Von Thomas Müntzer – Berlin. Erhellende Vorträge, Informationen über Dutzende linke Organisationen und eine Podiumsdiskussion mit erheiternden, zum Teil aber auch fragwürdigen Statements. Das alles und noch viel mehr bot die 20. Rosa Luxemburg-Konferenz am Samstag, 10. Januar, in Berlin. Beherrschendes Thema war die Konfrontationspolitik der Nato gegenüber Russland. Tausende DemonstrantInnen setzten zudem am Sonntag bei der traditionellen Luxemburg-Liebknecht-Demo zur Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde ein Zeichen gegen Krieg und Militarismus.
So voll war es noch nie. Mit über 2300 BesucherInnen verzeichnete die 20. Internationale Rosa Luxemburg-Konferenz einen neuen Rekord. Die Konferenz, die von der überregionalen marxistischen Tageszeitung „Junge Welt“ organisiert wird, findet immer am zweiten Samstag im Januar in der Berliner Urania statt. In diesem Jahr stand die Konferenz unter dem Motto „Frieden statt Nato“. Wie in den letzten Jahren übernahm der Kabarettist Dr. Seltsam die Moderation. Im Zentrum der Debatten standen die Eskalationspolitik der Nato gegenüber Russland und anderen Staaten und das Verhältnis der Linkspartei zum Antimilitarismus.
Der Besucheransturm kann als Signal gelten. Offenkundig sind viele Menschen von Krieg und Kriegsgefahr beunruhigt und zwar über die politische Linke hinaus. Der Andrang auf den großen Saal war den ganzen Nachmittag über so groß, dass er mehrmals geschlossen werden musste. Zwar bestand die Möglichkeit, die Vorträge und Diskussionen live in anderen Räumen zu verfolgen, doch leider funktionierte die Übertragung zeitweise aufgrund technischer Schwierigkeiten nicht.
Imperialistischer Machtkonflikt
Die Ökonomin Radhika Desai von der Universität Manitoba in Kanada hielt einen Vortrag zur „Globalen Sicht auf Kriege und Macht“, wobei sie ausgehend von der Ukraine-Krise eine weitergehende Analyse der Politik des Westens formulierte. Den Grund für den gegenwärtigen Konflikt mit Russland sieht Desai in der expansionistischen Politik der Nato, die sich nach 1990 immer weiter nach Osten ausgebreitet habe. Russland musste sich zunehmend eingekreist fühlen, so Desai. Den Ausdruck „neuer Kalter Krieg“ lehnt sie ab, da er einen ideologischen Gegensatz suggeriere. Russland sei aber heute ein kapitalistisches Land und kein Gegner in einer Systemauseinandersetzung.
Desai analysierte entsprechend der von ihr konzipierten „globalen politischen Ökonomie“ die wirtschaftlichen Hintergründe der neuen Konfrontation. Es handle sich dabei um einen Konflikt, der im Wesen des Kapitalismus begründet sei: Kapitalistische Länder konkurrieren gegeneinander, die Kapitalistenklassen der verschiedenen Länder bekämpfen sich gegenseitig. Dies kennzeichne den Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium.
Kapitalismus funktioniert nur auf Kosten der Arbeitenden
Desai warf einen Blick zurück auf die Krisen des Kapitalismus seit der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Ohne die Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Systems ursächlich beheben zu können, werde sein Funktionieren immer wieder auf Kosten der arbeitenden Menschen sichergestellt, was jedoch zu einem Legitimationsverlust führe. Wollte der Staat heute die Wirtschaft effektiv stärken – und zwar nicht auf Kosten der Arbeitenden –, müsste er so viel Geld investieren, dass die Menschen sich fragen würden, „welchen Sinn die Kapitalisten als Klasse und welchen Sinn das kapitalistische System noch haben“, so die Ökonomin.
