Stuttgart. Rund 500 Männer und Frauen folgten am Montagabend, 12. Januar, dem Aufruf von „Stopegida“ zu einer Kundgebung gegen Rassismus und ausländerfeindliche Hetze auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Hätten nicht für den selben Abend Pegida-Anhänger zusammen mit der NPD zum ersten baden-württembergischen Aufmarsch in Villingen-Schwenningen mobilisiert, wären wohl noch mehr Demonstrierende nach Stuttgart gekommen.
Dort im Schwarzwald-Baar-Kreis verhinderten ungefähr 200 Pegida-GegnerInnen aus dem antifaschistischen und 800 aus dem bürgerlichen Lager die Aktion von hundert Rechten durch Lautstärke. Auch die Kirchengemeinde zeigte sich solidarisch. Am Münster gingen die Lichter aus.
„Rassismus läuft nicht! Stopegida – Kein Rassismus in Stuttgart“, stand auf einem großen Transparent, das am Montagabend auf den Stufen des Stuttgarter Königsbaus zu sehen war. Maßgeblicher Organisator der Kundgebung war das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS). Ursprünglich wollte ein kleiner Stuttgarter Pegida-Ableger am 12. Januar in der Landeshauptstadt demonstrieren. Der Aufruf zum Protest hielt ihn jedoch offenbar davon ab. Auch künftig werde man keinen rechten Aufmarsch in Stuttgart hinnehmen, kündigte „Stogida“ an.
Bei der gut einstündigen Kundgebung am Montagabend gab es Redebeiträge des AABS und des OTKM, des „Offenen Treffens gegen Krieg und Militarisierung“ (siehe unten). Außerdem sprachen der Flüchtlingsaktivist Rex Osa von „The Voice“ und Janka Kluge, Landessprecherin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA.
Nach Abschluss der Kundgebung bildete sich eine spontane Demonstration, die vom Schlossplatz durch die Königsstraße, die Haupteinkaufstraße Stuttgarts, zum Rotebühlplatz zog. Die Polizei wurde dadurch offenbar überrascht. Erst am Endpunkt fand sich eine größere Zahl von Einsatzkräften ein.
Eine Woche zuvor waren an die 10 000 Menschen einem von 185 Organisationen unterstützten Aufruf der „Anstifter“ gefolgt. Zu den Kundgebungsrednern auf dem Schlossplatz gehörte damals auch Oberbürgermeister Fritz Kuhn (siehe „Einträchtig gegen die Pegida-Gefahr„).
Weitere Aktionen in Baden-Württemberg gegen Rassismus und Islamfeindlichkeit sind am 17. Januar in Mannheim (14 Uhr Schlosshof), am 23. Januar in Freiburg (17 Uhr Augustinerplatz) und am 26. Januar in Karlsruhe (17 Uhr Stephansplatz) geplant.
Wir dokumentieren einige Redebeiträge von Montagabend im Wortlaut:
Rede des AABS:
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
nach dem ersten und wichtigen Zeichen letzte Woche mit rund 9000 Menschen, geht es nun daran, zu überlegen, wie aus einem Zeichen konkrete Taten folgen können. Wie kann man diesen Erfolg am Leben erhalten um dauerhaft dafür sorgen, dass Rassismus in Stuttgart keinen Platz findet?
Zunächst einmal müssen wir uns dafür das Phänomen des Rechtsrucks und PEGIDA anschauen. Ein ganz besonderes Augenmerk müssen wir vor allem auf die lokalen extrem rechten und rechtspopulistischen Akteure legen.
Mit der Krise des kapitalistischen Systems und deren Folgen nahmen europaweit reaktionäre und rechte Bewegungen zu. In vielen Ländern schafften es extrem rechte und rechtspopulistische Parteien viele Wähler- und Wählerinnenstimmen mit rassistischen Slogans zu ködern. Die Verantwortlichen für unsichere und schlecht bezahlte Jobs, hohe Mieten, Bildungsungleichheit und niedrige Renten sollen nun plötzlich Sinti und Roma, Muslime und Flüchtlinge sein. Dass dies die Menschen sind, die in Wahrheit am meisten unter diesen Umständen leiden, wird dabei selbstverständlich verschwiegen.
