnen werden, die in irgendeiner Weise Menschenleben retten würden. Der Auftaktkundgebung folgte ein Demozug bis direkt vor die Tore des MPI. Mitarbeiter des Institutes waren nicht vor Ort. Nach Angaben des Vereins SOKO Tierschutz, dem Veranstalter der Demo, wurde den Mitarbeitern für diesen Tag frei gegeben, um sie vor der berechtigten Kritik an ihrer täglichen Arbeit zu schützen. Statt dessen wurde das Gelände durch dutzende Sicherheitsleute und PolizistInnen bevölkert.
Profilierung durch Tierquälerei
Auf der Abschlusskundgebung direkt vor dem MPI spricht Lucie Braun von den Ärzten gegen Tierversuche: „Die einzigen Nutznießer sind die Experimentatoren selbst, die sich mit einer langen Liste von Artikeln in Fachzeitschriften profilieren und Forschungsgelder einstreichen. Finanziert wird das alles durch öffentliche Gelder.“ Auch sei die heutige Wissenschaft schon so weit fortgeschritten, dass Versuche an Tieren, die der Erforschung von Therapien und Medikamenten dienen, durch in-vitro Methoden, also Forschung außerhalb des lebenden Organismus zum Beispiel im Reagenzglas, ersetzbar sind.
Als weiterer Redner der Abschlusskundgebung schlug Heiko Weber von Ariwa (Animal Rights Watch) den Bogen zu anderen Auswüchsen von Tierausbeutung: „In Deutschland werden pro Jahr zirka zwölf Milliarden Tiere von Menschen gegessen – davon mehr als elf Milliarden Fische.“ Im Vergleich zu dieser horrend hohen Zahl mache die Anzahl der Tiere für Tierversuche nur 0,00025 Prozent aus. Dennoch stellt Heiko Weber fest: „Tiere sind keine Zahlen, Tiere sind keine Dinge, Tiere sind keine Versuchsobjekte und Tiere sind auch keine Nahrungsmittelquelle für Menschen – Tiere sind Individuen, und es gibt keinen vernünftigen Grund, wieso wir Menschen andere Tiere benutzen und töten sollten.“
Menschenkette und Mahnwache vor dem MPI
Mit einer Menschenkette um das MPI unterstrichen die DemonstrantInnen ihre Forderungen nach einem Ende der Misshandlungen und des Ausnutzens von Tieren. Sie verlangten einen sofortigen Stopp sämtlicher Versuche an Tieren und das Umdenken der Forscherinnen. Sie sollten endlich eine zeitgemäße und ethisch vertretbare Forschung betreiben. Anschließend hielten einige Dutzend DemonstrantInnen eine Mahnwache vor dem MPI für alle Tiere ab, denen ein qualvolles Leben – in den meisten Fällen bis zum Tod – aufgezwungen wird.
Filmaufnahmen belegen beispiellose Grausamkeiten
Den Anstoß zu der Kampagne, deren Teil die Demonstration war, machten TierschützerInnen des Vereins SOKO Tierschutz. Dessen Mitbegründer Friedrich Mölln stellte die Ergebnisse einer sechsmonatigen Undercoverrecherche am MPI am 10. September diesen Jahres bei Stern TV vor: Pawel (Name geändert), ein als Tierpfleger getarnter Tierschützer, machte über sechs Monate mit versteckter Kamera Videoaufnahmen von den Versuchen und dem Zustand der Affen innerhalb des MPI. Die Aufnahmen zeigen unter anderem verstörte, mit offenen Wunden blutende und sich erbrechende Affen in ihren Käfigen – ebenso, wie sie für Versuche, durch Wasserentzug gefügig gemacht, in den sogenannten Primatenstuhl gezwungen werden. Dort müssen sie mit Hilfe einer im Kopf fest implantierten Vorrichtung stundenlang fixiert ausharren. Diese deutlichen, in ihrer Grausamkeit bisher noch nicht dagewesenen Filmaufnahmen lösten eine Welle der Entrüstung aus.
Informationsfreiheitsgesetz und Verbandsklagerecht gefordert
Politik und Behörden reagieren laut Friedrich Mölln, wenn sie überhaupt reagieren, trotz der Veröffentlichung dieser rechtswidrigen Praktiken viel zu zurückhaltend und langsam:
Die Landesregierung muss den BürgerInnen und den Organisationen endlich die Mittel in die Hand geben, die in vielen Ländern der Welt und auch in Teilen Deutschlands längst selbstverständlich sind. Aber ohne Informationsfreiheitsgesetz und Verbandsklagerecht ist der bürgerliche Protest auch weiterhin von Informationen und Klage ausgesperrt.
Hier gibt es nähere Informationen über die Recherche von SOKO Tierschutz e.V., den aktuellen Stand der Dinge und Ankündigungen weiterer Aktionen. Zur Grundlagenforschung siehe Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Versuchstierzahlen 2013 (zuletzt gesichtet am 21.12.2014)
Fotos: Jens Volle
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