Die Referentin sagte, der Realsozialismus sowjetischer Prägung und der Kapitalismus hätten sich nicht grundsätzlich durch die jeweilige Rolle des Staates in der Wirtschaft unterschieden. Auch im Westen habe der Staat stets in größerem Umfang in wirtschaftliche Prozesse eingegriffen. Der wesentliche Unterschied bestehe vielmehr darin, dass der Staat in kapitalistischen Ländern die Aufgabe habe, „die Herrschaft der Kapitalistenklasse zu sichern und – koste es, was es wolle – die Kontrolle der herrschenden Klasse über die Ökonomie zu verteidigen“.
Skandalös revisionistisches Geschichtsbild
Ivan Rodionov, Chefredakteur des deutschen Programms beim TV-Sender RT (Russia Today), referierte über „Die Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“. Er kritisierte die deutschen Medien, die zum überwiegenden Teil einseitig über die Ukraine-Krise berichteten und damit über die Deutungshoheit in Deutschland bestimmten. Als Beispiel nannte er die Untertreibung der Rolle der Faschisten in der neuen ukrainischen Regierung und in den Milizen beziehungsweise der neu gegründeten Nationalgarde.
In diesem Jahr werde des 70. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus gedacht, so Rodionov. In diesem Zusammenhang nannte er es unerhört, dass der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk am vorausgehenden Mittwoch in den ARD-Tagesthemen unwidersprochen sagen konnte: „Die russische Aggression in der Ukraine, das ist der Angriff auf die Weltordnung und auf die Ordnung in Europa. Wir können uns alle sehr gut an den sowjetischen Einmarsch in die Ukraine und nach Deutschland erinnern.“ Diese Aussage offenbare ein skandalöses revisionistisches Geschichtsbild des ukrainischen Regierungschefs.
Auch Russia Today stand in der Kritik
Es gehe in den hiesigen öffentlichen und Konzernmedien „nicht um einen fairen intellektuellen Diskurs“, sondern um die Durchsetzung einer bestimmten, politisch gewollten Sichtweise, so der Journalist. Russia Today wolle dem propagierten Russlandbild etwas entgegensetzen und den Zuschauern die Möglichkeit geben, sich auch aus einer anderen Perspektive zu informieren.
Auf die Frage, weshalb RT kürzlich live und unkommentiert eine Pegida-Demo übertragen habe, antwortete Rodionov, dass es sich dabei um ein wichtiges Thema handle, mit dem man sich nun einmal auseinandersetzen müsse. Man habe es unkommentiert gesendet, „damit die Zuschauer sich ihre eigene Meinung bilden können“. Manche im Saal klatschten. Moderatorin Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, machte hingegen deutlich: „Das sind Rassisten und nicht einfach nur normale Leute, die auf die Straße gehen!“ Dies müsse auch in der Berichterstattung vermittelt werden, sagte die Linkspolitikerin.
Belgische Kommunisten verbinden Klassenkampf mit Antimilitarismus
Peter Mertens, der Vorsitzende der belgischen Partei der Arbeit (PdA), spannte in seinem Vortrag einen Bogen von der europäischen Krisenpolitik über die Rolle der Nato bis hin zur Strategie der PdA im Kampf um Frieden und Sozialismus. Mertens beschrieb den Abbau erkämpfter Rechte und sozialer Errungenschaften in der EU im Zug der herrschenden Krisenpolitik. Gerade im Kontext der andauernden Weltwirtschaftskrise werde die Politik der Nato aggressiver. Mit allen Mitteln – einschließlich Krieg – wolle der Westen seine Vorherrschaft sichern und verhindern, dass sich das Zentrum der Weltwirtschaft nach Ostasien verlagert.
Die Nato diene dabei als „Schlüssel“, um Demokratie abzubauen, die Souveränität anderer Staaten zu verletzen und die UNO zu schwächen. Der vorgebliche Kampf um Demokratie und Menschenrechte sei heuchlerisch: „Interventionen bewirken immer das Gegenteil dessen, wofür sie angeblich geführt werden“, sagte Mertens.
Westliche Interventionen bereiten Nährboden für den Terror
Vor dem Hintergrund des jüngsten Angriffs auf die französische Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo mahnte der PdA-Vorsitzende, dass auch „dieses schreckliche Attentat im Zusammenhang mit den Interventionen des Westens“ stehe, denn diese bereiteten den Nährboden für Terrorismus. Die PdA kämpfe deshalb für den Austritt Belgiens aus der Nato.
