Kommentar von Anne Hilger – Stuttgart. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik: Ausgerechnet Bayern stuft in seinem neuesten Verfasssungsschutzbericht den Landesverband der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen) weiter als linksextremistisch ein. Als einziges Bundesland und mit reichlich schräger Begründung.
Dabei offenbaren gerade die bayerischen Behörden immer wieder „ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat“, wie die „taz“ neulich in einem Kommentar bemerkte – und kreativ sind sie auch. Man muss ja erst mal darauf kommen, ein Protestcamp von G7-GegnerInnen mit der Begründung zu verbieten, es drohe Überschwemmungsgefahr.
Bei der NSU-Aufklärung versagt
Der Verfassungsschutz des Bundes und der Länder – das ist jenes Amt, unter dessen Augen eine rechte Terrorzelle jahrelang mordend durchs Land zog und angeblich unerkannt Raubüberfälle und Sprengstoffanschläge verübte. Ein Amt, dessen Spitzel maßgeblich am Aufbau des Thüringer Heimatschutzes beteiligt waren, der Keimzelle des NSU. Das über sechsstellige Honorare für V-Leute den rechten Untergrund mitfinanzierte. Unter dessen Dach postwendend Akten geschreddert wurden, als der NSU aufflog, um Aufklärung zu erschweren – was ja zumindest das Bewusstsein voraussetzt, dass in diesen Akten womöglich Brisantes steht.
Verfassungsschutz behindert NSU-Aufklärung
Bis heute geben Verfassungsschützer selbst vor Gericht und in den NSU-Ausschüssen der Parlamente ihr Wissen nicht komplett preis, weil sie den Schutz ihrer angeheuerten V-Leute höher bewerten als die Aufklärung schwerster Verbrechen und die historische Wahrheit.
Gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten wird deshalb in München verhandelt, weil der NSU die meisten seiner Verbrechen – allein fünf der neun Morde an ausländischen Gewerbetreibenden – in Bayern beging. Eigentlich müsste der bayerische Verfassungsschutz sich mit seinen eigenen Versäumnissen auseinandersetzen und seinen Schwerpunkt auf das Bekämpfen rechter Strukturen legen.
Stattdessen bekämpft er mit der VVN-BdA ausgerechnet eine Organisation, deren Leitmotiv der Schwur von Buchenwald ist: „Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“
Angeblich linksextremistisch beeinflusst
In seinem Bericht führt der bayerische Verfassungsschutz die VVN-BdA unter linksextremistischen Parteien und Vereinigungen neben der DKP, der MLDP und Teilen der Linken auf. „Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus“, heißt es da.
Antifaschismus habe als solcher erst einmal nichts Extremistisches, räumte Markus Schäfert, Sprecher der Behörde, laut „Süddeutscher Zeitung“ ein. Doch linksradikale Gruppen instrumentalisierten „den breiten gesellschaftlichen Konsens gegen den Rechtsextremismus für ihre politischen Ziele“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Der „Süddeutschen Zeitung“ vom 2. Oktober 2014 zufolge sieht Schäfert die Grenze da überschritten, „wenn sich Antifaschismus gegen das Staatswesen als solches richtet, dem man vorwirft, den Rechtsextremismus zu fördern und die Wurzel dafür zu sein“.
Von wegen Faschismus-verdächtig
Diese Frage darf man sich offenbar – trotz aller Erfahrungen mit dem Thüringer Heimatschutz und dem NSU – nicht einmal stellen, ohne für das Amt ein Verfassungsfeind zu sein. Die VVN-BdA, heißt es im bayerischen Bericht, betrachte „alle nicht-marxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch, zumindest aber als Vorstufe zum Faschismus“, die es zu bekämpfen gelte.
Diese Lesart ist insofern erstaunlich, als sich die VVN-BdA ausdrücklich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt – und als potenziell Faschismus-verdächtig gemeinhin höchstens der vom Grundgesetz nicht geschützte ungezügelte Kapitalismus, aber gewiss nicht die Demokratie gilt.
