Stuttgart. Die SPD-Fraktion und Innenminister Reinhold Gall sperrten sich lange. Viele Monate, wenn nicht Jahre verstrichen ungenutzt. Eine als Feigenblatt eingesetzte Enquetekommission zerstritt sich und blieb erfolglos. Doch am Freitag, 23. Januar, nimmt der NSU-Ausschuss des Stuttgarter Landtags mit der Befragung des Sachverständigen Heino Vahldick die Arbeit auf. Am Montag, 26. Januar, werden weitere Zeugen gehört. Eine neu gegründete Gruppe NSU-Watch BaWü kündigt an, den NSU-Untersuchungsausschusses im Stuttgarter Landtag unabhängig und kritisch zu beobachten.
„Dass ein ranghoher Politiker seine Meinung ändert, erlebt man heute wirklich selten. Umso mehr freut es uns, dass diesen Freitag endlich der baden-württembergische Untersuchungsausschuss zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ mit der Beweisaufnahme startet.“ Mit diesen Worten begrüßt die Stuttgarter Initiative „Die Anstifter“ die Arbeitsaufnahme des Landtagsausschusses über drei Jahre nach dem Auffliegen des Terrortrios des NSU am 4. November 2011 in Eisenach.
Die öffentliche Sitzung am Freitag, 23. Januar, beginnt um 10 Uhr im 4. Obergeschoss des Stuttgarter Rathauses. Am Montag, 26. Januar, tagt der Ausschuss von 10 Uhr an im Plenarsaal des Stuttgarter Landtags ebenfalls öffentlich.
Für viele Beobachter war das lange Zögern des Parlaments völlig unverständlich. Denn der unaufgeklärte Anschlag auf die ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter und ihren Kollegen, der schwerverletzt überlebte, gilt als Schlüsselfall zum Verständnis des NSU-Komplexes. Überdies häuften sich Pannen und Merkwürdigkeiten bei den Ermittlungen (siehe auch unsere Kommentare „NSU-Untersuchungsausschuss ist unverzichtbar“ und „NSU-Ausschuss: Womöglich gezielte Sabotage„).
Ähnlich wie in anderen Bundesländern hat sich eine Gruppe „NSU-Watch BaWü“ gebildet. Sie kündigte an, die Arbeit des Ausschusses „Die Aufarbeitung der Kontakte und Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Baden-Württemberg und die Umstände der Ermordung der Polizeibeamtin M.K.“ kritisch zu begleiten und bei gegebenem Anlass zu intervenieren.“ NSU-Watch BaWü stehe im Verbund mit ähnlichen Gruppen in Hessen, NRW und bundesweit. Man werde „mit einer gehörigen Portion Skepsis arbeiten“, kündigt das Projekt an.
Zu der Skepsis dürfte auch das lange Zögern des Landtags beigetragen haben. Dazu Alessandro Martens, Pressesprecher von NSU-Watch BaWü:
„Es ist beschämend, wie lange es gedauert hat, bis auch im grün-rot regierten Baden-Württemberg ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. Die Behörden sind es den Opfern und ihren Angehörigen schuldig, zu versuchen alle offenen Fragen zum Themenkomplex NSU und Baden-Württemberg zu klären.“
NSU-Watch will über eine Homepage, Facebook und einen Twitter-Account Neuigkeiten und Protokolle über die öffentlichen LAU-Sitzungen zur Verfügung stellen und versuchen, eigenes Wissen über die Verbindungen des NSU nach Baden-Württemberg weiterzugeben. Um erfolgreich zu sein, müsse der Untersuchungsausschuss ergebnisoffen und „auch kritisch gegenüber den eigenen Behörden arbeiten“. Besonders der Verfassungsschutz versuche nach Erfahrungen aus anderen Bundesländern häufig, seine Beteiligung am Aufbau des NSU und eigenes Versagen zu kaschieren.
Hier geht es zu unseren früheren Berichte zum NSU-Komplex
Die Erklärung von NSU-Watch BaWü von Mittwoch, 21. Januar:
NSU-Watch BaWü kündigt unabhängige Beobachtung des NSU-Untersuchungsausschusses im Stuttgarter Landtag an.
