Von unseren ReporterInnen und der Redaktion – Stuttgart. Starke Polizeikräfte ermöglichten am Sonntag, 17. Mai, unter Einsatz von Gewalt eine Pegida-Kundgebung auf dem Stuttgarter Kronprinzplatz. Nach Angaben der Veranstalter nahmen 300, nach Zählung der Polizei etwa 200 Anhänger der fremdenfeindlichen Bewegung an dem Aufmarsch teil. Viele gehörten erkennbar zur Nazi-Szene, es gab aber auch bürgerliches Publikum. Ein breites Bündnis hatte zu einer Gegenkundgebung auf der Querspange aufgerufen. Außerdem versuchten zunächst etwa 3000, später bis zu 4000 Pegida-GegnerInnen, die Zugänge zu deren Kundgebungsort zu blockieren.
Das vereitelte die Polizei, die am Sonntagnachmittag nach eigenen Angaben annähernd 1000 BeamtInnen aus ganz Baden-Württemberg in der Stadtmitte im Einsatz hatte. Sie setzten Schlagstöcke, immer wieder ihre Fäuste und – entgegen einer Pressemitteilung vom Nachmittag – auch schon früh Pfefferspray ein, um den Großteil der Pegida-Anhänger durch die Blockaden auf den mit Hamburger Gittern abgesperrten Kronprinzplatz zu schleusen. So durchbrach die Polizei mit einem größeren Trupp „Berserker“ aus Pforzheim in einem Wanderkessel die Blockade am Zugang von der Königstraße her.
Reiterstaffel drängt DemonstrantInnen ab
Bemerkenswert: Die BeamtInnen schienen sich im Fall der Pegida-Anhänger weder an verbotenen Symbolen wie einem am Hals tätowierten Hakenkreuz noch an Vermummungen zu stören, die bei anderen Demonstrationen häufig moniert werden. Einer unserer Reporter beobachtete ein Kuriosum am Rande. An einer der Absperrungen muss sich ein Beamter in Einsatzmontur auf dem Platz der auf 15 Uhr angesetzten Pegida-Kundgebung von GegendemonstrantInnen so stark provoziert gefühlt haben, dass er im Alleingang über das Gitter in die Reihen der Blockierenden sprang und um sich schlug. Kollegen eilten ihm eilig zu Hilfe.
Beim späteren Abzug der Rechten mit zwei städtischen Linienbussen der SSB über die Gymnasiumsstraße zur Theodor-Heuss-Straße wurden DemonstrantInnen von Beamten der Reiterstaffel mit Pferden abgedrängt. Die Demo-Sanitätsgruppe Südwest berichtet von 40 an dem Nachmittag durch Pfefferspray oder in Einzelfällen auch Schlagstockeinsatz Verletzten, die sie versorgte. „Besonders auffällig ist in letzter Zeit der zunehmend aggressivere Einsatz von Polizeipferden“, erklärte eine Sprecherin. „Auch heute wurde immer wieder direkt in die Demonstranten geritten und somit schwere Verletzungen riskiert.“
Polizeibeamte rennen neben abfahrendem Pegida-Bus her
Die Polizei berichtete hingegen in einer nach 18 Uhr veröffentlichten Pressemitteilung, beim Versuch von GegendemonstrantInnen, die Abfahrt der Pegida-Anhänger in den bereitstehenden Bussen zu verhindern, sei „auch aus den Reihen der Blockierendene offenbar Pfefferspray gegen Beamte gesprüht“ worden. Mehrere hundert GegendemonstrantInnen hätten versucht, die Abfahrt der Busse zu verhindern. Eines der SSB-Fahrzeuge sei durch Steinwürfe beschädigt worden.
Wir beobachteten, wie behelmte PolizeibeamtInnen noch eine Zeitlang im Spalier neben den abfahrenden Bussen herrannten. Nachdem die Fahrzeuge über die Heilbronner Straße in Richtung Pragsattel eingebogen waren, hatten die Busse freie Fahrt. Pegida-Anhänger, die nicht mehr einsteigen konnten, wurden von der Polizei zu den Haltestellen anderer öffentlicher Verkehrsmittel eskortiert.
Die Fraktionsgemeinschaft von SÖS- Linken Plus im Stuttgarter Stadtrat zeigte sich über den Einsatz der SSB-Busse für Pegida irritiert. Die Fraktion hat dazu eine Anfrage bei der Stadtverwaltung eingereicht. Unter anderem möchte sie wissen, wer den Einsatz der Busse angeordnet hat und wer seine Kosten trägt.
Festnahmen oder „allgemeine Personenkontrollen“?
Die Ermittler hätten „in Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen“ mehr als ein Dutzend Strafanzeigen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, Körperverletzung und Beleidigung zu bearbeiten, so die Bilanz der Polizei. Sechs Beamte seien bei dem Einsatz durch Knalltrauma und Rangeleien „sowie beim Anwenden von unmittelbarem Zwang“ verletzt worden. Die Meldung in sozialen Netzwerken, es seien mehrere Personen festgenommen und in ins Polizeipräsidium gebracht worden, sei hingegen falsch.
