Stuttgart/Vaihingen. Das Friedensnetz Baden-Württemberg begann am Samstag, 4. April, mit rund 400 Teilnehmerinnen seinen Ostermarsch vor der Kommandozentrale der amerikanischen Streitkräfte Eucom in Stuttgart-Vaihingen. Es regnete um die Mittagszeit in Strömen, doch die Stimmung war heiter. Am Nachmittag wuchs die Menge der TeilnehmerInnen an der Demonstration durch die Stuttgarter Innenstadt auf gut das Doopelte. Ihre Forderungen: kein Krieg von deutschem Boden aus, keine Kampfdrohnen für die Bundeswehr, zivile Produktion statt Rüstungsindustrie und ein Ende der Eskalation im Konflikt der Nato mit Russland.
Weitere Ostermärsche gab es am Samstag in Mannheim und Ellwangen. Pace-Fahnen in Regenbogenfarben, rote Fahnen der DKP oder Linken und Regenschirme in allen Schattierungen – darunter besonders viele grüne K 21-Schirme der Bewegung gegen Stuttgart 21 – prägten das Bild vor dem Eingang des Hauptquartiers der amerikanischen Streitkräfte in Vaihingen. Wolfgang Wettach, stellvertretender Landesvorsitzender der überparteilichen Europa-Union, trug ein Transparent der Grünen.
Die Band Ewo2 mit Hans Reffert und Bernd Köhler aus Mannheim brachte die ausgekühlte Menge in Bewegung. Heike Hänsel, Bundestagsabgeordnete der Linken, eröffnete die Kundgebung und moderierte. Man habe sich gezielt vor dem Eingang der US-Kommandozentrale Eucom versammelt, einem wichtigen Bestandteil der Nato, deren Eskalationspolitik derzeit mitzuerleben sei. Von Stuttgart aus werden Drohneneinsätze auch in Afrika gesteuert. „70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wollen wir die Losung, dass von deutschem Boden kein Krieg ausgehen darf, verteidigen und aufrechterhalten“, rief Hänsel ins Mikrofon.
Jürgen Wagner: Nato hat Versprechen gegenüber Russland gebrochen
In Vaihingen als Sitz des Nato-Oberbefehlshabers in Europa würden auch „wesentliche Teile der aktuellen Generalmobilmachung der Nato gegen Russland befehligt“, betonte der Politologe Jürgen Wagner von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung als Hauptredner der Kundgebung. „Eines kann man uns nicht vorwerfen: dass wir Schönwetter-Demonstranten seien“, begann er seine Rede und schickte voraus: „Wenn wir die brandgefährliche Natopolitik kritisieren, heißt das nicht, dass wir die Rolle Russlands beschönigen.“ Auch Russland kämpfe derzeit zur Durchsetzung seiner machtpolitischen Interessen mit harten Bandagen.
Dennoch komme dem Westen eine wesentliche, wenn nicht die Hauptschuld an der Eskalation in der Ukraine und im Verhältnis zu Russland zu. Die „Ursünde“ sei gewesen, das nun 25 Jahre alte Versprechen zu brechen, die Nato nicht nach Osten zu erweitern. Ohne diese Nato-Politik wäre es wohl nie zu der aktuellen Krise gekommen. Auch Deutschland habe sich als treibende Kraft hinter dem Assoziierungsabkommen an dem Versuch beteiligt, die Ukraine in den Einflussbereich des Westens zu ziehen und damit zu destabilisieren.
Der Westen und vor allem auch Deutschland hätten massiv die Proteste auf dem Majdan unterstützt, die zum Sturz Wiktor Janukowitschs als gewähltem Präsidenten führten, und die Putschregierung trotz deren offener Zusammenarbeit mit faschistischen Kräften sofort anerkannt. Die Nato-Manöver, die jetzt mit Blick auf Russland abgehalten würden, und die Vergrößerung der schnellen Eingreiftruppe der Nato trügen weiter zur Eskalation bei.