Während sogenannte Reformen durchgeführt werden, die auf Kosten der Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Rentner gingen, werden auf Druck von Nato und EU Milliarden für das Militär ausgegeben, so Mertens. Der Kampf für den Nato-Austritt sei auch aus diesem Grund zentral im gegenwärtigen Klassenkampf in Belgien. Nicht zuletzt warnte er davor, der sogenannte Krieg gegen den Terrorismus könne sich künftig auch „gegen Linke, Gewerkschafter und alle anderen richten, die für eine bessere Welt kämpfen“. Die Kommunisten müssen, so der PdA-Vorsitzende, die internationale Zusammenarbeit verstärken, für eine konsequente Friedenspolitik eintreten und entschieden gegen jede militaristische Propaganda kämpfen, ob an den Schulen oder in den Medien.
Parteien, Vereine, Verlage: Infostände so weit das Auge reicht
In den Gängen und im Erdgeschoss der Urania waren wie immer ungezählte linke und kommunistische Parteien und Organisationen mit Infotischen vertreten. So informierte die Rote Hilfe über ihre Arbeit und warb um neue Mitglieder. Die Gruppe „Kommunistischer Aufbau“, die sich erst vor einem knappen Jahr gegründet hat, mobilisierte mit Flyern zu den diesjährigen Protesten gegen die Eröffnung der EZB (Europäische Zentralbank) in Frankfurt und gegen den G7-Gipfel im Schloss Elmau in Bayern. Aber auch die DGB-Jugend war vertreten, ebenso wie die DIDF-Jugend. DIDF (türkische Abkürzung für Föderation der Demokratischen Arbeitervereine) organisiert hauptsächlich türkisch- und kurdischstämmige Arbeiter in Deutschland.
Neben Parteien wie der maoistischen MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands) und der TKP (Türkiye Komünist Partisi) präsentierten sich auch andere kommunistische Organisationen und Splittergruppen – so etwa die maoistisch orientierte Gruppe „Trotz alledem!“ oder die trotzkistische „Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands“.
Wie üblich waren auch eher skurril wirkende Gruppen auf der Konferenz zu sehen, etwa der DDR-Jugendverband FDJ (Freie Deutsche Jugend), die Gruppe „Arbeit Zukunft“, die sich auf den früheren albanischen Staatschef Enver Hoxha beruft, oder die KPD, die sich 1990 in der DDR wiedergegründet hat und beispielsweise dadurch auffällt, dass sie sich positiv auf das nordkoreanische Regime bezieht.
Auch Kämpfer der Internationalen Brigaden vertreten
Mit Infomaterialien, Buttons und Aufklebern war auch die DKP (Deutsche Kommunistische Partei) vertreten. Außerdem verteilten Mitglieder der Plattform „DKP queer“ ihr neues Magazin, das sich mit den Rechten Homosexueller in der alten BRD und in der DDR beschäftigt und einen kritischen Blick auf das Wirken des LSVD (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland) seit 1990 wirft.
Die Marx-Engels-Stiftung, die Alexander-von-Humboldt-Gesellschaft (Freunde Lateinamerikas), das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) in München oder Cuba Si boten Flugblätter und andere Infomaterialien an und warben um neue Mitglieder. Auch einige andere Vereine informierten über ihre Arbeit, so der Verein der Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik 1936-1939, der im Jahr 2001 von Kämpfern der Spanischen Republik, ihren Freunden sowie von Kindern und Enkeln der deutschen Mitglieder der Internationalen Brigaden gegründet wurde. Auch der Verein Arbeiterfotografie informierte über seine Arbeit und stellte neue Publikationen vor.
Rosa Luxemburgs Werke antiquarisch
Der Deutsche Freidenker-Verband war ebenfalls vertreten. Für den Verband, der nach eigener Auskunft für die dialektisch-materialistische Weltanschauung eintritt, bedeutet Religionskritik in marxistischer Tradition zugleich Gesellschaftskritik. Die Freidenker verteilten unter anderem ein Flugblatt, das die aggressive Nato-Politik im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt kritisiert und eindringlich vor einem Krieg mit Russland warnt.