Allerdings erfuhren wir von mindestens sieben Personen, die zumindest vorübergehend festgehalten wurden. Allein vier Fälle wurden von unseren Fotografen dokumentiert. Mitarbeiter der Beobachter News wurden auch Zeuge der Durchsuchung einer Passantin und eines Passanten in der Kronprinzstraße kurz hinter der Einfahrt von der Alten Poststraße am späten Vormittag. Sie dauerte eine dreiviertel Stunde. Den Mann ließ die Polizei gehen. Die Frau wurde gegen 12.30 Uhr in einem Zivilfahrzeug abtransportiert. Es hieß, ihr werde vorgeworfen, dass sie Handschuhe und eine „Sturmhaube“ in ihrem Rucksack gehabt habe.
Polizist schlägt gegen Kamera eines Pressefotografen
Immer wieder behinderte die Polizei überdies Pressevertreter. Im Vorfeld wurden mit Hinweis auf „allgemeine Personenkontrollen“, die es rechtlich ohne konkreten Anlass gar nicht geben dürfte, neben Demosanitätern auch Mitarbeiter der Beobachter News durchsucht und mussten ihre Taschen zeigen.
Ein Polizist schlug gegen die Kamera eines Fotografen, der gerade dokumentieren wollte, wie ein Gewerkschaftsvertreter penibel kontrolliert wurde. Mehrfach ließ die Polizei durch Presseausweis legitimierte Berichterstatter nicht durch Polizeiketten durch, und beim Abzug der Pegida-Anhänger drängten berittene Beamte auch Journalisten mit ihren Pferden ab.
3500 bei Kundgebung für Vielfalt und gegen Rassismus
Ein Bündnis um die „Anstifter“, dem sich 102 Organisationen angeschlossen hatten, hielt ab 13.30 Uhr eine Kundgebung „für Vielfalt und gegen Rassismus“ auf der Querspange ab, der Verlängerung der Eberhardstraße zwischen Tübinger Straße und Königstraße. Nach Angaben der Veranstalter kamen 3500 TeilnehmerInnen. Anfang Januar, als eine Versammlung der rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Bewegung in Stuttgart erstmals möglich schien, hatten sich an die 10 000 GegendemonstrantInnen versammelt (siehe unseren Bericht „Einträchtig gegen die Pegida-Gefahr„). Unter anderem sprach damals Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne),
Am Sonntag trat unter anderen der DGB-Landesvorsitzende Niko Landgraf auf. Mit Rücksicht auf die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sprachen sich der DGB und das Forum der Kulturen dagegen aus, von der Bühne aus auf die Blockaden hinzuweisen. Allerdings gab es entsprechende Megaphon-Durchsagen, so dass sich etliche TeilnehmerInnen der Kundgebung des Bündnisses später noch an ihnen beteiligten.
Pegida benutzt Ängste vor Armut und sozialem Abstieg
Der 1. Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschlands (TGB) Gökay Sofuoglu eröffnete die Reihe der Redner. Er forderte die etablierten Parteien auf, sich stärker von der fremdenfeindlichen Pegida zu distanzieren. Sara Alterio vom Forum der Kulturen forderte, den alltäglichen Rassismus zu bekämpfen.
Nikolaus Landgraf thematisierte vor allem die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Pegida einen Nährboden böten: „Unsere Gesellschaft muss die Ängste vor sozialem Abstieg, vor Arbeitslosigkeit und Altersarmut ernst nehmen“, forderte er: „Diese Ängste dürfen aber nicht von rechten Gruppen benutzt werden, um gegen Minderheiten zu hetzen. Hier müssen wir alle gemeinsam gegensteuern: die Politik, die Zivilgesellschaft, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften.“ „Die Marbacher“ begleiteten die Kundgebung musikalisch. Barbara Stoll moderierte.
Rechte Hetze ohne Publikum
Die Pegida-Kundgebung auf dem Kronprinzplatz hatte hingegen keinerlei Außenwirkung. Was gesprochen wurde, war nur direkt vor Ort zu verstehen. Es waren viele Deutschlandfahnen und andere Flaggen zu sehen. Der Stuttgarter AfD-Stadtrat Heinrich Fiechtner hielt es für angebracht, mit einer Israel-Flagge als Umhang auf dem Kronprinzplatz zu erscheinen.
Der Publizist und Islamhasser Michael Mannheimer erklärte als Redner bei der Kundgebung, er erkenne keine Nazis unter den Pegida-Leuten. Überhaupt seien die Linken die eigentlichen Faschisten. Auch die NSDAP sei links gewesen.
Applaus am CSD-Stand für Spontan-Demo der Antifa
Nach Abzug der Pegida-Anhänger gegen 16.40 Uhr bildete sich eine Spontandemonstration mit ungefähr 500 TeilnehmerInnen. Sie zog durch die Lautenschlagerstraße bis zur Schillerstraße, am Bahnhof entlang und durch die Königstraße bis zum Wilhelmsbau. Dort wurden die DemonstrantInnen am Stand des CSD mit starkem Applaus empfangen. Auch ihre Schlusskundgebung erhielt viel Beifall. Das Aufsteigen hunderter bunter Luftballons beendete den Protest.
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