Kommentar von Anne Hilger – Filderstadt-Harthausen. Wo sich führende Kommunalpolitiker dieses Anliegen zu eigen machen, klappt es mit der Aufnahme von Asylsuchenden am besten. Das sagte Thomas Broch, Flüchtlingsbeauftragter der Diözese Rottenburg-Stuttgart, am Pfingstsamstag bei einer Kundgebung „Ja zur Vielfalt“ in Tübingen. Wo das nicht der Fall ist, hakt es aber umso mehr. Vielleicht ist das der Grund für die Heftigkeit, mit der Anwohner zunächst ein Flüchtlingsheim in Filderstadt-Harthausen ablehnten.
Der Esslinger Landrat Heinz Eininger (CDU) machte im Oktober 2014 bundesweit Schlagzeilen. Er erklärte, sein Landkreis könne keine weiteren Flüchtlinge mehr unterbringen – „als erster“, wie es die „Welt“ aus dem Axel-Springer-Verlagf, wohl in der Hoffnung auf Nachahmer, formulierte. Das klang gerade so, als ob die Quartiersuche auf dem engen Wohnungsmarkt im Stuttgarter Raum für irgendein anderes Landratsamt leichter wäre.
Einingers Kollegen und das Land stellten schnell klar, dass der Kreis Esslingen seiner Pflicht, Flüchtlingen zu helfen, ebenso nachkommen muss wie alle anderen. Aber es kann gut sein, dass sich die in einer Initiative mit dem Titel „Mündige Bürger“ vereinten Nachbarn von den Äußerungen ihres Landrats ermutigt fühlten, erst mal kräftig gegen die geplante Unterkunft in Harthausen zu wettern. Zumal ihnen auch AfD-Leute zur Seite sprangen.
Bedenken, aber keine rassistischen Untertöne
Zeitweilig war die Stimmung zwischen ihnen und Unterstützergruppen von Flüchtlingen ziemlich angespannt, was sich in den örtlichen Zeitungen niederschlug. So warfen ihnen Leserbriefschreiber Hartherzigkeit vor. Inzwischen ist der Ton moderater geworden. Das wurde bei einem städtischen Infoabend am 11. Mai in Harthausen deutlich, zu dem an die 450 FilderstädterInnen in die Jahnhalle kamen.
Man hörte Bedenken zuhauf, auch Vorurteile, aber nicht jene rassistischen Untertöne, die eine Gruppe von AntifaschistInnen erwartet hatte, die eigens nach Harthausen gekommen war. Es gab an dem Abend viele Angebote, Flüchtlingen zu helfen – von Privatleuten, aber auch von der örtlichen Schule und der Volkshochschule, vom Arbeitskreis Asyl, vom Kirchengemeinderat, vom Pfarrer. Kaum etwas sei wichtiger für die Zuwanderer, hieß es immer wieder, als möglichst schnell die deutsche Sprache zu lernen.
Das Unbehagen war in der Halle dennoch greifbar. Der Kreis wird wohl damit rechnen müssen, dass Anlieger alle juristischen Mittel ausschöpfen, gegen das Projekt im eingeschränkten Gewerbegebiet vorzugehen. Jedes denkbare Argument, und sei es noch so weit hergeholt, wurde angeführt. Das geplante Heim soll 80 bis 100 Flüchtlingen Platz bieten – das sind deutlich zu viele an diesem Standort, findet die Anwohner-Initiative. Jedem werden 7 Quadratmeter zur Verfügung stehen.
Angst vor nächtlichem Remmidemmi
In unmittelbarer Nachbarschaft wohnten 42 Menschen, davon zwölf Kinder, sagte eine Frau. Das sei unverhältnismäßig. Woher bekämen die Nachbarn Hilfe bei nächtlicher Ruhestörung? Schließlich müssten sie arbeiten – im Gegensatz zu den Flüchtlingen. Die könnten in warmen Nächten bis drei Uhr nachts draußen sitzen.