In einigen Ländern schafften es die Rechten sogar, Regierungen zu bilden oder sich an ihnen zu beteiligen. Negativbeispiele hierfür sind die Orban-Regierung in Ungarn, rechte Wahlerfolge in den skandinavischen Ländern, Großbritannien, Österreich und der Schweiz oder das Erstarken der „Front National“ in Frankreich .
Darüber hinaus ist eine Zunahme von rückschrittlichen gesellschaftlichen Entwicklungen zu beobachten. Besonders erschreckend in diesem Zusammenhang ist ihre rechte Straßenpräsenz, sowie ein Zuwachs von faschistischer Gewalt. Die Phänomene, die sich hier vor Ort auftun, sind also auch im europaweiten Kontext einzuordnen und verdeutlichen damit die internationale Bedeutung des Rechtsrucks.
Solche Erscheinungen wirken vielleicht wie etwas Neues auf uns, doch wenn wir historisch etwas zurückblicken, standen wir schon einmal vor ähnlichen Situationen. Anfang der 90er verzeichneten rassistische Großmobilisierungen, nationalistische Phrasen und rechte Gewalt einen rasanten Anstieg. Denken wir nur beispielsweise an die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen, wo Faschisten gemeinsam mit rassistischen Bürgern Asylheime und Wohnblöcke mit hohem MigrantenInnen-Anteil in Brand setzten. Seitdem gab es keine vergleichbaren rassistischen, teilweise pogromähnlichen Stimmungen und Bewegungen gegen Migrantinnen und Migranten. Wir können das zwar nicht 1 zu 1 auf heute übertragen, dennoch sind erschreckend viele Parallelen zu finden; die Rechten sind in Lauerstellung und warten nur darauf, dass die Stimmung noch weiter kippt. Leider sind es oft genug die Medien oder Aussagen von Politkern, die ihnen in die Hände spielen.
Wenn parallel zum brutalen und mörderischen Terror des sogenannten IS und täglichen Horrormeldungen aus Syrien mediale Debatten aufkommen, wie mit einer angeblichen, beziehungsweise bevorstehenden Massenzuwanderung umzugehen sei; dann versucht die extrem rechte Szene wichtige Debatten für ihre Zwecke zu missbrauchen und inszeniert an mehreren Orten der Republik rassistische Aufmärsche.
Neben den faschistisch motivierten Morden des sogenannten NSU Komplexes, kam es erst 2014 mit rassistischen Großdemos im erzgebirgischen Schneeberg oder in Berlin-Hellersdorf zu einer Welle rassistischer Aktivitäten: Wieder brannten AsylbewerberInnenheime und Baustellen zur Errichtung neuer Heime.
Nach der rassistischen HOGESA-Demo in Köln, fanden daraufhin auch die ersten PEGIDA-Aufmärsche statt. Dort schafften es die Rechten sogar, sich mit Teilen der Bevölkerung zu vereinen.
Anknüpfend an Phrasen wie „Das Boot ist voll“ oder „Asylbetrüger“ werden rassistische Ressentiments in der Öffentlichkeit verbreitet. Der Grund für beinahe alle gesellschaftlichen und weltpolitischen Probleme ist für die Rassisten ganz einfach: Alles Fremde.
Was vor ein paar Jahren noch undenkbar war, wurde damit nun auch in Deutschland bittere Realität.
Und hier in Stuttgart? Wie sieht es hier mit Rassismus und rechten Positionen aus?
Im Stuttgarter Gemeinderat sitzen mittlerweile drei AfD-Mitgleider, allesamt eher vom rechten Flügel der Partei und warten auch schon in den Startlöchern. Der AfD-Stadtrat Fiechtner nutzte das gesellschaftliche Entsetzen über die Terrorakte in Frankreich für seine rechte Hetze. Er verglich den Koran mit dem faschistischen Pamphlet Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Neben solchen Aussagen steht die AfD für eine Verschärfung der miserablen Verhältnisse. Elitäre und sozialchauvinistische Positionen, rassistische und homophobe Stimmungsmache, nationalistische und marktradikale Phrasen – das ist die „Alternative für Deutschland“.
