Kommentar von Anne Hilger – Stuttgart/Berlin. Die SPD-Führung versteht die Welt nicht mehr. Warum bloß mag keiner mehr ihre Partei – trotz Mindestlohn, Rente mit 63 und Frauenquote? Obwohl – keiner ist übertrieben. In Wahlumfragen kommt die SPD auf bis zu 25 Prozent. Doch das ist zu wenig, um jemals wieder einen Kanzler zu stellen. Meinungsforscher rätseln, woran das liegt. Wir können ihnen auf die Sprünge helfen. Und ein paar Ratschläge hätten wir für die alte Tante obendrein.
Jetzt auch noch Andrea Nahles, einst Vorzeigefrau der SPD-Linken! Nach Sigmar Gabriel erklärte nun auch sie den Abschied von der Vermögenssteuer. Hätte ja 25 Mal nicht geklappt, sie wieder einzuführen, nörgelt die Arbeitsministerin. Ja, liebe SPD – hättest Du es halt in all den Jahren einfach mal gemacht. Die nötigen Mehrheiten dazu gab es im Bundestag mehrfach mit Linken und Grünen.
Aber die Krux beginnt mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Die SPD habe in der Großen Koalition „Prestigeprojekte“ und „zentrale Anliegen“ durchgesetzt, komme aber „trotz ihrer Erfolge“ bei den Wählern nicht an, berichteten die Zeitungen am Wochenende über eine von TNS Infratest im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellte Studie. Von deren Ergebnissen zeige sich die Parteispitze alarmiert. Aber Moment mal – Erfolge? Zentrale Anliegen?
Der breiten Mehrheit ist durchaus bewusst, dass es sich beim Mindestlohn oder der Rente mit 63 nur um die Reparatur einiger besonders schlimmer Auswüchse der Hartz-Gesetze handelt, die sich gegen Beschäftigte und Arbeitslose richten und für die bekanntlich die SPD hauptverantwortlich zeichnet. Zum anderen dürfte nahezu jeder und jedem klar sein, dass ein viel zu spät eingeführter, durch allerlei Ausnahmen entwerteter Mindestlohn von 8,50 Euro und eine abschlagfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren keine sozialen Probleme löst.
Die Partei feiert sich für Tippelschritte und Scheinerfolge
Geringverdiener kommen auch künftig nur als Aufstocker mit finanzieller Hilfe des Arbeitsamts durchs Leben, und sie werden im Alter auf Grundsicherung angewiesen sein. Was die Frauenquote in Aufsichtsräten angeht: Die SPD kann doch nicht allen Ernstes glauben, mit der Förderung einiger Führungs-Frauen in 108 börsennotierten Unternehmen Wesentliches zum Kampf gegen die himmelschreiende Ungerechtigkeit beizutragen, der Verkäuferinnen, Altenpflegerinnen, Erzieherinnen, befristet angestellte Wissenschaftlerinnen und andere berufstätige Frauen ausgesetzt sind?
Überhaupt scheint die SPD entweder gar keine oder eine ziemlich schräge Vorstellung davon zu haben, für wen sie Politik machen soll. Besagte Aufsichtsratsfrauen werden die Gabriel-Partei trotz noch so schöner Posten kaum wählen, und wenn, dann fielen sie zahlenmäßig nicht groß ins Gewicht.
Anhaltend beschädigter Markenkern
Das Gros der noch halbwegs gut situierten Mittelschicht fühlt sich bei Mutti besser aufgehoben. Und von der Masse der Beschäftigten und Arbeitssuchenden nehmen viele Reißaus, sobald sie bloß was von SPD hören. Viele gehen lieber gar nicht zur Wahl. Sie wissen, wem sie Hartz-Sanktionen, Leiharbeit und Minijobs, Rentenkürzungen und gesunkene Realeinkommen verdanken. Zu Recht bescheinigt die TNS-Infratest-Studie der Nach-Agenda-SPD ein anhaltendes „Imageproblem“ und einen „beschädigten Markenkern“.
Der Markenkern der SPD war soziale Gerechtigkeit – nicht das Wohlergehen der eigenen Rudelführer. Von denen haben aber von Riester über Schröder bis Steinbrück nicht wenige vorgemacht, was sie unter Aufstieg verstehen. Ist es ein Wunder, dass kaum jemand Sigmar Gabriel zutraut, er werde auch nur in der Frage der Schiedsgerichte bei den Freihandelsabkommen TTIP und CETA dem Willen der Parteibasis folgen und gegenüber der Kanzlerin standhaft bleiben?
Wachsende Armut lässt die SPD offenbar kalt
Vor kurzem hat der Paritätische Wohlfahrtsverband seinen Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. 12,5 Millionen Menschen in Deutschland gelten als arm. Besonders gefährdet sind Alleinerziehende und Ältere. Von der einstigen Partei der sozialen Gerechtigkeit war zu diesem Thema nichts zu hören. Die letzte Eintragung zu den jährlichen Berichten des Paritätischen auf der Homepage der Bundes-SPD stammt aus dem Jahr 2012. Da war die SPD noch in der Opposition.
Die wachsende Armut scheint die Partei ebenso kalt zu lassen wie das Auseinanderdriften von Arm und Reich oder die Verelendung der griechischen Bevölkerung. Dabei warnt selbst die OECD vor einer Vermögensverteilung, die so grotesk ungleich ist, dass sie den Bestand des Kapitalismus gefährdet – von der Demokratie ganz zu schweigen.
Warum keine Vermögensabgabe?
Womit wir bei den Ratschlägen wären. Um Vertrauen zurückzugewinnen, müsste die SPD einfach bloß sozialdemokratische Politik machen. Nichts Großes, nichts Revolutionäres – das können andere besser. Sie müsste nur Projekte angehen, die das Attribut sozialdemokratisch verdienen: etwa Leiharbeit und grundlose Befristung von Stellen abzuschaffen oder wirksame Erbschafts- und Vermögenssteuern einzuführen, um die auf Ausbeutung beruhende ständige Umverteilung von unten nach oben zu stoppen.
Doch als Teil der Großen Koalition starrt die SPD paralysiert auf Angela Merkels Beliebtheit. Dabei böte gerade die Griechenland-Krise der SPD die Chance, auf Distanz zur gescheiterten Sparpolitik in den südeuropäischen Ländern zu gehen und sich vom neoliberalen Prinzip zu verabschieden, statt das Mantra der CDU nachzubeten. Eine sozialdemokratische Partei kann doch nicht die Verelendung ganzer Bevölkerungsteile hinnehmen! Gegen Armut zu kämpfen, gehörte auch mal zum Markenkern.
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