Nebenklage-Anwalt Yavuz Narin begrüßt das Projekt.
Zum Beginn der ersten öffentlichen Sitzung des NSU-Landesuntersuchungsausschusses in Baden-Württemberg am Freitag den 23. Januar 2015 möchten wir sie hiermit auf den Start des unabhängigen Projekts NSU-Watch Baden-Württemberg (NSW-Watch BaWü) hinweisen.
Ziel von NSU-Watch BaWü ist es, den Untersuchungsschuss „Die Aufarbeitung der Kontakte und Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Baden-Württemberg und die Umstände der Ermordung der Polizeibeamtin M.K.“ kritisch zu begleiten und bei gegebenem Anlass zu intervenieren. NSU-Watch BaWü steht im Verbund mit ähnlichen Gruppen in Hessen, NRW und bundesweit.Dabei wird NSU-Watch BaWü mit einer gehörigen Portion Skepsis arbeiten. Das lange Vorspiel bis zur Einrichtung eines Landesuntersuchungsausschuss ist nicht dazu angetan, von vornherein viel Vorschussvertrauen in den Aufklärungswillen aller Beteiligten zu setzen.
Alessandro Martens, Pressesprecher von NSU-Watch BaWü, erklärt dazu:
„Es ist beschämend, wie lange es gedauert hat bis auch im grün-rot regierten Baden-Württemberg ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. Die Behörden sind es den Opfern und ihren Angehörigen schuldig, zu versuchen alle offenen Fragen zum Themenkomplex NSU und Baden-Württemberg zu klären.“Auch ist die Einrichtung eines LAU an sich noch lange kein Garant für neue Erkenntnisse. Ein LAU muss für neue Erkenntnisse auch kritisch gegenüber den eigenen Behörden arbeiten und bereit sein, Wissen von unabhängigen ExpertInnen einzubeziehen. Er muss ergebnisoffen arbeiten und sollte beispielsweise die allen Erkenntnissen widersprechende These der Staatsanwaltschaft im Prozess in München vom NSU als Trio plus einige wenige HelferInnen nicht einfach übernehmen.
Für den Erfolg des LAU ist nicht nur das Verhalten der Ausschuss-Mitglieder entscheidend, sondern auch das der mit diesem kooperierenden Behörden und Einzelpersonen. Die Erfahrung aus anderen Untersuchungsausschüssen zeigt, dass die Behörden, insbesondere der so genannte Verfassungsschutz, versuchen eine Beteiligung an den Taten des NSU und ein eigenes Versagen zu kaschieren.
Hier ist es besonders wichtig, dass Transparenz über die Vorgänge im LAU gewährleistet wird. NSU-Watch BaWü wird versuchen dieses Ziel als unabhängiges Monitoring-Projekt zu unterstützen. Über eine Homepage, Facebook und einen Twitter-Account werden wir Neuigkeiten und Protokolle über die öffentlichen LAU-Sitzungen zur Verfügung stellen und versuchen, eigenes Wissen über die Verbindungen des NSU nach Baden-Württemberg abzubilden.
Die Gründung von NSU-Watch BaWü wird auch von VertreterInnen der Angehörigen der Opfer des NSU begrüßt. So kommentierte Yavuz Narin, Anwalt der Angehörigen von Theodoros Boulgarides im Münchner NSU-Prozesses:
„Die Vorgänge in Baden-Württemberg spielen bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen eine zentrale Rolle. Ausgerechnet hier hat die parlamentarische Aufarbeitung lange auf sich warten lassen. Bei den Hinterbliebenen hat der bisher fehlende Aufklärungswille einen verheerenden Eindruck hinterlassen. Der Untersuchungsausschuss hat jetzt die Chance, verlorenes Vertrauen wieder herzustellen.
Wir sind dankbar dafür, dass mit „NSU-Watch“ auch in Baden-Württemberg eine unabhängige, zivilgesellschaftliche Beobachtung des Untersuchungsausschusses erfolgen soll und wünschen den Beteiligten viel Erfolg.“
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