Stuttgart. 185 Organisationen hatten aufgerufen, unter ihnen Gewerkschaften, Grüne, Linke und SPD. Nach Polizeiangaben kamen 8000 Menschen, nach unserer Zählung ungefähr 10 000 am frühen Montagabend, 5. Januar, auf den Stuttgarter Schlossplatz, um gegen Pegida, Rassismus und rechte Hetze zu demonstrieren – unter ihnen auch Flüchtlingsorganisationen. Der vom Verein „Die Anstifter“ initiierte Abend war geprägt von demonstrativem Zusammenstehen über politische Differenzen hinweg. Konservative Kräfte wie die CDU oder die FDP fehlten jedoch. Letztere hielt am Vorabend ihres Dreikönigstreffens nicht weit entfernt in der Liederhalle einen Südwest-Parteitag ab.
Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) war der nicht unumstrittene Hauptredner der vorbeugenden Protestveranstaltung. Er nannte die Behauptung, in Deutschland drohe eine Islamisierung, „Quatsch in Reinform“. Wer die Pegida-Bewegung gutheiße, mache sich zum Wegbereiter von Faschisten und Rechtsradikalen, wandte er sich ausdrücklich auch an die AfD, die mit drei Stadträten im Stuttgarter Gemeinderat vertreten ist. Für kommenden Montag, 12. Januar, sollen nun tatsächlich organisierte Pegida-Anhänger auf den Straßen der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu erwarten sein.
Dem Verein „Die Anstifter“ als Initiator der Kundgebung am Montag schloss sich innerhalb weniger Tage ein breites gesellschaftliches Bündnis an. „Wir wollen in Stuttgart Zeichen setzen für Toleranz und Anerkennung. Wir wollen Zeichen setzen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“, hieß es in dem Aufruf.
Diffuses Weltbild mit rechtextremen Einstellungen
Ein syrischer Flüchtlingschor begrüßte die Versammelten mit „Freude schöner Götterfunken“ in der Abenddämmerung auf dem Schlossplatz. Als erster Redebeitrag wurde der Brief eines Flüchtlingskinds aus Aleppo verlesen. Dann sprach Fritz Mielert von den „Anstiftern“. Nach ihrem Selbstverständnis sei es deren Aufgabe, eine solche Veranstaltung zu organisieren. „Doch allein hätten wir es nie geschafft“, dankte er Unterstützern und Helfern.
Die Anstifter befürchteten, dass Rechtsextremismus bis in die Mitte der Gesellschaft vordringt, sagte Mielert. Pegida braue sich „ein diffuses Weltbild“ zusammen. „Es sind ganz klar rechtsextreme Einstellungen“, ließ er keinen Zweifel: „Nicht die Dummheit ist das Merkmal der Pegida-Anhänger, sondern ihr hermetisches Weltbild.“
Pegida steht für Hetze gegen in Not geratene Menschen
Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn wurde mit Beifall, aber auch mit Pfiffen begrüßt. Er zeigte sich stolz ob der großen Menschenmenge und hob die Flüchtlingspolitik der Stadt und das ehrenamtliche Engagement vieler Unterstützerinnen und Unterstützer hervor. „Es geht nicht um die Frage, ob wir die Flüchtlinge unterbringen, sondern nur darum, dass wir sie so gut und menschenwürdig aufnehmen wie möglich“, betonte er. Der „Stuttgarter Weg“ bedeute, „dass wir alle, die kommen, als Stuttgarter und Stuttgarterinnen“ betrachten. Die Stadt stehe für Integration und gegen Ausgrenzung.
Pegida stehe nicht für europäischen Patriotismus, sondern „für Hetze gegen Menschen, die in Not zu uns gekommen sind.“ Kuhn appellierte an Pegida-Anhänger, sich nicht zu Mitläufern und Handlangern zu machen. Keines der Probleme der Republik habe mit Menschen islamischen Glaubens zu tun, stellte er klar.
Werte des christlich-jüdischen Abendlands – von wegen!