VVN-BdA klagt gegen die Nennung
Seit 2010 bereits klagt der Landesverband der VVN-BdA gegen ihre Nennung im bayerischen Verfassungsschutzbericht. Im vergangenen Herbst begann in München der Prozess, bei dem ihr Anwalt zwar gute Chancen sieht, aber auch mit einer langen Verfahrensdauer und möglicherweise mehreren Instanzen rechnet.
Für uns zeigt das Vorgehen des bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz nur, wie überflüssig, ja geradezu gefährlich eine solche geheim agierende und parlamentarisch kaum zu kontrollierende Behörde ist. Seit jeher ist sie eher politisches Kampfinstrument, als dass sie zur öffentlichen Sicherheit beitrüge. Deshalb – gerade nach den Erfahrungen mit dem Thüringer Heimatschutz und dem NSU – bleiben wir dabei: Der Verfassungsschutz gehört abgeschafft.
Siehe auch einige unserer früheren Berichte und Kommentare:
NSU-Ausschuss: Womöglich gezielte Sabotage
Verfassungsschutz ist untragbar
Verfassungsschutz und V-Leute abschaffen
Wir dokumentieren den Solidaritäts-Aufruf der VVN-BdA Bayern vom 27. Mai 2015 im Wortlaut:
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Organisation, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten VVN-BdA wird von der Bayerischen Staatsregierung und ihrem Geheimdienst „Landesamt für Verfassungsschutz“ auf unerträgliche Weise angegriffen, diffamiert und in ihrer Existenz bedroht.
Wir wissen alle, dass in Bayern häufig Demokratie durch überhebliche und einseitige Willkür der regierenden Landespartei ersetzt wird. Und in ihrem abstrusen Kampf gegen Andersdenkende benutzen die Christsozialen den „Verfassungsschutz“, der mit seinen aus Steuergeldern finanzierten und von bayerischen Staatsbeamten geführten Neonazi-V-Leuten auf erschreckende Weise Teil des mörderischen NSU-Netzwerkes war und tief in den Aufbau und die Förderung rechtsextremer Gruppierungen verstrickt war.
Jahrelang konnten die vom Verfassungsschutz „beobachteten“ NSU-Neonazis eine ganze Serie von Morden begehen. Der Aufbau von menschenverachtenden Netzwerken wie z. B. des Thüringer Heimatschutzes THS wurde staatlich gefördert, gewalttätige V-Leute und Mittäter im Blood&Honour-Netzwerk wurden vom VS finanziell unterstützt und vor polizeilicher Verfolgung geschützt. Unzählige Akten, in denen die Verwicklung des Geheimdienstes in neonazistische Verbrechen dokumentiert waren, wurden vor der drohenden Aufklärung vernichtet und den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen vorenthalten. Während des zurzeit stattfindenden NSU-Prozess vor dem OLG München lässt sich die bayerische Justiz und die Bundesanwaltschaft mit kaum erträglicher Bereitwilligkeit von Neonazi-„Zeugen“ und ehemaligen V-Leuten auf der Nase herumtanzen.
Und so ein katastrophales Amt wie der bayerische „Verfassungsschutz“ maßt sich an, die VVN-BdA im Bayerischen Verfassungsschutzbericht zu diffamieren, ehemalige KZ-Opfer zu beleidigen, Antifaschistinnen und Antifaschisten zu verleumden, der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit zu entziehen und das jahrzehntelange Engagement von ehrenwerten Bürgerinnen und Bürgern des Freistaats in den Dreck zu treten.
Wir bitten euch, dass ihr euch weiter informiert, euch diese infamen staatlichen Herrschaftsansprüche der bayerischen Staatsregierung und ihrer geheimdienstlichen Hilfstruppe nicht mehr gefallen lasst und auf der Homepage http://www.solidaritaet-vvn.de den Aufruf unterzeichnet, den ihr natürlich auch an möglichst viele solidarische Menschen mit der gleichen Bitte weiterleiten sollt.
Vielen Dank und Grüße
Franz Egeter
Martha Metzger
(Augsburg)
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