Wie immer gab es auf der Konferenz ein großes Angebot an antiquarischen und neuen Büchern. Wer also zum Beispiel nach den gesammelten Werken Rosa Luxemburgs Ausschau hielt wurde ebenso fündig wie diejenigen, die Literatur zu aktuellen Themen suchten. So stellten die Verlage Wiljo Heinen und Papyrossa ihr umfangreiches Programm vor. Nostalgikern und Kunstliebhabern bot sich darüber hinaus eine große Auswahl an Postern, so etwa Nachdrucke alter KPD-Wahlplakate.
Grüße von den „Cuban Five“ und Mumia Abu-Jamal
Boten die Vorträge wenig Anlass zu Optimismus, so gab es an diesem Tag trotzdem auch einen Erfolg zu feiern: Die „Cuban Five“ sind frei. Der kubanische Botschafter in der BRD, René Juan Mujica Cantelar, verlas die Grußbotschaft der fünf Agenten, die jahrelang in den USA inhaftiert gewesen waren, weil sie Aufklärungsarbeit über exilkubanische Organisationen leisteten. Ohne die internationale Solidarität wäre ihre Befreiung nicht möglich gewesen, sagte Cantelar.
Ursprünglich war René González, der als erster aus dem Gefängnis entlassen worden war und im Mai 2013 nach Kuba zurückkehren durfte, zur Konferenz eingeladen gewesen. Aufgrund der überraschenden Freilassung der letzten drei Inhaftierten am 17. Dezember 2014 wurde dies jedoch abgesagt. Die „Cuban Five“, die von vielen Kubanern als Helden verehrt werden, hätten zurzeit einfach zu viele Verpflichtungen. Es seien so viele öffentliche Auftritte in Kuba geplant, dass eine Reise nach Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Frage kam, erklärte der Botschafter.
Auf die strategische Bedeutung dieser „Niederlage“ der USA machte Hans Modrow, ehemaliger DDR-Ministerpräsident und Vorsitzender des Ältestenrats der Partie Die Linke, aufmerksam. Modrow und „Junge Welt“-Autor Volker Hermsdorf präsentierten außerdem ihr neues Buch über die kubanische Revolution: „Amboss oder Hammer. Gespräche über Kuba“.
Wie in jedem Jahr meldete sich auch der US-Journalist Mumia Abu-Jamal akustisch aus dem Gefängnis zu Wort. Er wurde durch einen Beitrag des US-Journalistikprofessors Linn Washington ergänzt, der seit Jahrzehnten mit und für politische Gefangene wie Abu-Jamal arbeitet.
Das Parallelprogramm von DKP und SDAJ
Wer zwischendurch eine Pause einlegen wollte, konnte sich ins Bistro im ersten Stock setzen und eine Kleinigkeit essen oder einen Kaffee trinken. Wem das Bistro zu voll war, der ging ins „Café K“ im zweiten Stock, wo die DKP und ihre Zeitung UZ (Unsere Zeit) bei günstigen Speisen und Getränken zum Verweilen einluden. Dort war auch die Ausstellung „Nein, wir wollen eure Kriege nicht – eine bessere Welt ist möglich“ der Künstlergruppe „Tendenzen“ zu sehen.
Die DKP-nahe SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) hatte nicht nur einen Infostand, sondern bot außerdem ein Parallelprogramm mit verschiedenen Diskussionsrunden an, so einen Erfahrungsaustausch zu den Bildungsstreik-Aktionen der vergangenen Jahre. Außerdem wurde anlässlich der bevorstehenden Proteste gegen den G7-Gipfel über die Funktion dieses Treffens für die imperialistischen Hauptmächte, über Bündnisvorbereitungen und mögliche Repression diskutiert.
