Von Jens Volle – Stuttgart. Etwa 75 FriedensaktivistInnen und RüstungsgegnerInnen beteiligten sich am Freitag, 17. April, vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft an der Kundgebung „Der Tod dankt der Staatsanwaltschaft Stuttgart“. Sie forderten, Heckler & Koch sofort anzuklagen. Sie werfen der Waffenschmiede illegale Waffenlieferungen nach Mexiko vor. Vor fünf Jahren, am 19. April 2010, wurde bereits Strafanzeige gegen Heckler & Koch gestellt, doch Anklage wurde nicht erhoben.
Paul Russmann von der Initiative „Ohne Rüstung Leben“, Mitorganisator der Aktion, moderierte die Kundgebung. Jürgen Grässlin, Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) sagte, er habe am 19. April 2010 Strafanzeige gegen die Rüstungsfirma Heckler & Koch (H&K) erstattet.
Inhalt der Anzeige sei ein Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und das Kriegwaffenkontrollgesetz (KWKG). Anlass der Anzeige waren vertrauliche Gespräche mit einem Mitarbeiter von H&K. Jürgen Grässlin erfuhr von dem Informanten, dass Tausende G36-Sturmgewehre der Waffenschmiede H&K in die vier mexikanischen Provinzen Chiapas, Chihuahua, Jalisco und Guerrero gelangt sind.
Waffenlieferungen in diese Provinzen sind durch das AWG und KWKG ausdrücklich verboten. Laut Grässlin spricht auch vieles dafür, dass die Gewehre von H&K bei dem Verschwinden von und dem wahrscheinlichen Mord an 43 StudentInnen in Mexiko zum Einsatz kamen. Am 26. September 2014 seien diese von Sicherheitskräften in Zusammenarbeit mit der Mafia in Ayotzinapa in der Provinz Guerrero verschleppt worden.
Zollkriminalamt bestätigt Gesetzesverstöße
Der Strafanzeige folgten Hausdurchsuchungen bei H&K und in Privaträumen von Mitarbeitern. Durchführt wurden sie von der Staatsanwaltschaft Stuttgart und dem Zollkriminalamt Köln. Jürgen Grässlin sagte, dass seit Sommer 2014 der Untersuchungsbericht des Zollkriminalamtes vorliege. In diesem würde festgestellt, dass tatsächlich Tausende G36-Sturmewehre in die genannten Provinzen Mexikos geliefert worden seien. Dadurch sei der Verstoß gegen das AWG und KWKG bestätigt, und die Staatsanwaltschaft müsse Anklage erheben.
Vorwürfe an die Staatsanwaltschaft Stuttgart
Jürgen Grässlins Rechtsanwalt Holger Rothbauer wirft der Staatsanwaltschaft vor, die Ermittlungen nicht ernstzunehmen und zu verschleppen. Nach dem Vorliegen des Untersuchungsberichts des Zollkriminalamts im letzten Herbst sei der zuständige Staatsanwalt im Januar für sechs Monate an die Bundesanwaltschaft abgeordnet worden. Die Staatsanwaltschaft sagt, dass dies normal sei. Dass noch keine Anklage erhoben wurde liege daran, dass der Untersuchungsbericht noch ausgewertet werden müsse.
Durch den Auslandsbezug seien die Ermittlungen zudem schwierig und langwierig. Im zweiten Halbjahr könnemit dem Abschluss der Ermittlungen und der Anklageerhebung gerechnet werden. Holger Rothbauer hält das für „bemerkenswert“. Es wäre in den drei Monaten vor der Abordnung des Staatsanwalts mehr als genug Zeit gewesen, aus den abgeschlossenen Ermittlungen des Zollkriminalamts eine Anklage zu formulieren.
„Alle 14 Minuten ein ‚menschliches Weichziel‘ von einer Heckler&Koch-Waffe eliminiert“
Nach dem Motto der Kundgebung trug Pfarrer Alexander Schleicher als Tod maskiert eine ironische Dankesrede vor. Schleicher ist unter anderem Mitglied der DFG-VK und der christlichen Friedensorganisation Pax Christi. Sein „Dank“ gelte in erster Linie Andreas Heeschen, dem Haupteigentümer von H&K. Er diene ihm, dem Tod, überall auf der Welt. Er freue sich auch darüber, „dass alle 14 Minuten ein ‚menschliches Weichziel‘ von einer Heckler&Koch-Waffe eliminiert oder manchmal auch nur verstümmelt wird.“
Der Bundesregierung „dankt“ er, dass Deutschland den vierten Platz in der Rüstungsproduktion belegt. Der Pfarrer „dankt“ sogar manchen Bischöfen, die sich für Waffengewalt als „Ultima Ratio“ im Irak ausgesprochen haben. Sein besonderer „Dank“ gilt der Staatsanwaltschaft Stuttgart „für fünf Jahre Ermittlungen ohne Strafanzeige gegen Europas tödlichstes Unternehmen“. Abschließend sagt er: „Der Tod fürchtet nichts mehr als Menschen, die ihre Stimme erheben, die aufstehen für das Leben.
Live-Schalte nach Mexiko
Große Anteilnahme zeigten die TeilnehmerInnen bei den Redebeiträgen der Gruppe „Sin rostro“ (ohne Gesicht), die sich der Solidarität mit den Unterdrückten in Mexiko widmet. Schweigend lauschten die Anwesenden bei der Verlesung der Namen der 43 verschleppten StudentInnen. Samuel Weber interviewte Eduardo Moreno Peralta, einen Kommilitonen der 43 LehramtsstudentInnen, über eine Live-Schaltung.
Dieser berichtete, dass die StudentInnen wegen ihrer politischen Arbeit entführt worden seien. Sie wehrten sich gegen die Pläne der mexikanischen Regierung, ihr Lehramtskolleg, die „Normales Rurales“, zu schließen. Dort werden vorwiegend Menschen aus den ärmeren ländlichen Regionen ausgebildet und ihr kritisches Bewusstsein geschärft.
Die Regierung wolle ein kostenpflichtiges Modell etablieren, das nicht zu der ökonomischen und sozialen Situation Mexikos passen würde. Eduardo bittet die deutschen Politiker, Druck auf die Regierung Mexikos auszuüben, um ein Ende der Gewalt zu erreichen. Auch bittet er die Menschen in Deutschland, Druck auf ihre Regierung auszuüben und endlich die Waffenlieferungen zu stoppen.
Solidarität ist der einzige Trost
Heike Hänsel, Bundestagsabgeordnete der Linken, schilderte in der Abschlussrede ihren Besuch in Ayotzinapa. Dort habe sie Polizisten mit dem G36-Sturmewehr gesehen, obwohl es diese Waffen da offiziell gar nicht geben dürfe. Die Abgeordnete sprach dort auch mit Angehörigen der verschleppten StudentInnen. Diese seien völlig verzweifelt. Ihr einziger Trost sei, dass sich auch hier Menschen mit den Opfern deutscher Waffen solidarisch zeigten.
Die Mensche. in Deutschland trügen eine Mitverantwortung und sollten durch Demonstrationen und Protestaktionen dafür sorgen, dass endlich die Verantwortlichen bei H&K und in der Politik reagieren und unverzüglich die Waffenexporte einstellen.
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