Protest gegen Natomanöver im Auge des Sturms
Deutschland sei schon wegen seiner Exportinteressen weniger stark an einer Eskalation interessiert als Teile der US-Regierung und deren Verbündete in der Ukraine. Wirklich Lob Verdienste die Bundesregierung aus Sicht Wagners jedoch nur, wenn sie die eigene Verantwortung für die jetzige Situation anerkennen und von einer generell antirussischen Politik Abstand nehmen würde.
Am Eucom befinde man sich in gewisser Weise „im Auge des Sturms“. Obwohl von da aus ganz Europa ins Chaos gestürzt zu werden drohe, sei es in der Bevölkerung „verdammt ruhig“. Das müsse sich ändern. Die Generalmobilmachung der Nato gegen Russland müsse sofort aufhören, forderte Jürgen Wagner.
Der Staatsschutz behielt die Demonstration im Blick
Angeführt von einer Trommelgruppe, zogen die OstermarschiererInnen von der Kommandozentrale zur S-Bahn-Haltestelle. Die Trommlerinnen und Trommler prägten auch die Szenerie in der Lautenbergerstraße vor dem Hauptbahnhof, wo man sich bei weiter anhaltendem Regen zum zweiten Teil des Ostermarschs im Stuttgarter Zentrum traf. Neben Polizisten in Uniform waren auch Staatsschutzbeamte in Zivil erschienen, um die DemonstrantInnen zu beobachten.
Henning Zierock von der Gesellschaft Kultur des Friedens, der Grüße vom Weltsozialforum in Tunis überbrachte, und Stefanos Psomas eröffneten die Auftaktkundgebung auf einem Bühnenwagen mit dem Song „Weil er sich nicht Gesetzen beugte“ von Mikis Theodorakis zur Gitarre. Das Lied sei auch den Kriegsdienstverweigerern gewidmet, sagte Moderatorin Heike Hänsel. Es sei zu hoffen, dass Griechenland bald ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung einführt.
Protest gegen das Treffen der G 7 in Elmau
Eine Sprecherin des OTKM (Offenen Treffens gegen Krieg und Militarisierung) Stuttgart rief zum Protest gegen den G7-Gipfel im Juni im bayerischen Elmau auf. Er diene dazu, Strategien zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen der Großmächte zu entwickeln. Auch Unternehmer, Kriegs- und Rüstungslobbyisten seien beteiligt. Russland sei inzwischen von den Treffen ausgeschlossen. Die Politik der G7 stehe für Armut, Ausbeutung, Unweltzerstörung und imperialistische Kriege weltweit. „Egal, wieviel Geld die Reichen in Zäune und ihre Sicherheit investieren: Sie werden uns nicht hindern, Proteste zu organisieren und es ihnen in Elmau so ungemütlich wie möglich zu machen“, kündigte die Rednerin an.
Vom Hauptbahnhof führte die Demo-Route führte über die Schiller- und die Konrad-Adenauer-Straße zum Charlottenplatz und über die Planie. Trotz Regens und Kälte beteiligten sich auch viele Ältere und Menschen, die schlecht zu Fuß waren. Es war ihnen offenbar trotz der Strapazen ein Anliegen, ihren Teil zum Gelingen des Ostermarschs bei- und die Forderung nach Frieden auf die Straße zu tragen.
Tobias Pflüger: Kampfdrohnen für Bundeswehr sind fatal
Auf dem Schlossplatz empfingen Hans Reffert und Bernd Köhler von Ewo2 die DemonstrantInnen mit „Die Gedanken sind frei“ und „Mackie Messer“ aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper. Hauptredner war Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung, stellvertretender Bundesvorsitzender der Linken und früherer Europaabgeordneter. Er bekam viel Beifall.
Scharf kritisierte er die aktuelle Entscheidung der Großen Koalition, Kampfdrohnen für die Bundeswehr anzuschaffen. „Wir sind hier, weil wir das nicht wollen“, stellte er klar. Es handle sich um eine der „fatalsten Entscheidungen“ der Großen Koalition. Es werde Protest gegen sie geben, stellte Pflüger klar.
