Interview und Fotos: Angela Berger – Stuttgart. Die irischen WählerInnen stimmten bei einem Referendum mit überwältigender Mehrheit für die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule. Hierzulande wenden sich vor allem Unionspolitiker gegen eine rechtliche Gleichstellung, und am 21. Juni will erneut eine rechte Allianz so genannter Bildungsplangegner durch Stuttgart ziehen. Wir sprachen darüber mit Laura Halding-Hoppenheit, Kämpferin für die Lesben und Schwulen in Stuttgart, und Christoph Michl von der Interessengemeinschaft (IG) CSD Stuttgart.
Laura Halding-Hoppenheit ist Chefin des legendären Kings Club und seit kurzem Stadträtin der Linken. Christoph Michl gehört dem Vorstand des Christopher Street Day (CSD)-Festivals in Stuttgart an. Der Verein ruft nicht mehr zum Protest gegen die Demos der Bildungsplangegner auf. Das ehrenamtliche Team um Christoph Michl bereitet ein Kulturfestival unter dem Motto „Akzeptanz! Was sonst?“ vom 17. bis zum 26. Juli in Stuttgart vor. Höhepunkt ist die CSD-Polit-Parade durch die Innenstadt am Samstag, 25. Juli.
Beobachter News: Bis 1993 stand Homosexualität in Irland noch unter Strafe. Erst seit 1995 sind dort Scheidungen legal. Jetzt geht Irland in Sachen Toleranz mit großen Schritten in ein neues Zeitalter. Wie können Sie sich erklären, dass dies in einem stark katholisch geprägten Land in so kurzer Zeit möglich war?
Christoph Michl: Es könnte damit zusammenhängen, dass in Irland solche Themen breiter diskutiert werden als in anderen Ländern. Vielleicht gehen die Iren aufgrund ihrer Geschichte auch sensibler mit Diskriminierung um. Die dortige Regierung hat sich beim Amtsantritt zum Ziel gesetzt, alte Verkrustungen aufzubrechen.
Beobachter News: Wie muss man vorgehen, um eine solche Stimmung zu verändern?
Michl: Es bedarf einer fundierten, faktenbasierten Aufklärung und eines offenen Dialogs ohne Skandalisierung. Wir müssen die Menschen sensibilisieren, aufklären, Initiativen dazu starten und sie in die Gesellschaft tragen. So wie es die schwul-lesbische Community seit Jahren anstrebt und dadurch ja auch einige Erfolge erringen konnte, wenn auch der große Wurfe der Öffnung der Ehe noch fehlt.
Laura Halding-Hoppenheit: Irland ist ein Land, das sehr lange in Zwängen gelebt hat. Jetzt befreien sich die Irinnen und Iren von diesen Zwängen und wünschen sich, dass es allen Menschen gleich gut geht in ihrem Land. Auch die jungen Leute werden dort mehr in die Politik eingebunden, was sich in der bemerkenswert hohen Wahlbeteiligung in dieser Altersgruppe widerspiegelt.
Die Bevölkerung ist schon viel weiter
Beobachter News: Kann man in Deutschland ein ähnliches Gesetz auf den Weg bringen?
Halding-Hoppenheit: Es wäre sicherlich auch in Deutschland möglich, aber es ist noch ein langer Weg dorthin. In Deutschland gibt es keine Volksabstimmungen auf Bundesebene, also muss die Politik entscheiden. Wir können an die Solidarität der Menschen appellieren und immer wieder das Gespräch in der Bevölkerung suchen. Auch wir sind die Gesellschaft. Wir wollen schlicht die gleichen Rechte haben wie alle anderen. Für mich sind alle Menschen gleich, und alle gehören mit Liebe und Respekt behandelt.