Strategien gegen Rechts
Im „Café International“ gab es die Gelegenheit, sich mit Genossen der KJÖ (Kommunistische Jugend Österreichs) über Erfahrungen im Kampf gegen rechtspopulistische und faschistische Kräfte auszutauschen. Während die FPÖ in Österreich seit vielen Jahren Wahlerfolge feiert, hat in Deutschland mit der AfD im letzten Jahr eine rechte Partei einen rasanten Aufschwung erlebt. Beunruhigen muss auch das Erstarken der rassistischen Pegida-Bewegung in jüngster Zeit. Grund genug also, gemeinsam über antifaschistische Strategien nachzudenken.
Von 14 bis 16 Uhr gab es außerdem das Jugendforum der SDAJ im Kleistsaal. Unter dem Titel „Arme Jugend?! Die Prekarisierung der Arbeit und kämpferische Strategien in Lohnkämpfen“ diskutierten SDAJler mit aktiven Jugendlichen aus den Gewerkschaftsjugenden, Jugendauszubildenden-Vertretungen und Mitgliedern der DIDF-Jugend über Strategien in betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen. Im Mittelpunkt stand dabei die kontrovers diskutierte Frage, ob der gesetzliche Mindestlohn die Kampfbereitschaft der Beschäftigten eher stärken oder lähmen wird und welche Konsequenzen daraus für den Kampf um eine Mindestausbildungsvergütung zu ziehen sind.
Nein zur Nato! Die Abschlussdiskussion
Höhepunkt der Konferenz war die Podiumsdiskussion, die sich um das Verhältnis der Linken zum Antimilitarismus drehte. Es diskutierten Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der Linken im saarländischen Landtag, der Schauspieler Rolf Becker und der CDU-Politiker und ehemalige OSZE-Vizepräsident Willy Wimmer. ‚Junge Welt‘-Chefredakteur Arnold Schölzel moderierte die Runde.
Das vergangene Jahr habe eindrücklich gezeigt, sagte Lafontaine, wie wichtig es sei, dass „eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa unter Einschluss Russlands“ an die Stelle der Nato trete. Es sei absurd und skandalös, diejenigen als „Russlandversteher“ zu titulieren, die sich um Deeskalation im Ukraine-Konflikt bemühten. Schließlich müsse man in der internationalen Politik versuchen, das Gegenüber zu verstehen. „Man muss Putin verstehen, um zu einer Lösung zu kommen und den Frieden zu wahren“, mahnte der ehemalige Vorsitzende der Linkspartei. „Alles, was unter Willy Brandts Ostpolitik aufgebaut wurde“ sei verspielt worden. Die Ausbreitung der Nato bis an die Grenzen Russlands habe viel Vertrauen zerstört, eine „Politik der Entspannung und der guten Nachbarschaft“ sei jetzt dringend geboten.
Woher kommt der Terror?
„Was ist Terrorismus?“ fragte Lafontaine. Nehme man die offizielle Definition zur Grundlage, wonach unter Terrorismus die rechtswidrige Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele verstanden wird, seien auch George W. Bush oder Tony Blair Terroristen. Wenn in Afghanistan bei einem Bombenangriff mal wieder Zivilisten sterben, dann sei das „nichts anderes als blanker Terrorismus“. Der Terror lasse sich niemals überwinden, „wenn wir nicht klären, was Terrorismus ist, woher er kommt“, so Lafontaine.
Grundlage der Ausbreitung des weltweiten Terrors seien die militärischen Interventionen des Westens in muslimischen Ländern. Viele würden sich ausgegrenzt und ohnmächtig fühlen, und irgendwann sei zwangsläufig mit Reaktionen dieser Menschen zu rechnen. „Wir müssen Gesellschaftsordnungen aufbauen, in denen Menschen sich nicht ausgegrenzt und ohnmächtig fühlen“, forderte der Linkspolitiker.
Die USA wollten ihre globale Vorherrschaft mit allen Mitteln verteidigen, sagte Lafontaine. Dies erklärten selbst hochrangige US-Politiker freimütig. Andere Länder, einschließlich Verbündeter wie der BRD, seien lediglich „Vasallen und Tributpflichtige“ der Vereinigten Staaten. Solange Deutschland bei den US-geführten Kriegen mitmache, „solange sind wir kein souveränes Land“, sagte Lafontaine. Mit keinem Wort erwähnte er, dass die BRD als imperialistische Hauptmacht in Europa durchaus eigene Interessen verfolgt und eine zunehmend offensive Großmachtpolitik zu betreiben sucht.