Als Pfarrer Eberhard Schwarz von der Hospitalkirche auf die Bühne kam, war aus der Menschenmenge der Ruf „Hoch die internationale Solidarität“ zu hören. „Die große Zahl von Mitveranstaltern ist ein Zeichen der hohen Übereinstimmung in unserer Stadtgesellschaft“, zeigte sich Schwarz zufrieden. Er sehe mit Sorge, was sich etwa in Frankreich am rechtsextremen Rand regt. Pegida sei „keine nationale Veranstaltung“. Über Angst müsse man reden, doch sie dürfe „nicht unser Herz und unser Handeln bestimmen“.
Schwarz hob drei Merkmale der Pegida-Bewegung hervor. Ihre Anhänger seien geprägt von Zukunftsangst, die sich an Zuwanderung und Flucht festmache. Sie würden mit ihrer Angst von rechten Kräften vereinnahmt. Und zu ihrer Besorgnis um das Zusammenleben gesellten sich Ideen, „die auch dem christlichen Verständnis“ widersprächen. Besonders erbost zeigte sich Eberhard Schwarz darüber, dass Pegida die Werte des christlich-jüdischen Abendlands für sich in Anspruch nehme: „Wenn es denn nur so wäre. Dann wäre klar, dass Flüchtlinge in dieser Kultur einen besonderen Schutz haben.“ An dieser Stelle wurde die Rede des Pfarrers von spontanem Beifall unterbrochen.
GEW fordert Recht auf Bildung für alle Flüchtlingskinder
Stephanie und Christoph Haas trugen ein kurdisches Lied vor. Dann sprach Doro Moritz, die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW. In ihrer von viel Applaus begleiteten Ansprache forderte sie „mehr Bildung statt Einbildung“. Eindringlich appellierte sie an alle Pädagoginnen und Pädagogen, sich einzumischen. Pediga zeige, wie notwendig es sei, Kinder und Jugendliche zu Toleranz und zur Akzeptanz von Vielfalt zu erziehen, erinnerte sie an die Proteste „namentlich von Mitgliedern der AfD“ gegen den neuen baden-württembergischen Bildungsplan, die zu verhindern versuchten, dass die Akzeptanz sexueller Vielfalt als Bildungsziel aufgenommen wird: „Wir sehen Vielfalt als Chance und Bereicherung und wollen ein buntes Deutschland.“
Doro Moritz lobte, dass die Landesregierung 200 neue Lehrerstellen geschaffen habe, um Flüchlingskindern Bildung zu ermöglichen, sparte aber auch nicht mit Kritik. Die GEW forderte, dass das Recht auf Bildung nicht erst nach einem halben Jahr im Land greifen dürfe, sagte sie unter Applaus. Ebenso kritisierte sie, dass sich die Landesregierung aus Kostengründen von ihrer Absichtserklärung im Koalitionsvertrag verabschiedet habe, allen Kindern ab der ersten Klasse Ethikunterricht anzubieten: „Pegida ist der klare Beweis, dass die Gesellschaft allen Kindern und Jugendlichen ein gutes Fundament der Wertebildung bieten muss.“
Kritik an Zustimmung zu sicheren Drittstaaten
Eric Gauthier, Tänzer und Choreograph, sprach für die Kunstschaffenden in der Stadt. Andreas Linder, Geschäftsführer des Landesflüchtlingsrat, ordnete die derzeitige Asylpolitik ein. Zwangsläufig goss er damit Wasser in den Wein. Er kritisierte nicht nur die europäische Flüchtlingspolitik, sondern auch die Zustimmung der baden-württembergischen Landesregierung zur Einordnung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Drittstaaten, was zur schnelleren Abschiebung vornehmlich von Roma führt.
Eine gute Flüchtlingspolitik müsse einen legalen Zugang von Asylsuchenden in die EU ermöglichen, forderte Linder. Das Mittelmeer dürfe nicht weiter zum Massengrab werden. Die Dublin-Verordnung müsse überdies durch ein besseres Verteilungssystem von Flüchtlingen auf die europäischen Länder abgelöst werden, das auch ihre Wünsche berücksichtigt. Dabei müsse auch Deutschland Verantwortung übernehmen. Der syrische Flüchtlingschor, der schon zu Beginn aufgetreten war, schloss die Veranstaltung ab. Der Redebeitrag von Andreas Linder kann hier nachgelesen werden.