Es mag ernsthafte Ängste geben. Doch die Kritik, dass Stadt und Kreis früher hätten informieren sollen, wirkte eher vorgeschoben. Niemand von den Versammelten widersprach auch der Auffassung, dass es wünschenswert wäre, wenn Flüchtlinge in kleineren Unterkünften in gewachsenen Wohnquartieren leben könnten. Doch das ist unrealistisch.
Das verdeutlichten die genannten Zahlen. Der Landkreis Esslingen bekommt jeden Monat 200 bis 250 neue Flüchtlinge zugewiesen. Derzeit fehlen Plätze für 283 Personen. Der Kreis hat Gemeinschaftsunterkünfte, aber auch Wohnungen gemietet, sagte Christian Ziegler, Sachgebietsleiter im Landratsamt – derzeit 52 Unterkünfte mit 1800 Plätzen insgesamt. Das größte Flüchtlingsheim bietet 280 Plätze an einem Standort.
Fast alle sorgen sich um ihre Familie daheim
Erwachsene Flüchtlinge erhalten 325 Euro monatlich für ihren Lebensunterhalt, erfuhren die Anwesenden von den Verwaltungsleuten, unter ihnen Bürgermeister Reinhard Molt. Oberbürgermeisterin Gabriele Dönig-Poppensieker saß nicht auf dem Podium, sondern in der ersten Reihe und sprach erst ganz am Ende der fast dreistündigen Veranstaltung.
Die Sozialbetreuung der Asylsuchenden hat der Landkreis Esslingen komplett an die Arbeiterwohlfahrt übertragen. Deren Vertreterin Julie Hoffmann hatte neben Moderator Theo Rombach einen starken Anteil daran, dass die Diskussion sachlich blieb. Ihr gelang, bei der Beschreibung der Probleme der Flüchtlinge an die Alltagserfahrung ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer anzuknüpfen.
So konnte sich jeder in der Halle vorstellen, wie sehr sich in Deutschland lebende Asylsuchende um ihre Angehörigen sorgen. Fast alle Flüchtlinge leisten sich trotz ihrer spärlichen finanziellen Mittel ein Handy, um mit den Zurückgelassenen Kontakt halten zu können. Den ganzen Saal brachte Hoffmann mit der Erklärung zum Lachen, dass in der Awo-Kleiderkammer ständig Männerschuhe fehlten: Männer trügen ihre Schuhe immer so lang, bis man sie nicht mehr weitergeben kann. Das konnten viele Anwesende nur bestätigen.
Der Kreis braucht viele weitere Unterkünfte
„Es ist besonders wichtig, dass die Männer etwas zu tun haben. Sie haben Angst um ihre Familien zuhause, machen sich Sorgen, sie müssen sich ablenken – deshalb sind auch die 1,05-Euro-Jobs trotz der niedrigen Entlohnung sehr begehrt“, berichtete Julie Hoffmann. „Sonst geht der Kopf kaputt“, werde ihr immer wieder von Flüchtlingen gesagt. Umso wichtiger seien Sprachkurse und die Freizeitangebote, die Freundeskreise den Asylsuchenden machen.
Dieser Hinweis schien auch einem der Anwohner einzuleuchten. „Unabhängig von der Nationalität: Wenn man hundert Deutsche zusammensperrt, wird das auch nicht funktionieren. Wer bei der Bundeswehr war, weiß wovon ich rede.“ Doch die Forderung, höchstens halb so viele Flüchtlinge in der Robert-Bosch-Straße am Rand von Harthausen unterzubringen und generell auf kleinere Einheiten umzusteigen, wird wohl ins Leere laufen – trotz einer von der Anwohner-Initiative übergebenen Liste möglicher Grundstücke, von denen viele der Verwaltung bereits bekannt waren. Der Landkreis Esslingen wird jede Möglichkeit nutzen müssen, die steigende Zahl Asylsuchender unterzubringen – wie alle anderen Stadt- und Landkreise auch.
Siehe auch unseren Bericht „Refugees welcome – auch in Filderstadt“
Hier weitere Fotos von der Veranstaltung:
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