Stuttgart. Politischer Aschermittwoch – das bedeutet nicht nur, lautstark auf die Pauke zu hauen. In den markigen Worten steckt meist auch Programmatisches. Über 200 Anhänger und Gäste der Linken kamen am Mittwoch, 18. Februar, ins Alte Feuerwehrhaus nach Stuttgart-Heslach. Der Bundesvorsitzende der Partei Bernd Riexinger kritisierte die Politik der grün-roten baden-württembergischen Regierung mit der Abschiebung von Flüchtlingen mitten im Winter und dem Weiterbau von Stuttgart 21. Den Grünen warf er Wahlbetrug vor. Der SPD prophezeite er ein Landtags-Wahlergebnis von unter 20 Prozent, seiner eigenen Partei den erstmaligen Einzug ins Landesparlament.
Bernd Riexinger erhielt für seine temperamentvolle Rede viel Applaus. Auch sonst war die Atmosphäre im Feuerwehrhaus kämpferisch. Ein Jahr vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg war Aufbruchstimmung zu spüren – nicht zuletzt gespeist aus Enttäuschung über die grün-rote Landesregierung.
Riexinger warnte vor einer weiter sinkenden Wahlbeteiligung. Immer mehr Arme gingen nicht mehr wählen, weil sie glaubten, die Politik ohnehin nicht beeinflussen zu können. Das spiele den Reichen und Konservativen in die Hände. „Wir müssen den Leuten sagen, ihr müsst wählen gehen und die Linke wählen, weil sie die einzige Partei ist, die eure Interessen vertritt“, forderte der frühere Verdi-Bezirksleiter Riexinger – „auch wenn man auf der Straße manchmal mehr erreicht“.
Hoffnung auf St. Pauli-Ergebnis in Cannstatt
Zu Beginn seiner Rede zeigte sich Riexinger erfreut über das Wahlergebnis seiner Partei in Hamburg. In St. Pauli habe seine Partei 30 Prozent erhalten, die CDU nur 4 Prozent – noch weniger als die Satirepartei „Die Partei“. „Das werden wir natürlich in Stuttgart-Süd und Cannstatt toppen“, kündigte er zur Freude seines amüsierten Publikums an.
Riexinger kritisierte jedoch, dass mit der Linken ausgerechnet die Partei mit dem größten Stimmenzuwachs in Hamburg in der Berichterstattung der Medien am wenigsten Aufmerksamkeit fand. „Es regt mich schon auf, wenn Splitterparteien wie die FDP oder die AfD, die gar nicht im Bundestag sind, seitenweise in der Stuttgarter Zeitung vorkommen“, bekannte er. Zumindest in den öffentlich-rechtlichen Medien, die von den Anhängern der Linken mitfinanziert werden, könne sie mehr Gehör erwarten.
Unerhörte Arroganz gegenüber der griechischen Regierung
Ernster wurde es, als sich der Redner Syriza und dem Wahlergebnis in Griechenland zuwandte. Wie mit der neuen Regierung umgegangen werde, sei unerhört. Er bedauere den deutschen CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble, „weil er die offensichtliche soziale und wirtschaftliche Realität in Europa nicht erkennen kann“. Die hohe Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa zeige, dass es so nicht weitergehen kann. „Die Arroganz ist unerträglich, und es liegt nicht im Interesse der deutschen Bevölkerung, den Nachbarn zum Bettler zu machen“, stellte Riexinger klar – schon deshalb, weil dann Absatzmärkte fehlten.
Die deutsche Bevölkerung habe kein Geld für die Griechinnen und Griechen bezahlt, sondern zusammen mit ihnen viel Geld an die Banken, die sich verzockt haben. Die Sparpolitik sei völlig gescheitert, wie ein Minuswachstum von 25 Prozent in den letzten fünf Jahren in Griechenland zeige.