Lafontaine unterstreicht Doppelmoral des Westens
Kriege werden niemals für Demokratie und Menschenrechte geführt, unterstrich Lafontaine. Die Doppelmoral des Westens offenbare sich zudem darin, dass man reaktionäre Diktaturen wie Saudi-Arabien zu den Verbündeten zähle. „Die ganze Außenpolitik ist ein Lügengebäude“. Dennoch, so Lafontaine, fielen auch manche Linke, Gewerkschafter oder Kirchenleute auf das Argument herein, man müsse notfalls mit militärischen Mitteln verhindern, dass Menschen getötet werden. Man könne jedoch jederzeit massenhaftes Leid verhindern, ohne dabei Menschen töten zu müssen. „Wieso wird das nicht getan?“ fragte der Politiker. Er betonte, dass sich beispielsweise durch einen frühzeitigen und massiven Einsatz gegen Ebola Tausende Todesopfer hätten vermeiden lassen.
Rolf Becker, der nach dem Kosovo-Krieg 1999 nach Jugoslawien gereist war, berichtete von seinen Erfahrungen und beschrieb die katastrophalen Folgen der Nato-Bombardements. Er fragte, weshalb die herrschende Klasse so handle, und gab selbst die Antwort: „Weil sie gar nicht anders kann!“ Die entscheidende Frage sei, was man gegen die Kriegspolitik der Herrschenden unternehmen könne.
Amtseid auf Grimms Märchen oder Verfassung?
Willy Wimmer erinnerte daran, dass „es im deutschen Liedgut einmal eine Zeile gab, die heute wieder stärker bekannt gemacht werden müsste: ‚Dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint‘“. Das sorgte für Applaus und Erheiterung, wussten doch die meisten im Publikum, dass es sich dabei um eine Zeile aus der DDR-Nationalhymne handelt. Wimmer verwies auf das Grundgesetz, das Angriffskriege verbietet und Deutschland die Aufgabe gibt, sich für den Frieden in der Welt einzusetzen.
Dennoch beteilige sich die BRD seit 1999 an Angriffskriegen. „Worauf legen die eigentlich ihren Amtseid ab? Sind das Grimms Märchen oder ist das die Verfassung?“, fragte Wimmer. Krieg dürfe kein normales Mittel der Politik sein, doch sei das Völkerrecht „bei allen Bundesregierungen seit 1999 ein Waisenkind“ gewesen. Die konfrontative Politik müsse beendet und eine neue Sicherheitsarchitektur aufgebaut werden, wie Lafontaine sie beschrieben hatte.
Weitere Kriegs- und Hartz-IV-Partei überflüssig
Moderator Schölzel monierte, die Linkspartei habe insgesamt zu wenig gegen die konfrontative Russlandpolitik der Bundesregierung getan, woraufhin Wimmer einwarf: „Der Bundestag hat doch schon fast nichts zu sagen, was sollte denn dann Die Linke unternehmen können?“ Es sei „vielsagend, dass wir solche Fragen hier in Berlin fast nur noch auf einem solchen Podium diskutieren können“, so der CDU-Politiker. Der Mut, den Mächtigen zu widersprechen, sei in Deutschland ohnehin chronisch unterentwickelt, beklagte Wimmer. Lafontaine versicherte, solange er in der Linkspartei mitwirken könne, werde er dafür kämpfen, dass die konsequente friedenspolitische Linie der Linken gehalten werde. Denn: „Noch eine Kriegspartei und noch eine Hartz 4-Partei ist wirklich überflüssig, wir haben schon vier“, so der 71-Jährige.
Becker zitierte Bertolt Brecht, der einmal gesagt hatte: „Die Kapitalisten wollen den Krieg nicht, sie müssen ihn wollen“. Es gebe für das Kapital nur zwei Möglichkeiten, eine Krise zu überwinden. Entweder werden bestehende Märkte gründlicher ausgebeutet, wie dies gegenwärtig etwa in Griechenland im Zuge der sogenannten Reformpolitik der Fall sei. Die zweite Möglichkeit bestehe darin, neue Märkte zu erobern, „das aber heißt: Krieg“, so Becker.