Michl: Allein die Reaktion auf das Referendum in Irland zeigt doch eindrücklich, dass wir über dieses Thema sprechen müssen. Es gibt in der Bevölkerung augenscheinlich den Wunsch, etwas zu ändern. Der SWR startete kurz nach dem Irland-Votum eine Umfrage, in welcher sich über 80 Prozent für eine Öffnung der Ehe ausgesprochen haben. Die Bevölkerung ist schon viel weiter als die Politik. Wir sollten jedoch gleich weiter denken und uns fragen, in was für einem Land wir leben wollen. Welche Formen des Miteinanders und Füreinanders sollen wie vom Staat gefördert werden. Für mich sind das Kinder – unabhängig davon, ob diese bei zwei Vätern oder zwei Müttern oder eben in der traditionellen Familienkonstellation mit Mutter, Vater, Kind aufwachsen. In einer zweiten Stufe könnte man dann prüfen, wie der Staat mit sogenannten Verantwortungsgemeinschaften – auch hier unabhängig von der Konstallation – umgehen soll. Das wäre zukunftsweisend.
Die Homo-Ehe nimmt niemandem etwas weg
Beobachter News: Worum geht es denn aus ihrer Sicht bei der Ehe?
Michl: Menschen wollen in allen Fällen Verantwortung für andere Menschen übernehmen, unabhängig von Geschlechtern. Das sollte für alle möglich sein. Das Bild der Familie mit Vater, Mutter und Kind wird nur noch von einem Teil der Bevölkerung tatsächlich gelebt. Es gibt aber so viele andere Formen von Familie. Diese Realitäten müssen wir in die Diskussionen um die Ehe für alle mit einfließen lassen. Wir sollten diese Diskussion offen und unabhängig von Parteien, Bauchgefühlen und Ideologien führen. Homosexuelle nehmen in einer Ehe für alle niemandem was weg, ganz im Gegenteil. Wir sind bereit, Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen.
Beobachter News: In Deutschland können gleichgeschlechtliche Paare seit 2001 zwar eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen. Aber sie sind etwa im Adoptionsrecht schlechter gestellt. Wäre es wichtig, absolut gleiche Rechte für alle Arten der Ehe einzuführen?
Halding-Hoppenheit: Das ist das Ziel, denn es ändert etwas am Lebensgefühl. Irgendwie fühlt man sich in der momentanen Situation oft als Mensch zweiter Klasse, man fühlt sich diskriminiert. Wir haben in dieser Gesellschaft die gleichen Pflichten, dann wollen wir auch die gleichen Rechte bekommen.
Michl: Es liegt in der Natur des Menschen, sich Gleichbehandlung zu wünschen. Wenn es sachliche Gründe gegen eine Gleichberechtigung gäbe, die in einer offenen Debatte genannt würden, dann könnte man darüber sprechen. Aber das mit einem schlechten Bauchgefühl abzutun, ist nicht zu verstehen Die Politik robbt sich langsam an dieses Thema heran, mit immer neuen kleinen Zugeständnissen. Aber eine vollständige Öffnung scheint aus nicht-fundierten Gründen noch in der Ferne zu liegen – unabhängig vom Willen des Volkes.
Auch die Homophobie-Keule hilft nicht weiter
Beobachter News: Müsste man mehr Möglichkeiten zur Begegnung schaffen, damit sich die Menschen besser informieren können?
Halding-Hoppenheit: Im privaten Bereich diskutieren vor allem Leute über das Thema Gleichberechtigung, die im eigenen Umfeld homosexuelle Menschen kennen. Wichtig wären aber Gespräche mit denen, die niemanden kennen.
Michl: Es ist auch ein Generationenproblem. Die älteren Menschen sind noch mit dem Paragraphen 175 aufgewachsen, der Homosexualität bis 1969 unter Strafe stellte. Es ist wichtig, vor der eigenen Haustür und in der eigenen Familie offen mit dem Thema umzugehen. Wir sollten aber auch nicht bei jeder Gelegenheit die Homophobie-Keule auspacken. Die hat nämlich die gleiche emotionale Wirkung wie das Merkelsche Bauchgefühl: Sie erschlägt und erstickt alles! Wir wollen mit allen Menschen darüber sprechen, auch mit allen Parteien. Nur so können wir nachhaltig etwas verändern.
