Von Angela Berger – Ludwigsburg. Zum Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011 lud die Trägergemeinschaft „endlich-abschalten.de“ zu einem Vortrag des Unweltjournalisten Alexander Tetsch in Ludwigsburg ein. Nahe beim nur 30 Kilometer Luftlinie vom Großraum Stuttgart entfernten AKW Neckarwestheim berichtete er von den verheerenden Folgen für die japanische Bevölkerung. Dort in Neckarwestheim ist für Sonntag, 8. März, eine Demonstration „Fukushima – Keine Entwarnung“ geplant. Treffpunkt ist um 12.30 Uhr am Bahnhof in Kirchheim.
Das Unglück vom 11. März 2011 in Fukushima ist schon fast in Vergessenheit geraten – und damit auch das Bewusstsein für die Gefahr, die vom AKW Neckarwestheim ausgeht, mag der Reaktor 1 auch abgeschaltet sein. Je älter ein AKW ist, desto mehr kann der Betreiber an ihm verdienen. Deswegen versuchen die Betreiber, die Stilllegung so lange wie möglich hinauszuzögern. Das dabei auch das Risiko eines Unglücks wächst, nimmt man in Kauf. Die Kosten eines Rückbaus sind immens – siehe dazu auch „Radioaktivität lässt sich nicht abschalten„.
Alexander Tetsch berichtete beeindruckend und auch erschreckend von den Folgen der Katastrophe in Fukushima für die Menschen. Er berührte seine ZuhörerInnen, indem er von Einzelschicksalen erzählte und Bilder zeigte, die auf seinen Reisen in das Gebiet entstanden. Ungefähr 165 000 Menschen mussten ihre Häuser und Wohnungen in der Kernzone von 20 Kilometern um das Gelände verlassen. Sie leben bis heute in provisorischen Unterkünften. Teilweise ist diesen Menschen die Rückkehr in die Gebiete erlaubt worden, nachdem „dekontaminiert“ wurde. Es wurden dabei mehrere Zentimeter Erde abgetragen, und die Pflanzen wurden „gewaschen“ oder entfernt. Teilweise wurde die Bevölkerung dazu aufgerufen, mit Bürsten die Wege und Gebäude zu reinigen – natürlich ohne entsprechende Schutzkleidung. Viele Familien wollen aber nicht in die Gebäude zurückkehren, vor allem um ihre Kinder nicht zu gefährden.
Strahlenbelastung wird offiziell verharmlost
„In Fukushima läuft seit März 2011 der größte jemals unternommene Versuch zur Auswirkung radioaktiver Strahlung auf Menschen“, sagte Alexander Tetsch. Wie anders ließe sich sonst erklären, dass die Regierung ständig die Ungefährlichkeit von radioaktiver Strahlung propagiert? Dass „Stromsparen“ in Japan immer noch kein Thema ist? Dass immer noch neue AKWs geplant werden, auch wenn von den 50 bereits vorhandenen nur noch zwei laufen? Dass so gut wie keine Hilfen an die betroffenen Menschen von Tepco bezahlt wurde?
Die bekannt gemachten Ergebnisse von Strahlenmessungen decken sich nicht mit denen von Greenpeace, von Tetsch und anderen. Es gebe noch nicht mal einen Plan, was mit dem verstrahlten Erdreich geschehen soll. Es werde derzeit im ganzen Land in riesigen sogenannten „Bigbags“ mitten auf der Straße oder auch in einigen großen Lagern aufbewahrt. So bekomme fast jede Straße in Japan ein kleines eigenes Zwischenlager. Inzwischen seien diese großen Kunststofftaschen vergammelt und müssten durch neue ersetzt werden. Dass diese Lagerung unzureichend ist, müsse jedem klar sein, auch wenn er kein Physiker ist, sagt Tetsch.
Belastetes Wasser fließt weiter in den Pazifik
Durch die Lebensmittel und das Wasser komme die Strahlung nicht nur von außen, sondern wirke auch direkt in den Körpern der Menschen. Die Lebensmittel würden weiterhin nur stichprobenartig radiologisch untersucht. Oft würden die Herkunftsetiketten gefälscht oder die Lebensmittel so lange mit unverstrahlten gemischt, bis man unter die Grenzwerte kommt. Täglich fließen zirka 300 Tonnen belastetes Wasser in den Pazifik. Es gelangt so auch über die Ozeane in den Lebensmittelkreislauf. Es gebe sogar PR-Kampagnen, die den Verzehr von Lebensmitteln aus dem Gebiet von Fukushima anpreisen und fördern. „Support by eating“ oder auch „Fukushima Support Chef“ sind nur zwei Beispiele. PR-wirksam verzehrten Politiker und Fernsehmoderatoren live Waren, die aus Fukushima kommen, um von deren Ungefährlichkeit zu überzeugen – völlig absurde Bilder.
Schilddrüsen-Untersuchung an Kindern im Akkord
Die medizinische Versorgung und Überprüfung der Strahlenwerte der Menschen rund um das verseuchte Gebiet werde von staatlicher Seite nicht gewährleistet. Untersuchungsrgebnisse würden verharmlost oder verschwiegen. So dürfe die amtliche Schilddrüsen-Untersuchung der 360 000 Kinder nur zwei bis drei Minuten dauern, was kein gründliches Vorgehen ermögliche. Ein Team von Ärzten, das solche Untersuchungen ehrenamtlich durchführt, komme zu völlig anderen und sehr erschreckenden Ergebnissen. Dieses Ärzteteam werde nun jedoch auch durch die staatliche Presse unglaubwürdig gemacht, statt es zu unterstützen. Auch vier Jahre nach der Katastrophe dürften die Kinder sich maximal 30 Minuten im Freien aufhalten. Diese Zeit brauchten sie oft schon für ihren Schulweg. Alexander Tetsch hat an so einem Schulweg eine Messung der Strahlung vorgenommen und erhöhte Werte festgestellt. Bis zum 19. April 2011 galt dort die auch in Deutschland zulässige Höchstgrenze. Inzwischen wurde sie auf einen Wert erhöht, der auch der erlaubten Strahlung für einen Arbeiter in strahlenexponierten Berufen entspricht.
Die volle Wahrheit kommt vielleicht nie ans Licht
Die Auswirkungen des Supergaus in Japan wird wohl erst in ein paar Jahren ans Licht kommen. Es könne aber auch sein, dass die Zahl der Menschen, die an den Spätfolgen sterben, nie ans Licht kommt. Die japanische Regierung hat nun ein neues Gesetz erlassen, das sich „Designates Secrets Law“ nennt. Was für „geheim“ erklärt wird und was noch von Journalisten recherchiert werden darf, obliegt dann den Behörden. Alexander Tetsch schreibt auf seiner Webseite auch über andere Umweltthemen.
Unter dem Motto „Fukushima – keine Entwarnung“ findet auch dieses Jahr eine Demo zum Kernkraftwerk Neckarwestheim statt. Nähere Infos gibt es hier.
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