„Die Politik, die Krise auf dem Rücken der Beschäftigten, der Rentner und der öffentlich Bediensteten auszutragen, ist gescheitert“, sagte Riexinger. Der Wahlsieg von Syriza habe die Tür zu einem anderen Europa einen Spalt weit geöffnet. Nun versuchten Schäuble und die anderen Vertreter der Eurozone sie mit Gewalt wieder zuzuschlagen: „Dieser Kurs darf nicht fortgesetzt werden.“
SPD steht weiter für Bankenrettung und Sozialabbau
„Welche Enttäuschung bietet die Sozialdemokratie“, fuhr Riexinger fort. Sie hätte jetzt die Chance gehabt, „sich aus der neoliberalen Umklammerung zu lösen“. Stattdessen stehe sie weiter für Austerität, Bankenrettung und Sozialabbau. „Dafür werdet Ihr nicht gebraucht. Das können die Konservativen besser“, hielt er der SPD vor: „So macht Ihr euch überflüssig.“
Die Linke sei die einzige Partei, die den Mut habe, „Reichen und Vermögenden in den Geldbeutel zu greifen“. Es sei nicht zuviel verlangt, dass jemand, der mehr als eine Million Euro besitzt, 50 000 Euro für das Gemeinwohl bezahlt. „Wir leben auf Verschleiß“, zitierte Riexinger den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel und kritisierte Investitionsrückstände an Brücken, in Schulen oder Krankenhäusern.
PPP (Public-Private-Partnership), die gemeinsame Finanzierung von Investitionen aus öffentlichen und privaten Mitteln, wie sie Gabriel vorschlage, sei aber keine Lösung – im Gegenteil. Private Investoren forderten Renditen von fünf oder sechs Prozent, während staatliche Institutionen derzeit Kredite nahezu zinslos bekämen. Es gehe also um Umverteilung zu Lasten der öffentlichen Hand: „Gabriel will die Privaten mästen.“
„Die SPD hat ihr Pulver in dieser Koalition verschossen, es wird nichts mehr kommen“, sagte Riexinger voraus. Es sei gut, dass es jetzt einen Mindestlohn gibt. Doch er sei löchrig statt flächendeckend, und von 8,50 Euro könne in Stuttgart niemand leben. „Es wäre das Normalste der Welt, dass Menschen unter Tarifverträge fallen. Das wäre echte Tarifeinheit – und nicht, das Streikrecht abzuschaffen“, sagte er unter Applaus.
In Baden-Württemberg gab es keinen Politikwechsel
Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg sei eine Enttäuschung, „der angekündigte Politikwechsel hat nicht stattgefunden“, kritisierte Riexinger. Die Bildungspolitik sei ein Flickenteppich. Noch immer hänge die Bildungslaufbahn der Kinder von ihrer Herkunft ab. Er forderte ein gebührenfreies, gesundes Mittagessen für jedes Kind in Kita und Schule.
Scharf ging er mit der S-21-Politik der Grünen ins Gericht. Keine andere Partei hätte es sich leisten können, aus dem Widerstand gegen ein Projekt heraus an die Regierung zu kommen, den Ministerpräsidenten zu stellen und dann weiterzubauen. „Das ist wirklicher Wahlbetrug“, sagte Riexinger. Wären der Volksabstimmung keine falschen Zahlen zugrunde gelegen, wäre sie möglicherweise anders ausgegangen. Nun wollten die Grünen am liebsten nicht mehr über Stuttgart 21 reden. „Wir werden dafür sorgen, dass das Thema im Landtagswahlkampf präsent bleibt“, kündigte Riexinger an.
Riexinger kritisiert Winterabschiebestopp
Die Linke fordere eine echte sozial-ökologische Wende. „Wir machen Energiepolitik nicht nur für die Halbhöhenlagen, sondern für die Menschen, die im Kessel wohnen“, versprach er. Riexinger verwies auf die neue Landesregierung in Thüringen, die als erste Amtshandlung einen Winterabschiebestopp für Flüchtlinge verhängte. „Hier werden Roma-Familien, die schon lange hier leben, mitten im Winter abgeschoben“, empörte sich Riexinger: „Das ist das Gegenteil von humaner Politik.“ Neben Innenminister Reinhold Gall kritisierte er auch den SPD-Landesvorsitzenden Nils Schmid: „Wir haben einen Buchhalter als Wirtschafts- und Finanzminister.“ Die SPD werde bei der Wahl „völlig zurecht“ bei unter 20 Prozent landen.
Es gebe in Baden-Württemberg aber auch keine echte Opposition. „Deshalb sollten wir dringend das Projekt starten, die Linke in den Landtag“, rief Riexinger seinen Genossinnen und Genossen zu. „Wir brauchen wenigstens eine Partei, die Armut und Polarisierung zum Thema in diesem reichen Land macht und für eine sozial-ökologische Wende steht.“
Wir dokumentieren die weiteren Redebeiträge von Heike Hänsel und Cuno Hägele im Wortlaut (bitte anklicken!).
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