Halding-Hoppenheit: Ich habe in all den Jahren immer versucht, auf die Menschen aktiv zuzugehen und zu zeigen, wir sind auch nicht anders als ihr. Die Menschen, die kamen und unsere Veranstaltungen besucht haben, haben sich selber davon überzeugen können. Schon kam ein gemeinsamer Dialog in Gang.
Beobachter News: Sind die Gesetzentwürfe von Justizminister Heiko Maas (SPD) für sie nicht ausreichend?
Michl: Die Verordnungen, die Heiko Maas Ende Mai auf den Weg gebracht hat, sind nur Flickschusterei. Mit lediglich 33 äußerst speziellen und kleinteiligen Verordnungen wird nur Kosmetik betrieben, aber keine Gleichstellung erreicht. Da hätten uns von der SPD auf Bundesebene deutlich mehr gewünscht.
Halding-Hoppenheit: Wir werden abwarten müssen, ob die SPD weiter macht mit dem Ziel, ihr Wahlversprechen der 100-prozentigen Gleichstellung einzulösen. Der stellvertretende Ministerpräsident Nils Schmid hat mit seiner Forderung nach einer Volksabstimmung zur Frage der Eheöffnung eine nette Nebelkerze gezündet. Dabei weiß er doch ganz genau, das ist bislang nicht möglich. Und daran ändert sich auch in absehbarer Zeit nichts.
Die Blockade der Union ist politisches Kalkül
Beobachter News: Warum sträubt sich die CDU/CSU Ihrer Meinung nach gegen die Gleichstellung und nimmt eine Blockadehaltung ein?
Halding-Hoppenheit: Es geht der CDU um die konservativen Wählerstimmen. Politik sollte sich aber nicht an den Wählerstimmen orientieren, sondern an den Menschen. Natürlich wollen wir alle wieder gewählt werden. Aber sich einzelne opportune Themen vor der Wahl herauszupicken, nur um Stimmen zu bekommen, macht uns als Politiker unglaubwürdig.
Michl: Das ist politisches Kalkül. Die Sorge, die konservativen Wähler zu verprellen, wird erstickt mit dem „schlechten Bauchgefühl“ von Frau Merkel. Was wir fordern – eine Ehe eingehen und für einen anderen Menschen Verantwortung übernehmen zu können – ist aber eigentlich ein klassisches konservatives Thema. Komische Welt!
Beobachter News: Angenommen es gäbe eine Volksabstimmung – würde sich wohl eine Mehrheit dafür finden, gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe zu ermöglichen?
Halding-Hoppenheit und Michl: Ja, ganz klar und in einer ähnlichen Größenordnung wie in Irland.
Beobachter News: Würde eine rechtliche Gleichstellung dazu beitragen, dass Homosexualität besser akzeptiert wird?
Diskriminiert zu werden, schmerzt jeden Menschen
Michl: Gesetze schaffen Rechtssicherheit, sie sind aber nur die halbe Miete, sie können nur Hilfestellung für eine gerechte Gesellschaft sein. Wenn der Staat nahezu ähnliche Formen des Zusammenlebens unterschiedlich behandelt, darf man sich nicht wundern, wenn auch die Bürgerinnen und Bürger es lax mit dem Thema Akzeptanz und Gleichberechtigung halten. Mir ist besonders wichtig, dass junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung von allen Seiten unterstützt werden. Eine rechtliche Gleichstellung würde ein starkes Signal an sie senden und Vorbehalte abbauen. Gerade in Schulen sollte mehr darüber geredet werden, dass es abseits den klassischen Lebensformen eben auch andere Arten des Zusammenlebens gibt. Nicht zu „Werbezwecken“, sondern als Aufklärung, orientiert an den Lebensrealitäten der Menschen.