Um Kriege endgültig zu überwinden, müssten die Eigentumsverhältnisse geändert werden, sagte der Schauspieler. Ohne explizit auf die Imperialismus-Theorien Lenins oder Luxemburgs einzugehen, lieferte Becker damit zumindest eine knappe Analyse des Zusammenhangs von Krieg und Kapitalismus. Lafontaine hingegen beschränkte sich darauf, die Politik der Herrschenden moralisch zu kritisieren oder zu unterstellen, diese seien sich schlichtweg über die Folgen ihres Handelns nicht im Klaren. Der Linke-Politiker beschrieb die deutsche bzw. die westliche Kriegspolitik daher mit Worten wie „irre“ oder „unglaublich“. Von Kriegsinteressen sprach er nicht.
Kollegen sollen Genossen werden
Becker erinnerte am Schluss der Diskussion an die Worte Rosa Luxemburgs, der erste Schritt zur revolutionären Tat sei, „auszusprechen, was ist“. Es sei außerdem die Aufgabe der Linken, die Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen. Man müsse jedoch aufpassen, nicht überheblich gegenüber jenen zu sein, die noch Illusionen haben und beispielsweise die SPD oder auch gar nicht wählten. „Wir wollen sie gewinnen, weil sie Kolleginnen und Kollegen sind und zu Genossinnen und Genossen werden sollen“, sagte er.
Becker rief seine Berufskollegen sowie Künstler und Journalisten dazu auf, „aus dem Elfenbeinturm“ herauszukommen und im Interesse der großen Masse der lohnabhängigen Menschen auszusprechen, was ist: „Lasst uns gemeinsam unsere Fähigkeiten und Kräfte einsetzen, um der arbeitenden Bevölkerung hierzulande und in Europa wieder zu einer Orientierung zu verhelfen“, forderte der Schauspieler und erntete dafür viel Applaus.
Nach der Podiumsdiskussion versammelten sich die Gäste und Moderatoren der Konferenz noch einmal auf der Bühne und sangen gemeinsam mit dem Publikum die Internationale.
Tausende ehrten Luxemburg und Liebknecht
Am Sonntag gedachten wie jedes Jahr Tausende der beiden Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die im Januar 1919 mit Billigung der damaligen SPD-Führung von Freikorpsoffizieren ermordet wurden. Die Demo, die vom Frankfurter Tor in Friedrichshain zur Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde führt, stand ganz im Zeichen des 70. Jahrestages der Befreiung vom deutschen Faschismus.
Die TeilnehmerInnen erinnerten an den konsequenten Antimilitarismus Luxemburgs und Liebknechts und verbanden dies mit dem aktuellen Ringen um Frieden in der Ukraine, in Kurdistan, Palästina und anderen Regionen. Viele Demonstranten machten deutlich, dass der Kapitalismus „den Krieg in sich trägt wie die Wolke den Regen“, wie es der französische Sozialist Jean Jaurès einst formuliert hatte. Nicht die Menschen oder die Völker, sondern nur das Kapital habe ein Interesse an Rüstung und Krieg.
Nach verschiedenen Angaben nahmen etwa 10 000 Demonstranten an der Ehrung Luxemburgs und Liebknechts teil. Laut Veranstalter sei die Demo mit über 13 000 Teilnehmern größer als im vergangenen Jahr gewesen. Zu Zwischenfällen sei es nicht gekommen. Am Vormittag hatte die Spitze der Linkspartei die Gedenkstätte der Sozialisten besucht. Die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Gregor Gysi legten Kränze zu Ehren der beiden ermordeten Kommunisten nieder. Auch andere Linkspolitiker waren dabei, unter ihnen Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine. Mit roten Nelken ehrten bis zum Nachmittag Tausende Menschen, darunter viele Teilnehmer der Demo, der Sozialisten und Kommunisten, deren auf dem Friedhof gedacht wird.
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