Kommentar von Anne Hilger – Stuttgart. Unternehmer laufen noch immer Sturm gegen den Mindestlohn. Besonders laut hauen derzeit Gastronomen auf die Pauke. Die Pflicht, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten festzuhalten, verhagelt einem Teil von ihnen offenbar das Geschäftsmodell. Jetzt erhielten sie prominente Unterstützung – und das ausgerechnet von einem Sozi. Seine Genossen schweigen betreten, zumindest bisher.
Claus Schmiedel, Chef der baden-württembergischen SPD-Landtagsfraktion, scheint ein großes Herz für Barbetreiber, Hoteliers und Restaurantbesitzer zu haben. Im „Focus“ forderte er für die Branche eine sofortige Ausnahme von der gesetzlichen Höchstarbeitszeit. Die beträgt maximal zehn Stunden am Tag. Nicht wenig, sollte man meinen. Doch damit haben manche Gastronomen offenbar ein gewaltiges Problem.
Nun ist das Arbeitszeitgesetz nicht neu. Es gilt in dieser Form seit 1994, mithin seit mehr als zwanzig Jahren. Aber mit seiner Einhaltung nahm man es offenbar in der Branche nicht so genau. Sonst könnte der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga jetzt nicht im Brustton der Überzeugung über die Pflicht klagen, Anfang, Ende und Dauer der Arbeitszeit der Beschäftigten zu dokumentieren. Und zwar weniger wegen des angeblich unzumutbaren bürokratischen Aufwands, über den sich viele Arbeitgeberverbände derzeit in einem Ausmaß entrüsten, als wären Löhne bisher anhand von Schätzungen bezahlt worden. Nein, die Gastro-Branche hat eine ganz andere Befürchtung: Wenn der Zoll den Mindestlohn überwacht, kommt er automatisch auch dem Schmu mit der Höchstarbeitszeit auf die Schliche.
Zehn Stunden am Stück genügen den Gastronomen nicht. Sie wollen „Flexibilisierung“. Bis zu zwölf Stunden sollten schon zulässig sein, fordert ihr Verband – mit freudiger Unterstützung des SPD-Manns Schmiedel. Die Argumentation ist ungefähr so: Die Branche ist abhängig vom Saison- und Kampagnengeschäft. Sie muss Geld verdienen, wenn die Biergärten oder Eisdielen öffnen, bei betrieblichen Weihnachtsfeiern oder in der Karnevalszeit. Da sind Arbeitszeitbegrenzungen hinderlich.
Gerade an Wochenenden komme man mit höchstens zehn Stunden nicht hin. Überdies: Es wäre kaum noch möglich, am Abend Aushilfen einzusetzen, die tagsüber schon einen Vollzeitjob ausgeübt haben. Doch der argumentative Trumpf im Ärmel der Gastronomen sind Hochzeitsfeste. Was tun, wenn Brautpaar und Gäste bis zum Morgen durchfeiern wollen, die Bedienung aber Anspruch auf Ruhe hat?
Nun mag es tatsächlich nicht leicht sein, für solche Fälle eine zweite Schicht zu organisieren. Man wird ihr schon entsprechend hohe Zulagen bieten müssen. Aber die Gesundheit ihrer Leute müsste das den Gastwirten wert sein. Schließlich geht es genau darum bei der Höchstarbeitszeit: Abhängig Beschäftigte vor Überforderung zu schützen – gerade, wenn sie mehrere schlecht bezahlte Jobs hintereinander ausüben müssen.
In der Restaurantküche zu stehen oder Gäste zu bedienen, ist eine Knochenarbeit. In welchem Maß kann sich ein Herr Schmiedel – ursprünglich Lehrer, seit 1992 im Parlament – wohl schwerlich vorstellen. Die Arbeitsschutzgesetze wurden von den Beschäftigten erkämpft, sie sind ein hohes Gut. Es gibt keinen Grund, sie wegen Anlaufschwierigkeiten bei der Einführung des Mindestlohns oder dem Gejammer von Unternehmern über den Haufen zu werfen. Die Gastronomie leidet in Wirklichkeit ohnehin unter einem ganz anderen Problem: darunter, dass viele Leute inzwischen zu wenig verdienen, um sich einen Gaststättenbesuch noch leisten zu können.
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