Halding-Hoppenheit: Es geht auch um unsere Verletzlichkeit. Lesben und Schwule würden sich stärker fühlen und akzeptierter fühlen. Überall finden Veränderungen statt, nur in Deutschland werden wir gerne weggewischt. Egal für was du diskriminiert wirst, das schmerzt jeden Menschen. Das gibt Verletzungen bei jedem. Und nicht jeder Mensch ist so stark, damit gut umzugehen.
Die AfD macht auf plumpe Art Stimmung
Beobachter News: Am 21. Juni 2015 gibt es in Stuttgart zum wiederholten Mal eine sogenannte „Demo für alle“. Dort versammeln sich Bürger, die Homosexualität als Krankheit betrachten. Werden sich die Homosexuellen in Stuttgart am 21. Juni stärker als bisher an den Gegenkundgebungen gemeinsam mit anderen Gruppen beteiligen?
Halding-Hoppenheit: Das Votum aus Irland hat unsere Gegner jetzt vielleicht noch „wilder“ werden lassen. Es bleibt abzuwarten, wie sie darauf reagieren. Sicherlich werden erneut Menschen auf die Straße gehen, um zu zeigen, dass sie nicht einverstanden sind mit den Positionen, die bei der „Demo für alle“ vertreten werden. Vielleicht in einer stilleren Form, aber dennoch sichtbar.
Michl: Sicherlich wird bei der nächsten „Demo für alle“ das Referendum in Irland Thema sein. Dieser Demozirkus ist ein gesteuertes Aktionselement, das mit den Inhalten des Bildungsplans in Baden-Württemberg nicht mehr viel zu tun hat. Er dient als Aufhänger, um Menschen mit falschem und skandalisierendem Geschrei auf die Straße zu bringen. Das ist keine Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft. Das sind organisierte und durchdachte Veranstaltungen, bei denen unter anderem die AfD versucht, auf äußerst plumpte Art und Weise Stimmung zu machen.
Es ist Demo für alle und keiner geht hin …

Rechte Allianzen – AfD und CDU vereint am Frontbanner der „Bildungsplangegner“ in Stuttgart am 19.10.2014
Beobachter News: Warum beteiligt sich der CSD dann nicht am Protest?
Michl: Wir waren ein aktiver Teil des Protests. Jedoch wollen wir uns nicht instrumentalisieren lassen. Wir haben bei drei von diesen Demos Gegenveranstaltungen organisiert. Am Ende ging es uns zu wenig um Inhalte. Vielmehr standen Krawall und Randale im Mittelpunkt, und die Bildungsplan-Gegner konnten sich als Opfer stilisieren. Das ist ein Kulturkampf, der auf der Straße nicht ausgetragen werden kann. Das ist nicht unsere Form der Auseinandersetzung. Jeder Mensch, der die Hass-Parolen der „Demo für Alle“ auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, kann nicht anders, als den Kopf zu schütteln und davonzulaufen.
Halding-Hoppenheit: Die wenigsten, die da mitmischen, sind außerdem Stuttgarterinnen und Stuttgarter. Das ist perfekt organisiert, indem Menschen aus dem ganzen Land sprichwörtlich in Bussen herangekarrt werden. Manipulation pur!
Michl: Ich denke mir mittlerweile oftmals „stell dir vor, es ist wieder ‚Demo für alle‘, und keiner geht hin, weil‘s aufgrund der abstrusen Gedankenwelt niemand interessiert. Dann könnten sich die sogenannten „besorgten Eltern“ nicht mehr mit Polizeischutz als Opfer stilisieren und die Beatrix von Storchs, Brigit Kelles und die Hedwig von Beverfoerdes würden ihrer Öffentlichkeit beraubt. Denn ohne Krawall kräht kein Hahn mehr nach dem kleinen Häufchen.
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