Im gleichen Gewand präsentiert sie sich auch in Feuerbach und ist ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, Ängste und Vorurteile zu schüren; so versucht eine Interessengemeinschaft gegen den Bau eines Flüchtlingsheims vorzugehen. Neben Anwohnerinnen und Anwohnern mischen dort ebenfalls AfD-Mitglieder und Rassisten des extrem rechten Internetportals PI-News mit. Die Gitter der Baustelle verunstalteten sie unter anderem mit Klopapier – die symbolische Botschaft dessen, dürfte allen klar sein.
Die Spitze solcher Vorfälle sind gewalttätige Übergriffe auf Migrantinnen und Migranten. Erst in der Silvesternacht griffen Neonazis die Feier einer türkischen Familie in einem Kebapimbiss in Pforzheim mit Schreckschusspistolen und Messern an; eines der Opfer lag mehrere Tage im Krankenhaus. Das Agieren der Medien und der Polizei war bisher allerdings alles andere als zielführend oder hilfreich.
Letztendlich können sich die Grünen Baden-Württemberg leider auch nicht mit konsequentem Antifaschismus rühmen. Mittels ihrer Partei, allen voran Winfried Kretschmann, wurde bundesweit ein rassistisches Asylgesetz verabschiedet, das die Diskriminierung und Verfolgung der Sinti und Roma faktisch leugnet. Damit gehen sie sogar ein Stück weit auf Forderungen aus der rechtspopulistischen Ecke zu.
Was bedeutet all das für uns?
Es liegt an uns allen, an jeder und jedem von uns, solche Zustände wie in Dresden hier schon von vornherein unmöglich zu machen!
Wenn rechte AktivistInnen wirklich versuchen sollten, in Stuttgart eine PEGIDA Kundgebung oder Demonstration durchzuführen, dann müssen wir sie stören und blockieren!
Klar ist, dass wir hier vereint auf der Straße stehen und entschlossen sind. Vereint und entschlossen für eine solidarische Gesellschaft – ohne Ausgrenzung, ohne Diskriminierung und ohne Rassismus!
Diese Vorstellung wird nicht von alleine Realität und wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass andere für uns gegen die Rechten kämpfen – wir müssen es selbst tun!
Die Zukunft wird zeigen, wie sich diese Zustände entwickeln und wir müssen für jede einzelne Entwicklung gewappnet sein. Unsere Aufgabe ist es, einer rassistischen Mobilmachung entgegenzutreten!
Wir müssen uns zusammenschließen, verschiedene Ebenen und Mittel nutzen und uns nicht einschüchtern oder kleinreden lassen.
Während etablierte Politiker und staatliche Organe sich auf Lippenbekenntnisse und Selbstdarstellung beschränken, heißt es für uns: Aktiv werden!
Schreitet ein, wenn es im Alltag, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, an Schulen, Unis oder auf der Arbeit zu diskriminierenden Sprüchen oder Handlungen kommt.
Gebt Rechtspopulismus keine Möglichkeit sich zu etablieren, sondern entlarvt ihn!
Beteiligt euch an antifaschistischen und antirassistischen Protesten!
Für eine Welt, in der der Einfluss der Rechten, Rechtspopulisten und Faschisten nichts als Geschichte ist!
Flüchtlinge bleiben! – Nazis vertreiben!
Rede des OTKM:
Liebe Passantinnen und Passanten,
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kundgebung,
11 von 19 Forderungen von Pegida richten sich gegen die ohnehin schon verschärften Asylgesetze in der BRD. Daher möchten wir als Offenes Treffen Gegen Krieg und Militarisierung auf die Situation von Geflüchteten in die BRD und deren Fluchtursachen aufmerksam machen.
Diejenigen die es überhaupt bis in die BRD schaffen, das heißt Frontex und Grenzkontrollen überleben, werden zentralisiert in Flüchtlingsunterkünften eingepfercht. Mit der Residenzpflicht wird der Handlungsspielraum eingegrenzt und die Geflüchteten werden von einem menschenwürdigen gesellschaftlichen Leben isoliert. Viele sind traumatisiert, es Mangelt an entsprechender Beratung und Hilfe. Eine Arbeitserlaubnis geschweige denn irgendeine Form von sozialer Sicherheit, gibt’s nicht!