Hinweise: Pressemitteilung der Stadt Stuttgart zur Rede von OB Fritz Kuhn
Wir dokumentieren die Liste der Unterstützer-Organisationen der Anstifter-Kundgebung gegen Pegida (Stand: 5. Januar, 17 Uhr):
Alexander Bauer, Vorsitzender des Polizeibeirats der SPD Baden-Württemberg und Kreisrat
Dieter Spöri, stellv. Ministerpräsident und Wirtschaftsminister a.D.
Katrin Altpeter, Arbeits- und Sozialministerin in Baden Württemberg und MdL
Leni Breymaier, Verdi-Landesbezirksleiterin und stellvertretende SPD-Chefin in Baden-Württemberg
Michael Schlecht MdB
Richard Pitterle, MdB Die Linke, Rechtsanwalt
Arbeitskreis Asyl Stuttgart
Amadeu Antonio Stiftung, Heidelberg & Weinheim
Bündnis 90/ Die Grünen Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat
Fraktionsgemeinschaft SÖS Linke PluS
IG Metall Stuttgart
Pax Christi Stuttgart
SPD-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat
ver.di Bezirk Stuttgart
Weissenburg e.V., Stuttgarts schwul-lesbisches Zentrum
Baden-württembergische Landesvertretung der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V.
DIDF Baden-Württemberg
Die Humanisten Baden-Württemberg
Die Linke Baden-Württemberg
Flüchtlingsrat Baden-Württemberg
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Landesverband BW
Grüne Jugend Baden-Württemberg
Jusos Baden-Württemberg
Landesjugendring Baden-Württemberg
Linksjugend [‘solid] Baden-Württemberg
Netzwerk rassismuskritische Migrationspädagogik Baden-Württemberg
Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg
Adelante!
AG Solidarität Ellwangen
AK “Euthanasie” der Stuttgarter Stolpersteine
AK Asyl Tübingen
AK-Asyl Sindelfingen
Aktion Strom ohne Atom
Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
Albrecht Müller, Herausgeber der NachDenkSeiten
Allianz für Menschenrechte,Tier-und Naturschutz
Allmende Stetten – Politik und Kultur
antifaschistische Jugend Rhein-Neckar
Arbeit Zukunft – Gruppe Stuttgart
Arbeitskreis Asyl e.V., Schwäbisch Gmünd
Arbeitskreis Asyl Pleidelsheim
Asyl-Café Reutlingen
Atik(Konföderation der ArbeiterInnen aus der Türkei in Europa)
Attac Ostfildern
attac Reutlingen
attac Stuttgart
autonome antifa [s]
Backnanger Demokraten
Beratungsstelle FIZ, Fraueninformationszentrum
Blockadegruppe der Parkschützer
Buch und Plakat Stuttgart
Bündnis 90/ Die Grünen Böblingen
Bündnis 90/ Die Grünen KV Ludwigsburg
Bündnis 90/ Die Grünen KV Stuttgart
Bündnis 90/ Die Grünen OV Göppingen
Bündnis 90/ Die Grünen OV-Reutlingen
Bunte Linke Heidelberg
Bürgerchor Stuttgart e.V.
Cannstatter Stolperstein-Initiative
Chor Avanti Comuna Kanti
Deutsch-Afghanischer Flüchtlingshilfe Verein (DAFV) e.V.
Deutsch-Rumänisches Forum Stuttgart e.V.
Deutsch-Türkisches Forum Stuttgart e.V.
Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)
DFG-VK Baden-Württemberg
DFG-VK Gruppe Stuttgart
DIDF Stuttgart
Die Linke Bietigheim-Bissingen
Die Linke Kreis Reutlingen
Die Linke Kreisverband Ludwigsburg
Die Linke Kreisverband Tübingen
Die Linke Liste Reutlingen
Die Linke Ortsverband Bad Cannstatt-Mühlhausen-Münster
Die Linke Stuttgart
Die Stadtisten
Die Ulmer Initiativen (ViG)
DIVaN (Demokratie-Initiative Vaihingen/Enz + Nachbarn)
DKP Stuttgart
Evangelisches Kreisbildungswerk Stuttgart / Hospitalhof
Fluchtpunkte e.V., Tübingen
Forum der Kulturen Stuttgart e. V.
