Stuttgart. Keine zehn Minuten dauerte ein Prozess wegen „Störung von Versammlungen und Aufzügen“ am Donnerstag, 26. März, vor dem Stuttgarter Amtsgericht. Das Verfahren wurde wegen „geringer Schuld“ eingestellt, die Kosten trägt die Staatskasse. Die Begründung der Richterin: Die Sitzblockade, um die es ging, sei nur klein und deshalb keine grobe Störung gewesen. Überdies könnten sich sowohl die „Bildungsplangegner“, gegen die sie sich richtete, als auch die TeilnehmerInnen der Sitzblockade auf das Versammlungsrecht berufen.
Das war aus Sicht des angeklagten Antifaschisten, eines Mitarbeiters der Beobachter News, ein aufschlussreiches Argument. Es könnte seines Erachtens darauf hindeuten,
„dass zumindest einige Angehörige der hiesigen Justiz bereit sind, das im Grundgesetz verankerte Versammlungsrecht zu würdigen“. Dies sei „vielleicht ein erster Ansatz zur Entkriminalisierung friedlicher Sitzblockaden“.
Wegen der Kürze des Verfahrens kam unser Mitarbeiter Michael Janker zu seinem Bedauern nicht einmal dazu, vor Gericht seine vorbereitete Erklärung zu verlesen.
Hier sein Bericht vom Prozess und dessen Vorgeschichte:
Bei der zweiten „Demo der Bildungsplangegner“ am 5. April 2014 gab es vielfältige Proteste gegen die Homophoben und Klerikalfaschisten. Im Bereich Tor-Eberhardtstraße, kam es im Zusammenhang mit diesen Gegenprotesten zu einer spontanen Sitzblockade, deren Teilnehmer allesamt in Polizeigewahrsam ins Polizeipräsidium Hahnemannstraße kamen.
Seit Anfang Februar 2015 hagelte es nun Strafbefehle gegen die Teilnehmer dieser Blockade. Ich bekam auch einen über insgesamt 400 Euro. Der Vorwurf war „Störung von Versammlungen und Aufzügen“.
Ich legte selbstverständlich Einspruch gegen diesen Strafbefehl ein. Am 16. März erhielt ich eine sehr kurzfristige Ladung zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Stuttgart auf Donnerstag, 26. März 2015. Obwohl ich einen Antrag auf Verlegung dieses Termins gestellt habe, da mein Rechtsbeistand an diesem Tag schlicht keine Zeit hatte (er kommt aus Hamburg), wurde diese Verlegung nicht genehmigt.
Ich saß nun also ohne Rechtsbeistand der zuständigen jungen Richterin Vögelein und einer vermutlich noch in der Ausbildung befindlichen Staatsanwältin gegenüber.
In diesem Fall allerdings blieb dieser Umstand für mich zu meiner im Folgenden wachsenden Verblüffung ohne negative Konsequenzen!Unmittelbar nach Verlesung der Anklageschrift, stellte Richterin Vögelein das Verfahren nämlich wegen geringer Schuld nach § 153 StPO ein. Zur Begründung gab sie an, „dass aufgrund der geringen Größe der blockierenden Gruppe, keine „grobe Störung“ der Öffentlichkeit gegeben sei“. Dies ist genau dieselbe Begründung, mit der Anfang März bereits ein anderes Verfahren in gleicher Sache gegen einen weiteren Blockade-Teilnehmer eingestellt wurde.
Eine weitere Begründung für die Einstellung meines Verfahrens ließ mich allerdings aufhorchen: Richterin Vögelein meinte nämlich, dass sowohl die „Bildungsplangegner“ als AUCH die Teilnehmer der Sitzblockade sich insoweit auf das Versammlungsrecht berufen können!! Dieses Argument ist allerdings aufschlussreich.
Ich will da nicht voreilig sein, aber meines Erachtens könnte dies darauf hindeuten, dass zumindest einige Angehörige der hiesigen Justiz bereit sind, das im Grundgesetz verankerte Versammlungsrecht zu würdigen. Dies ist vielleicht ein erster Ansatz zur Entkriminalisierung friedlicher Sitzblockaden.
Wenn man aber bedenkt, dass am Dienstag ein anderer Angeklagter in gleicher Sache durch eine andere Richterin zu 40 Arbeitsstunden verdonnert wurde, scheint ein solch mögliches Umdenken noch nicht überall angekommen zu sein.
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