Im Zuge der Pegida-Proteste machten bürgerliche Parteien wie die Grünen, die SPD und co. mobil gegen Pegida.
„Wir heißen Flüchtlinge willkommen und sind ein weltoffenes Land“, deklarierten sie immer wieder.
Doch ihre Flüchtlingspolitik ist weder solidarisch noch integrativ. Der Beitrag der Sozialdemokraten in Sachen Flüchtlingspolitik auf europäischer Ebene heißt „Frontex“, also verschärfte Grenzüberwachung. Mit Waffen und modernsten Sicherheitssystemen werden europäische Grenzen vor gestrandeten Flüchtlingen geschützt. Genau diese Parteien sind es die für diese Maßnahmen mehr Geld zur Verfügung stellen als für beispielsweise die Integration der Flüchtlinge. Deutsche Politiker propagieren die Regionalisierung des Flüchtlingsschutzes, was nichts anderes heißt als den Hauptaufnahmestaaten wie zum Beispiel Griechenland oder Italien auch noch den Rest der Flüchtlinge aufzubürden und Deutschlands priviligierte Lage noch weiter aufzubauen.
Der grüne Ministerpräsident Kretschmann hat Massenabschiebungen erst vor wenigen Monaten mit seiner Stimme ermöglicht, indem er Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina im Bundesrat zu sicheren Herkunftsländern erklärt hat.
In einer globalisierten Welt, in der deutsche Außenpolitik, Deutsche Unternehmen und nicht zu Letzt das deutsche Militär das Schicksal von Millionen von Menschen über den gesamten Globus beeinflussen, ist die Aufnahme von Geflüchteten keine „Nette Geste“, sondern das Mindeste, was wir gegen die Interessen der Ausbeuter und Kriegsprofiteure erkämpfen müssen.
Während Deutsche Waffenunternehmen an Kriegen verdienen, geopolitisch relevante Stellungen beispielweise im Mittleren und Nahen Osten mit allen Mitteln gehalten und neue Zugänge zu Ressourcen erkundet werden, sind Millionen von Menschen verzweifelt auf der Suche nach Zuflucht und einem sicheren Leben.
Großmächte wie die USA, Deutschland oder Frankreich beuten ihre Länder wirtschaftlich und politisch aus. Die Heimaten dieser Menschen werden durch Kriege gebeutelt, destabilisiert und zerstört.
Von der durchaus privilegierten Lage hierzulande, fernab von dem Elend, von „Netten Gesten“ zu sprechen, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht, halten wir für sehr ambitioniert.
Pegida und ähnliche Bewegungen bedienen sich einer demagogischen Rhetorik und sind reaktionär.
Sie verdrehen die Tatsachen und hetzen mit rassistischen Ressentiments gegen diejenigen, die ohnehin schon unterdrückt sind.
Während der richtige Weg, der entschlossene Kampf gegen Kriege im Namen und im Interesse einiger weniger ist und ein solidarisches Miteinander die Perspektive eines gesellschaftlichen Diskurses darstellen sollte, führen Bewegungen wie Pegida diese Diskussionen in die entgegengesetzte Richtung.
„Nach oben Buckeln und nach unten treten“, kann und darf nicht unsere politische Perspektive sein. Die Strukturen und Akteure, die für soziale, ökonomische und politische Missstände in unserer Gesellschaft verantwortlich sind, müssen angegangen werden, wenn etwas verändert werden soll. Die Geflüchteten sind nicht die Ursachen für die Missstände hier in der BRD und dürfen niemals zu Sündenböcken gemacht werden.
Menschen, die vor Armut und Krieg fliehen mussten, haben das Recht hier zu leben. Menschen, die hier nach einem Leben fern von Armut und Krieg suchen, haben das Recht darauf und verdienen unsere Unterstützung. Es ist unsere Aufgabe, sie für den Kampf um eine solidarische Gesellschaft zu gewinnen und eine gemeinsame Bewegung zu entwickeln.
Nein zu Pegida! Nein zu Krieg!
Für ein solidarisches Miteinander!
Folge uns!