Er erinnerte daran, dass die Ostermärsche einst als Kampf gegen die Wiederbewaffnung Mitte der fünfziger Jahre begannen. Inzwischen sei die Bundeswehr grundgesetzwidrig zu einer Interventionsarmee ausgebaut worden. Zeitweise hätten sich 10 000 Soldaten in Auslandseinsätzen befunden. Derzeit seien es 2500.
Keine Beteiligung mehr an Angriffskriegen
„Wir wollen ein Zeichen setzen, dass Sicherheits- und Friedenspolitik nur mit Russland möglich ist, nicht gegen Russland“, forderte er, die Nato-Manöver abzubrechen. Es dürfe auch keine Angriffskriege mehr mit deutscher Beteiligung geben. Wer eine Bundewehr habe, müsse gleichzeitig einen militärisch-industriellen Komplex vorhalten, sagte Pflüger und forderte, Rüstungsbetriebe in Produktionsstätten für zivile Güter umzuwandeln.
„Wir wollen nicht, dass die Bundeswehr kämpft. Wir wollen, dass sie abgerüstet wird“, forderte er unter Beifall. Und noch etwas sei ihm ein persönliches Anliegen: dass die Bundeswehr ihre Traditionslinien zur Wehrmacht kappt. Fallschirmjäger hatten in Griechenland einen „berühmt-berüchtigten Einsatz“. Es sei nun endlich an der Zeit, dass die Bundesregierung an die Menschen, die unter ihnen litten, Reparationen zahlt und die Zwangskredite ablöst.
Kai Burmeister, IG Metall: Konversion ist machbar
Ausdrücklich dankte Pflüger der IG Metall Stuttgart, die sich für ein Ende der Rüstungsindustrie in Baden-Württemberg ausgesprochen hat. „Wir können in Stuttgart leicht über Rüstung und Arbeitsplätze reden, aber wir sollten es nicht leichtfertig tun“, mahnte Kai Burmeister als deren Sprecher. Gewerkschafter trügen für beides Verantwortung – für Frieden und für Arbeitsplätze.
Dennoch zeigte sich Burmeister überzeugt, dass es möglich ist, auf Rüstungsproduktion zu verzichten. Deutschland sei Exportweltmeister, doch nur ein Prozent der Exporte seien Waffenlieferungen. „Ich bin der Meinung, Konversion ist machbar“, betonte er. Die Politik müsse Unternehmen dabei unterstützen, Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie umzuwandeln, und ebenso die betroffenen Regionen. Scharf wandte sich Burmeister gegen Versuche, den Parlamentsvorbehalt bei Bundeswehreinsätzen im Ausland auszuhöhlen: „Wir müssen uns der schleichenden Militarisierung der Außenpolitik entgegen stellen.“
Dietrich Becker-Hinrichs: Dumpfe Anfeindungen nicht hinnehmen
Letzter Redner auf dem durch die Witterung zunehmend ungemütlich werdenden Schlossplatz war Pfarrer Dietrich Becker-Hinrichs aus Bretten. Er kritisierte, dass internationale Konflikte heute religiös aufgeladen seien. Es gebe eine zunehmende Islamfeindlichkeit, die sich etwa in den „unerträglichen Pegida-Demonstrationen“ zeige. „Es verletzt unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen sehr, wenn man sie mit Terroristen in einen Topf wirft“, mahnte Becker-Hinrichs.
Jede Religion habe schon im Lauf ihrer Geschichte „schreckliche Dinge“ legitimiert. Jede trage ein Gewaltpotenzial, aber auch ein Friedenspotenzial in sich. Man müsse auch mit den IS-Führern reden, Krieg sei keine Lösung – und es gebe auch nicht nur die Alternative, Waffen zu liefern oder Unrecht tatenlos geschehen zu lassen. „Unsere Verantwortung heißt Frieden – lasst uns diese Verantwortung gemeinsam wahrnehmen“, schloss der Pfarrer mit dem Motto der Ostermarschbewegung.
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