Von Angela Berger – Neckarwestheim. 3000 AtomkraftgegnerInnen kamen am Sonntag, 8. März, am Bahnhof in Kirchheim am Neckar zusammen und zogen gemeinsam zum Atomkraftwerk Neckarwestheim. Zu der Demonstration hatte der Trägerkreis „endlich-abschalten“ eingeladen, um an den vierten Jahrestag der Atomkatastrophe in Fukushima am Mittwoch, 11. März, zu erinnern.
Bevor der Demozug loslief, waren die Trommelgruppe „Lokomotive“ und der „Umwelt-Rap“ von Reiner Weigand zu hören, der auch schon bei einer S-21-Montagsdemo aufgeführt wurde. Auch „das kleine elektronische Weltorchester“ spielte.
Rodung für Atomschiff-Anlegestelle
Nach der Ankunft am Parkplatz am Atomkraftwerk sprach als erster Redner Franz Wagner von der AG Atomerbe Neckarwestheim. „Was ist los im Atomland?“, fragte er und kritisierte die Abriss-Planungen in Neckarwestheim und an anderen Standorten. Er rief dazu auf, diese Prozesse zu begleiten und seine Stimme zu erheben.
In den Genehmigungsverfahren liefen unglaubliche Dinge ab. So sei vor wenigen Wochen am Abhang zum Neckar direkt neben dem AKW über ein Hektar Wald für eine Atomschiffsanlegestelle gefällt worden, obwohl sie noch nicht mal genehmigt seit. Hierzu gibt es mehrere Einwendungen, für die noch Unterschriften gesammelt werden.
Fälle von Schilddrüsenkrebs nahmen extrem zu
Dr. Angelika Claußen von den Ärzten zur Verhütung des Atomkrieges und den Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) berichtete über die gesundheitlichen Folgen der Atomkatastrophe in Fukushima. Die Zahl der Erkrankungen an Schilddrüsenkrebs sei in den letzten vier Jahren bereits extrem angestiegen. Die Regierung in Japan habe es nicht mal geschafft, rechtzeitig noch während der Katastrophee Jodtabletten zu verteilen. Die Auswirkungen würden systematisch heruntergespielt und verharmlost.
Das Immunsystem der Kinder in den verstrahlten Gebieten leide sehr unter der Strahlenbelastung. Infektionen verliefen sehr langwierig und heilten nur schwer ganz ab. Diese Symptome kenne man auch aus Tschernobyl. Die Ärzte in Japan sollten aber keine Blutbilder untersuchen, denn das könnte einen Zusammenhang mit der Atomkatastrophe sichtbar machen.
Die Gesundheitsvorsorge und der Schutz der Arbeiter in den stark verstrahlten Gebieten arbeiten seien zur Schande für dieses hochtechnologische Land nicht aktiv, sagte Claußen. Es gebe keine Kontrolle und keine Angaben darüber, wie stark diese Menschen täglich verstrahlt werden. Wichtig sei ein Zusammenschluss aller Menschen weltweit, die sich gegen die Atomkraftwerke einsetzen. Die Ärzte-Vertreterin rief dazu auf, die Solidarität und die Vernetzung untereinander weiter auszubauen.
Schicksal der Menschen kein Thema mehr in den Medien
Masami Kato aus Japan berichtete über die Not und die Bedürfnisse der Menschen in den verstrahlten Gebieten von Fukushima. Die radioaktive Verseuchung halte in Japan weiter an, auch wenn das Schicksal der Menschen in den Massenmedien kein Thema mehr sei. Täglich werde radioaktiv verseuchtes Wasser in den Pazifik geleitet und gelange so auch nach Europa.
Obwohl die Mehrheit der Japaner seit dem Unglück in ihrem Land eine atomfreie Gesellschaft wünsche, stufe die Regierung die Kernenergie als wichtige „Basis-Stromenergie“ ein. Dabei arbeiteten von den 50 Atomkraftwerken zur Zeit nur noch zwei. Das zeige, dass es in Japan auch ohne Atomkraftwerke geht.
Der Betreiber Tepco habe den Menschen in den betroffenen Gebieten bisher keine angemessene finanzielle Hilfe angeboten, sagte die Rednerin. Mit der Olympiade 2020 in Tokio solle der ganzen Welt vorgegaukelt werden, dass die anhaltende Strahlenbelastung nicht bedrohlich sei. In Deutschland, in Japan und in der ganzen Welt solle man gemeinsam für eine atomfreie Welt und eine rasche Wende hin zu erneuerbaren Energien kämpfen, forderte Masami Kato.
Energiewende forcieren statt ausbremsen
Als letzter Redner sprach Kai Baudis vom BUND. Sein Thema war „Energiewende forcieren statt ausbremsen“. Jahrzehntelang hätten die ENBW und andere Versorgungsunternehmen die Energiewende verschlafen und sogar massiv bekämpft. Nun unterwanderten diese Konzerne die kleinen Verbände und versuchten, ihre Interessen durchzusetzen. Sogar der Ausbau der Braunkohle und das Fracking würden inzwischen als Förderung alternativer Energien verkauft.
Viele Politiker ließen sich gerne vor den Karren der Industrie und Konzerne spannen und setzten sich für die Interessen der Großkonzerne ein. Statt die EEG-Umlage ohne Ausnahme auch von den Großkonzerne zu fordern, würden große Teile von den Zahlungen ausgenommen. Die privaten Nutzer sollten die Kosten am Ausbau der alternativen Energien allein bezahlen.
Das Märchen von den hohen Kosten für die Industrie sollte niemand einfach nur schlucken, warnte Baudis. Immer wieder werde auch mit der Gefährdung von Arbeitsplätzen argumentiert. Tatsächlich seien die Stromkosten jedoch seit der Energiewende für die Industrie gesunken.
Die Kosten nicht nur den Bürgern aufbürden
Alternativ hergestellter Strom werde extra verteuert um die Energiewende auszubremsen. Gefördert würden nur die Großanlagen im Norden, die von den gleichen Großkonzernen gebaut würden, die bisher am Atomstrom verdient hätten. Nur deshalb benötige man teure Stromtrassen.
Kai Baudis und der BUND fordern die grün-rote Landesregierung auf, viel stärker Themen wie die Energiewende in den Bundestag zu tragen. Gebraucht werde eine dezentrale Energiewende in Bürgerhand und deren Beschleunigung ohne den Ausbau der Nutzung von Stein- und Braunkohle. Die Kosten dafür müssten gerecht geteilt und nicht nur den Bürgern allein aufgebürdet werden.
Am Fukushima-Jahrestag am 11. März, werden auch 2015 wieder überall in Deutschland Mahnwachen stattfinden – gegen das Vergessen der Katastrophe und als Zeichen gegen Atomenergie. Hier eine Übersichtskarte.
Fotos: Angela Berger
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