Forum jüdische Bildung und Kultur Stuttgart
FreidenkerInnen Initiative Reutlingen
Freier Chor Stuttgart
Freundeskreis Asyl Mühlacker
Freundeskreis Asyl Ostfildern
Freundeskreis der Asylbewerber Ravensburg-Weingarten
Freundeskreis für Flüchtlinge in Fellbach
Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. /RAG Baden-Württemberg
Gesellschaft Kultur des Friedens, Tübingen
GlobalCampus Hohenheim
Grüne Jugend Rems-Murr
Grüne Jugend Stuttgart
Guido Lorenz, Katholischer Betriebsseelsorger Arbeitsstelle Stuttgart
INa e.v. Integrations- und Nachhilfe Schwaikheim
Initiative 30.09. e.V.
Initiative BürgerInnen-Parlament
Initiative Grundeinkommen Stuttgart e.V.
Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V.
Initiative Pro Rel Tübingen
Initiative Rems-Murr nazifrei!
Interreligiöse Gemeinschaft für Frieden Stuttgart
Juso Kreisverband Esslingen
Juso-Hochschulgruppe der Universität Hohenheim
Juso-Hochschulgruppe Stuttgart
Juso-Kreisverband Göppingen
Jusos Rems-Murr
Jusos Stuttgart
Kampagne gegen die Tunnelbohrmaschine
Kommunale Kino Göppingen Open End
Koordination Stuttgarter Stolpersteininitiativen
KUS – Klima- und Umweltbündnis Stuttgart
KZ Gedenkstätte Vaihingen-Enz e.V.
Lebenshaus Schwäbische Alb – Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.
Linksjugend [‘solid] Stuttgart
Linksjugend Solid Ludwigsburg
Lokale Agendagruppe Backnang
Lorettina e.V.
Mauthausen Komitee Stuttgart e.V.
MLPD Kreis-Stuttgart-Sindelfingen
MLPD Kreisverband Esslingen
Naturfreunde Heslach
Naturfreunde Holzgerlingen/Altdorf
Naturfreunde Stuttgart
Neuer Montagskreis: Petra Bewer Peter Conradi, Reiner Graner, Sandrine Kirschenbilder
No Border Frankfurt
Ökumenische Aktion Ohne Rüstung Leben
Parkschützerbüro
Partei Mensch Umwelt Tierschutz Landesverband Baden-Württemberg
Piratenpartei Rems-Murr-Kreis
Piratenpartei Stuttgart
Plattsalat
POEMA e.V. Stuttgart – Armut und Umwelt in Amazonien
Pois Projekt
Radio free FM – Redaktion Protest und Partizipation, Ulm
Rems-Murr nazifrei!
Respekt e.V.
Rote Peperoni
Rote Peperoni – sozialistische Kinderorganisation
Schorndorfer Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus
Schorndorfer Ökumenisches Friedensgebet für den Frieden in der Welt
Schwäbischer Heimatbund, Stadtgruppe Stuttgart
see.feld Werkstatt für Dialog und Entwicklung, Stuttgart
Solidarität International e.V. Gruppe Stuttgart
Sozialistische Alternative (SAV) Stuttgart
SPD Gemeinderatsfraktion Schwaikheim
SPD Ortsverein Korb
SPD Ortsverein Schwaikheim
SPD Stuttgart
SPD Stuttgart-Ost
SPD-Mitglieder gegen S21
SPD-Ortsverein Degerloch
SPD-OV Metzingen
Stadtjugendring Stuttgart
Stolperstein-Initiative Stuttgart-Süd
Stuttgart 21 ist überall
Stuttgart Ökologisch Sozial
Stuttgarter Dante Gesellschaft e.V.
Theaterhaus Stuttgart
Tibet-Initiative Deutschland e.V.
Trägerverein für offene Jugendhilfe e.V., Weil der Stadt
Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg
Umsonst & Draußen
Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) Stuttgart e.V.
Unser Huhn Tübingen
Vaihingen Ökologisch Sozial
Vaihinger für den Kopfbahnhof
Verein für Internationale Jugendarbeit vij e.V.
Verein für vielfältige Bewegungskultur VfvB
VfB-Fanclub Rote Karte
VVN/BdA
Weltladen an der Planie
Zeichen der Erinnerung
Zukunfstwerkstatt e.V.
Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften
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